Bürgerwache. Wildis Streng

Читать онлайн книгу.

Bürgerwache - Wildis Streng


Скачать книгу
ihre Kluft. Wenige hatten sich entnervt umgezogen, aber was ein rechter Sieder war, der hielt es aus. Schließlich ging es um die Tradition der Stadt, und so was war wichtig. Bernd sah sich um, er war eigentlich mit ein paar Freunden verabredet gewesen, unter ihnen war eine, die ihn ziemlich interessierte – Tina. Er glaubte zwar nicht, dass sie auch an ihm Interesse hatte, aber was hatte er zu verlieren? Er war schon viel zu lange Single. Gut, womöglich war er nicht grade der Hauptgewinn mit seinen doch deutlich zu vielen Kilos auf den Rippen und der beginnenden Stirnglatze. Immerhin war er ein guter Kerl, und das musste doch auch etwas gelten. Außerdem waren noch bedeutend Dickere bei den »Siedern« als er. Er hatte das Herz am rechten Fleck, gab es denn gar keine Frauen mehr, die das …

      »Wen haben wir denn da!«, tönte es hinter ihm, und eine Hand landete unsanft auf seiner rechten Schulter.

      Bernd drehte sich um und erblickte zwei Kompaniemitglieder der Bürgerwache Crailsheim. Was die blöden Horaffen-Deppen jedes Jahr auf dem Kuchen- und Brunnenfest sollten, verstand er ja so gar nicht, aber die Kompaniechefs aller Bürgerwachen der Gegend schickten eifrig Delegationen auf den Festen hin und her, anscheinend fanden die das ganz toll, von wegen Städtefreundschaft und so. Dabei würde es nie eine echte Freundschaft zwischen Crailsheim und Hall geben. Und den Horaffen war die gute Haller Tradition sowieso egal, die nutzten das Fest maximal zum Besäufnis. Dabei hatten die selber gar keine richtige Traditionsveranstaltung, nicht mal die Sage mit der fetten Bürgermeisterin stellten sie nach – die wäre ja eigentlich prädestiniert! Nein, die machten einfach nur ein Fest in einem Park, das sie dann »Parkfest« nannten. Wie überaus originell! Kein Sieder wollte da hin, das war langweilig bis zum Gehtnichtmehr. Den ganzen Tag nur Blasmusik und Saufen. Und auch noch das falsche Bier, kein Haller Löwenbräu.

      »Kenne ich euch?«, fragte Bernd und ärgerte sich, dass seine Stimme dabei nicht so volltönend klang, wie er geplant hatte. Er musterte die beiden feixenden Horaffen, die schon leicht angetrunken wirkten und sich aneinander festhielten – wohl, um nicht umzufallen.

      »Wir kennen dich! Den dicken Bernie kennt doch jeder«, begann ein Blonder und grinste. »Ein Haller Doofele, wie es im Buche steht, und noch dazu der beste Siederskuchen-Esser von ganz Hall!«

      »Tobi, sei net sou gemein«, murmelte der andere, ein kleinerer Dunkelhaariger, und hängte sich schwerer an den Arm seines Kameraden.

      Tobi schüttelte ihn unwirsch ab und stellte sich aufrecht hin, dabei schwankte er leicht.

      »Aber weißt du was, Bernie, schick schaust du aus mit dem weißen Krägelchen zum roten Pulli. Hat das deine Mami gebügelt? Bei der wohnst du doch sicher noch, oder? Du bist ja erst 40!«

      Bernd spürte die Wut in sich aufsteigen, er sah sich um, ob irgendwo andere Sieder waren, die ihm vielleicht beistehen könnten, zumindest verbal. Aber der nächste stand etwa 20 Meter entfernt und bekam nichts mit, weil er gerade mit einer üppigen Blondine im kurzen Kleid flirtete. »Besser als eure Filzhüte mit Faschings-Hühner-Bastelfedern«, gab er zurück.

      »Ououou, jetzt hast du’s mir aber gezeigt!«, lachte Tobi. »Aber hey, ich sag dir was: Unsere Klamotten sind wenigstens männlich. Und die Kleidle passen eigentlich ganz gut zu eurem ›Wir tragen einen riiiiiiiesigen Kuchen durch die Gegend!‹«

      »Hör auf jetzt … Tobi!«, forderte Bernd.

      »Hey, Bernd«, kam es plötzlich von hinten, und seine Kumpels Timo und Frank sowie Tina standen neben ihm.

      Bernd schluckte schwer, als er Tinas blaues Sommerkleidchen sah, das unterhalb der schmalen Taille ihre Hüften umspielte.

      »Na, alles klar?«, begrüßte sie ihn und lächelte mit ihren schönen vollen Lippen.

      »Vorsicht, Hallerin, ich glaub nicht, dass der beim Schießen trifft!«, geiferte Tobi. »So, wie die Doofele ihre Salutschüsse abfeuern und ihren … Kuchen rumtragen.« Ein glucksendes Lachen entfuhr seiner Kehle, er kriegte sich gar nicht mehr ein.

      »Jetzt reicht’s, Tobi«, versuchte es der andere noch mal.

