Liebesheilung: 7 Arztromane großer Autoren. A. F. Morland

Читать онлайн книгу.

Liebesheilung: 7 Arztromane großer Autoren - A. F. Morland


Скачать книгу
Schälchen sortierte, weiße und bunte Pillen, und jedes Mal auf einer Liste gewissenhaft etwas abhakte.

      Die Schwester, die ihn erst angefaucht und dann zu einem Kaffee eingeladen hatte, begutachtete die Pillenverteilung, prüfte jede Schale, verglich mit der Liste und ging dann zu der brutzelnden Kaffeemaschine, durch die eben der letzte heiße Wasserstrahl lief.

      Sie goss zwei Tassen aus.

      „Mit Zucker und Milch?“

      „Mit ohne, bitte.“

      Ihr strenger Gesichtsausdruck milderte sich etwas. „Sie sind gern lustig? Findet man selten heutzutage. Bewahren Sie sich das.“

      „Das Lachen ist mir vergangen.“ Er nahm die Tasse entgegen. Auf der Fensterbank stand ein Aschenbecher.

      „Lange können Sie nicht bleiben“, fing die Schwester wieder an. „Das Zimmer ist für Besucher eigentlich tabu. Aber ich drücke mal ein Auge zu.“

      „Können Sie mir sagen, was die da hinten so lange ...?“

      Sie ließ ihn erst gar nicht ausreden. „Kann ich nicht. Kann nicht einmal der operierende Arzt, bevor er nicht sieht, was in einem Patienten los ist.“ Sie trank schlürfend und blickte unwillig zum Telefon, als es schnarrte. Mit der linken Hand hob sie ab. „Schwesternzimmer! – So, alle zwei? Ich komme.“

      Der Hörer flog auf die Gabel.

      „Trinken Sie aus und verkrümeln Sie sich.“ Sie stellte ihre Tasse ab und warf einen sehnsüchtigen Blick darauf.

      „Gehen Sie nach hinten? Können Sie vielleicht …?“, fragte Walter hoffnungsvoll.

      Sie maß ihn von Kopf bis Fuß. „Ich werde im Kreißsaal gebraucht. Sagte doch, dass der Teufel los ist. Wir backen hier nämlich die Babys wie die Brötchen.“

      Damit schwirrte sie hinaus.

      Die junge Schwester im Hintergrund kicherte.

      Er trank den Kaffee, so rasch es ging, und machte sich auf die Suche nach dem Raucherzimmer. Zwei Patientinnen saßen drin und musterten ihn mit unverhohlener Neugierde.

      Ihre Blicke waren ihm unangenehm. Er trat ans Fenster und blickte hinaus, ohne etwas zu sehen. Wenn nur die Operation gut verlief! Eva musste durchkommen!

      Ihre Ahnungen! Die Angst, das Sträuben! Ein Glück, dass er darauf gedrängt hatte, dass sie Hermann Mittler anrief.

      In ein paar Tagen wäre alles zu spät gewesen. Was dieser Doktor Winter gesagt hatte, klang beängstigend. Bei der Operation holten sie den Tumor heraus.

      Aber wenn der sich schon so weit ausgebreitet hatte, dass das Schneiden zwecklos war? Wenn es wirklich Krebs sein sollte ...

      Er stöhnte leise und drückte die heiße Stirn gegen das kühle Fensterglas.

      Einfach hatte es Eva-Maria nicht mit ihm gehabt. Nicht so einfach, wie sie ihm immer wieder das Gefühl gab. Er war schon eine ziemliche Nervensäge für sie.

      Eigentlich die ganzen Ehejahre hindurch. Manchmal hatte sie feuchte Augen bekommen, und zweimal ja, da hatte sie geweint.

      Das erste Mal, da hatte sie ihn zum Einkäufen geschickt. An einem Samstag. Für ein paar Kleinigkeiten und ein Bund Petersilie.

      Er war in den neuen Supermarkt gegangen und mit dem Einkaufswagen durch die Regalreihen gefahren. Bedenkenlos hatte er eingeladen.

      Die Waren standen auch zu verlockend herum. Liköre, Schnäpse, Süßigkeiten, Knabberzeug.

      Die Kasse zeigte den Betrag von hundertzwanzig Mark an.

      Als er nach Hause kam, brach Eva in Tränen aus. Er hatte gedankenlos das letzte Haushaltsgeld verpulvert und die Petersilie vergessen. Dabei waren es noch sechs Tage bis zum Monatsletzten.

