Liebesheilung: 7 Arztromane großer Autoren. A. F. Morland

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Liebesheilung: 7 Arztromane großer Autoren - A. F. Morland


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zwölften oder dreizehnten Klingelzeichen wurde abgehoben. „Ja?“ Die Stimme war noch genau so verzagt.

      Er machte in Fröhlichkeit. „Schöne Frauen lassen sich lange bitten, Evi. Ich dachte schon, du wärst ausgegangen. Der Termin steht. Morgen um elf. Kommst du mit dem Wagen?“

      „Den hat Walter. Und elf ist schlecht. Tina kommt um eins aus der Schule.“

      „Sie kann doch zu den Nachbarn gehen. Ich meine ja nur, weil du den Weg nicht kennst.“

      „Ich werde fragen.“

      „Brauchst du nicht. Nimm die Autobahn Richtung Koblenz, dann fährst du Richtung Bad Godesberg ab und kommst ungefähr beim Poppelsdorfer Schloss heraus. Das ist die Reuterstraße. Nach hundert Metern biegst du rechts ab in den Jagdweg. Wir sind dann leicht zu finden. Oder du nimmst dir vom Bahnhof eine Taxe, ich überlasse es dir.“ Er schwitzte leicht, weil er sich auf den Wagen versteifte und Walters Zusage hatte. Zum Glück fiel ihm der Bahnhof ein. Jetzt nur ja kein Misstrauen säen!

      „Ein anderer Termin geht nicht, Hermann?“

      Sie fürchtete sich, er spürte es aus jedem Wort.

      „Vergiss nicht, Kollege Winter ist ein vielbeschäftigter Mann. Du musst schon pünktlich sein. Wenn es irgendwie möglich ist, stehe ich mit frisch gewaschenem Hals am Eingang, Evi.“

      Sie zögerte lange. Endlich erklärte sie ihre Bereitschaft: „Ich komme, aber ich – ich habe schreckliche Angst.“

      „Winter hat noch keinen Patienten gefressen.“ Er lachte jungenhaft. „Grüß mir deinen Mann und deine niedliche Tochter. Und keine trübsinnigen Gedanken, ja? Großes Ehrenwort?“

      Das hatten sie sich als Kinder immer gegeben. Großes Ehrenwort – da konnten die Erwachsenen noch so hartnäckig oder wütend fragen, sie klebten zusammen wie Pech und Schwefel, hielten den Mund und bewahrten ihre kleinen Geheimnisse. Nie brach einer das Wort.

      „Ja, Hermann, großes.“

      Er glaubte, in ihrer Stimme etwas von ihrem alten Schwung zu hören.

      „So gefällst du mir wieder. Bis morgen dann, Evi.“ Er legte auf.

      Mit Kollege Winter den Fall durchzusprechen, war geboten. Winter war einfühlsam, er hatte es immer am Verhalten der Patienten gemerkt, die sie dann auf die Station bekamen. Er hatte eine besondere Art, den Frauen den ungeheuren Druck von der Seele zu nehmen und dadurch die Angst zu mildern.

      Wie hatte einmal eine Patientin gesagt? „Herr Doktor, ich habe solche Angst, ich könnte schreien!“ Verständig hatte Winter gesagt: „Schreien Sie!“ Sie tat es.

      Später unterhielten sie sich im Kasino über den Fall, wobei Dr. Winter darauf hinwies, wie wichtig es war, den seelischen Stau abzubauen und den Patienten zu animieren, seine eigenen Willenskräfte zu mobilisieren. Für den Arzt war das die wertvollste Hilfe. Ein Fall, der sich hängen ließ, sich selbst aufgab, der stellte den Arzt vor schier unüberwindliche Hindernisse. Der Gleichklang, das harmonische Zusammenspiel von Seele und Organismus, musste wiederhergestellt werden, sonst war der operative Eingriff eine halbe Sache.

      Dr. Mittler seufzte und blickte auf die Uhr. Winter hielt jetzt Sprechstunde. Da ließ er ihn und seine Patienten besser ungestört.

      Kollegin Dr. Simon-Stoll wirbelte plötzlich herein und lehnte sich aufatmend gegen die Tür.

      „Sind Sie auf der Flucht?“, fragte er belustigt.

      Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Schwester Luise hat den Ehemann vom Beckenringbruch so zusammengefaltet, dass er durch den Briefkastenschlitz passt. Jetzt gibt sie ihm den Rest, und er tobt und will einen Arzt, bei dem er sich beschweren kann. Puh!“, machte sie und setzte sich. „Und dann streichen zwei Polizeibeamte herum.“

      „Ich hatte bereits das Vergnügen. Sie ermitteln in Sachen abgestürzte Milz und wollten Kollege Winter mit Beschlag belegen. Die Angern war uneinnehmbar wie eine Festung. Wie steht’s unten?“

      Die OPs der Chirurgie befanden sich ein Stockwerk tiefer.