      Aber Tobi machte weiter: »Such dir lieber einen Horaffen, einen echten Stecher, so einen wie mich oder wie den da, und nicht so eine Haller Pussy.«

      Bernd sah zu Tina hin und entdeckte ein kleines, amüsiertes Lächeln. Er fühlte, wie ihm schwarz vor Augen wurde, er würde nicht umkippen, nein, er würde ruhig atmen und er würde die Situation anders lösen, ganz anders. Er schloss die Augen und atmete noch einmal tief durch. Zählte innerlich langsam bis drei. Dann holte er aus und haute dem verdammten Horaffen so eine in die Fresse, dass der einfach nach hinten umfiel.

      Am Abend vor dem Parkfest, Mitte Juli

      Es war ein lauer Sommerabend in Crailsheim. Der Wind bewegte die Äste der hohen Bäume des Spitalparks und brachte die Blätter dazu, leise zu rascheln. Grillen zirpten irgendwo. Die Straßenbeleuchtung war bereits ausgeschaltet, und doch war es nicht vollkommen dunkel, denn die Nacht war sternenklar. Die Luft war warm, und diejenigen, die noch unterwegs waren in dieser Freitagnacht, befanden sich im »Apfelbaum« oder auf einer Grillparty mit Freunden, denn sonst war ja alles geschlossen. Und die Leute waren fast alle sommerlich gekleidet, die Frauen mit bunten, meist kurzen Kleidern oder Dreiviertelhosen mit luftigen Tops, die Männer in Shorts und T-Shirt. So hätte einem Beobachter die dunkle Figur, welche die Treppe zum Spitalpark hinunterschlich, seltsam vorkommen müssen – der Kapuzenpullover und die dicke schwarze Jeans waren viel zu warm für die Julinacht. Aber es gab keine Beobachter, und so setzte die Person ihren Weg ungehindert fort. Der schwarze Rucksack baumelte lässig auf ihrem Rücken, und ein siegessicheres Grinsen umspielte ihre Lippen. Die Gestalt schlenderte weiter, quer durch den Park, um schließlich vor der Wand der Volkshochschule stehen zu bleiben. Sie setzte den Rucksack ab, blickte sich um, drehte sich um die eigene Achse und vergewisserte sich, dass auch niemand ihr Tun beobachtete. Aber da war niemand, die Person war allein, nur ein einzelner Frosch quakte aus der Richtung, in der sich der Teich befand. Zufrieden öffnete sie den Rucksack, so leise wie möglich, denn das Ratschen des Reißverschlusses konnte ungewollte Aufmerksamkeit auf sich ziehen, entnahm der Tasche die Spraydose, schüttelte einige Male kräftig und sprühte mit schnellen Bewegungen unter dem Zischen der Graffitidose »ACAB« an die Wand der Volkshochschule – All Cops Are Bastards.

      Parkfestsamstag

      »Wirklich schön hier«, fand Lisa und streichelte Heiko über die Wange.

      Der brummte und lächelte leicht. Dieses Brummen war es, was seine Freundin Lisa, die aus Westfalen stammte, dazu gebracht hatte, ihn »Bärchen« zu taufen, allerdings nannte sie ihn niemals in der Öffentlichkeit so. Und schon gar nicht auf dem Revier. Da waren sie Kriminalkommissarin Luft und Kriminalkommissar Wüst. Heiko kratzte die letzten Reste des leckeren Spaghettieises aus der erdbeerförmigen rot-grünen Schale, steckte sich den Löffel in den Mund und lehnte sich dann zurück. »Scho«, gab er zu, und sein Blick schweifte zum plätschernden Brunnen mit den zerfetzten Bronzeschweinen und den marmornen drehbaren Kugeln, der den Crailsheimer Schweinemarktplatz dominierte. Es war ein wunderschöner Julitag, und normalerweise hätten sie Sita, Heikos Rauhaardackeldame, dabeigehabt. Aber nachher wollten sie noch aufs Parkfest, und der kleine Hund würde wohl zu Tode erschrecken, wenn in seiner Nähe die »Gertrud« abgefeuert werden würde. Heikos Blick wanderte zurück zu Lisa, die ein letztes Mal an ihrem Eiskaffee sog. Sie sah schon gut aus mit ihren blonden Haaren, die sie oft zu einem Pferdeschwanz gebunden trug. Und heute hatte sie ein grünes Sommerkleid mit weißen Blumen darauf an. Jetzt, wo er sie so musterte, zog sie irritiert die Augenbrauen zusammen.

      »Ist irgendwas?«, erkundigte sie sich.

      »Nein, nix«, beeilte sich Heiko zu versichern.

      »Wann fängt das denn an, dieses Parkfest?«

      »Um fünfe«, antwortete Heiko.

      »Dann müssen wir jetzt aber los«, erklärte Lisa und wies auf die Uhr, die am Tiefgaragenaufgang angebracht war. »Schau mal, es ist Viertel vor fünf.«

      »Des haaßt drei viertel fünf«, korrigierte Heiko grinsend und winkte dem Eiscafébesitzer, einem sehr schlanken Italiener mit dunkelblondem


Скачать книгу