      Sein Angebot, noch mal loszugehen und die Petersilie für die letzten Groschen zu holen, hatte sie abgelehnt. Und wie!

      Sie hatte gar nichts gesagt. Nur angeblickt hatte sie ihn.

      Durch und durch war ihm das gegangen, und er hatte es nie vergessen.

      Die Schnäpse ließen sich dann doch noch verwenden, als Freunde kamen, um die Wohnung einzuweihen.

      Aber diese eine Woche ohne Geld im Haus lag ihm jahrelang schwer im Magen. Er hatte es verbockt, und er war sich nie ganz sicher, ob ihm Eva jemals restlos verziehen hatte.

      Und das zweite Mal weinte sie nur einige Wochen später. Wieder ging es um Geld.

      Als er abends heimkam, stand sie tränenüberströmt in der Tür, hielt ihm einen Pfändungsbeschluss entgegen und sagte tief verletzt: „Der Gerichtsvollzieher war da. Die Ehe fängt ja gut an!“

      Er war zunächst ratlos und wusste nicht, wie er zu der zweifelhaften Ehre eines Besuches vom Gerichtsvollzieher kam. Auf dem Pfändungsbeschluss stand die Erklärung.

      Noch in der Junggesellenzeit hatte er für einen Freund eine Bankbürgschaft übernommen. Der Freund schaffte sich einen Sportwagen auf Ratenzahlung an. Zwei Jahre war das her. Aber mit den beiden letzten Raten war er in Verzug geraten und hatte auf Mahnungen nicht reagiert.

      Da hielt sich die Bank an den Bürgen und schickte ihm den Gerichtsvollzieher ins Haus. Besondere Ironie, dass dieses Geldinstitut auch seine Hausbank war. Sie hätten es einfacher haben können, wenn sie die zwei gebürgten ausstehenden Raten von seinem Konto abgebucht hätten. Aber ihm deswegen gleich den Gerichtsvollzieher auf den Hals zu hetzen?

      Er versuchte zu erklären. Eva-Maria glaubte ihm kein Wort.

      Da setzte er sie ins Auto und fuhr zu dem Freund. Und noch einmal Ironie des Schicksals – der lag gerade unter dem besagten Sportwagen und reparierte ihn. Im Bilde war er auch sofort. Lachend erklärte er, das Geld hätte er zur Fälligkeit der Raten für andere Zwecke dringend benötigt, aber jetzt hätte er es.

      Eva-Maria bekam die vierhundert Mark, die sie dem Gerichtsvollzieher ausgehändigt hatte, und zeigte sich versöhnt.

      Von diesem Tag ab änderte sich einiges.

      Sie übernahm die Ordnung seiner Finanzen, und sie war wirklich die beste Buchhalterin, die er sich denken konnte.

      Außerdem hatte der Eifer der Bank Folgen. Sie suchten sich eine neue Hausbank. Bei der waren sie immer noch.

      „Ist Ihnen nicht gut?“ Eine Hand berührte zaghaft seinen Oberarm.

      Er merkte, dass er immer noch mit der Stirn am Fensterglas lehnte.

      „Danke, es geht schon.“ Er flüchtete förmlich aus dem Raucherzimmer, damit niemand seine feuchten Augen sah.

      21

      Die Schmerzen kamen nicht wieder. Aber die Gedanken, beladen mit Erinnerungen. Eva-Maria starrte zu den Deckensprüngen hinauf.

      Wie heute hatte Walter sie zweimal ins Krankenhaus gebracht.

      Damals mit der geplatzten Zyste. Morgens um drei.

      Hinterher erfuhr sie, wie schlimm es tatsächlich um sie gestanden hatte. Ein paar Stunden später nur, und sie wäre dem Tod nicht mehr von der Schippe gesprungen.

      Ein wilder, wütender, beißender Schmerz wie von Feuer war plötzlich in ihr gewesen. Er hatte sich ausgebreitet. Sie wusste sogar noch, dass sie gewimmert hatte.

      Aber vom Krankenhaus wollte sie nichts wissen. Erst mal zum Arzt. Die Sprechstunde begann um neun Uhr. Walter ließ das nicht gelten. Zu lang, hatte er sehr ruhig und sehr bestimmt gesagt.

      Mehr gegen ihren Willen hatte er sie zum Krankenhaus auf dem Berg hochgefahren.

      Sie fröstelte. In der Erinnerung empfand sie wieder die kühle, unpersönliche Atmosphäre der nächtlichen Krankenhausflure. Dann die wenig begeisterten Gesichter der Nachtbereitschaft. Schließlich der Oberarzt, den


Скачать книгу