      „Eine Komplikation nach der anderen. Staublutung im Gehirn. Rose hat die Trepanation schon vorgenommen. Jetzt will er die Milz retten und drei Nähte legen, habe ich gehört.“ Die Kollegin schlug die langen Beine übereinander.

      Dr. Mittler nickte verstehend. Die Frau musste beim Anprall mit dem Kopf angeschlagen haben, das austretende Blut drückte aufs Gehirn. Mit einer Anbohrung des Schädels ließ sich der Druck herabsetzen und das Blut ausleiten – eine sogenannte Dekompressivtrepanation; dass Kollege Rose versuchte, die Milz zu retten, nötigte ihm allen Respekt ab. „Er fürchtet sich vor nichts“, gab er seinen Gedanken Ausdruck. „Jedenfalls steigen die Chancen des Kindes, die Mutter zu behalten, daran ist nicht zu löten.“

      Wenn Dr. Rose die Milz über die Runden brachte!

      5

      Hat sie kein Vertrauen mehr zu mir?, sinnierte Walter Becker und malte Windmühlen auf den Verteilungsplan. Warum ist sie nicht ans Telefon ran gegangen? Es war ausgemacht, dass ich anrufe!

      Wie kommt sie nur auf die Idee, sie könnte Krebs haben? Mit Händen und Füßen hat sie sich gesträubt, dass ich sie zu Scharnitz bringe. Weiß sie viel mehr, ist es nicht nur ein Verdacht?

      Er schob die Unterlagen vor sich herum, drehte sie auf den Kopf, malte weiter. Seine Nebenleute blickten irritiert; statt dem Geschäftsführer zu lauschen, der einschneidende Sparmaßnahmen verkündete und sie weitschweifig begründete, kritzelte Walter Becker auf dem Papier herum.

      Dem Geschäftsführer entging nicht die mangelnde Aufmerksamkeit.

      Vielleicht drücke ich mich nicht klar genug aus, überlegte er. Ich muss wohl fundierter begründen und die Motive übersichtlicher darlegen.

      Etwas unwirsch wiederholte er die Absicht der Geschäftsleitung, den Finanzetat fürs kommende Jahr zu beschneiden. Er wählte andere Worte, bildete sich ein, Verständnis zu wecken.

      Er geriet in Eifer. Seine Augen hinter den dicken Gläsern funkelten. Begierig wartete er auf die Reaktion von Becker, der mit seinem Planungsstab an der Konferenz teilnahm. Aber lediglich der Verkauf gab durch Kopfnicken zu verstehen, dass die Argumente einleuchtend waren.

      Vom Planungsstab kam weder Ablehnung noch Zustimmung. Verzweifelt überlegte er, ob er nicht einen dritten Anlauf nehmen sollte. Becker malte immer noch, zwei Teilnehmer grinsten dezent.

      Egal, er wird schon zuhören, überlegte der Geschäftsführer. Sonst hätte er schon Einspruch erhoben. Ich fahre fort.

      Und er tischte Zahlen auf, bei deren Nennung die Verkaufsleute rote Köpfe bekamen.

      Vom Planungsstab kam immer noch keine Reaktion.

      „Herr Becker, wie stellen Sie sich zu den Zahlen?“ Die Stimme des Geschäftsführers war beißend und durchdringend.

      Walter Becker war weit weg. Seine Gedanken waren daheim, kreisten um seine Frau, um Mittlers Anruf.

      Wie kommt sie bloß auf die Idee? Welches Fachbuch hat sie gelesen? Eins von denen, die im Regal stehen?

      Wie lange geht das schon – mit den Schmerzen, mit dem Verdacht?

      Warum hat sie nicht mal mit mir darüber gesprochen?

      Verändert ist sie ja. Seit ein paar Tagen jedenfalls. Aber freundlich war ich auch nicht gerade. Zu viel Ärger, zu viel Nachdenken darüber, wie die Firma voranzubringen ist. Der Kentenich mit seinem Klagelied in Neuauflage soll mir doch gestohlen bleiben! Ging’s nach dem, wäre der Laden binnen Jahresfrist ein Fünf-Mann-Betrieb.

      Hätte sie nur etwas gesagt, einen Ton, eine Andeutung gemacht! Jetzt sieht die Sache ganz anders aus – schlimmer. Warum sonst hat Hermann angerufen? Ich mach’ mir keine Illusionen. Aber ihr muss ich sie machen. Ich bin Komplize eines Arztes, der den Frauen den Bauch aufschneidet


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