Bürgerwache. Wildis Streng

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Bürgerwache - Wildis Streng


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war eine feste Größe im Crailsheimer »Festmarathon«, es fand kurz vor dem Kulturwochenende statt. »Und diese Bürgerwache … das sind doch die mit den Federhüten, gell?«, erinnerte sich Lisa.

      »Richtig. Crailsheimer Tradition. Die Ursprünge der Bürgerwache reichen bis ins 15. Jahrhundert zurück. Und bis heute bewacht die Bürgerwache die Stadt.«

      Lisa verdrehte unmerklich die Augen. »Ist ja auch dringend notwendig«, befand sie.

      Heiko schnalzte mit der Zunge. »Na, stell dir mal vor, was wäre, wenn die Haller bei uns einmarschieren würden! Nicht auszudenken!«

      Lisa grinste. Heiko fand, dass es schön war, bei der Eröffnung dabei zu sein, und hatte vorgeschlagen hinzugehen. Sie überquerten den Zebrastreifen, der früher zur Musikschule geführt hatte, die längst gesprengt worden war. Dann standen sie vor dem Park.

      »Da haben die sich aber richtig Mühe gegeben«, lobte Lisa und ließ ihren Blick über die zahlreichen Buden schweifen, die unter den hohen Bäumen im Karree aufgestellt waren. Mittig befand sich eine Bühne, davor und rechts daneben warteten Dutzende Bierzeltgarnituren auf die Besucher. Zwar waren schon einige Leute da, allerdings würden es im Lauf des Abends und auch morgen wohl noch deutlich mehr werden.

      »Ja, das ist immer schön, komisch, dass wir da noch nie waren.«

      Lisa zuckte die Achseln und nahm seine Hand. »Jetzt sind wir ja da«, meinte sie, und gemeinsam schritten sie die Treppe hinunter.

      »Da hinten ist die Eröffnung«, erklärte Heiko und deutete auf einen Pulk Menschen, die im Halbkreis versammelt standen. Sie stellten sich dazu, möglichst leise, da anscheinend bereits eine Rede im Gange war.

      »Und wir bedanken uns sehr herzlich bei unserem scheidenden Kommandanten Walter Lilienfelder, Walter, du hast das echt super gemacht, und deshalb wird dir jetzt die Ehre zuteil, unsere ›Gertrud‹ abzufeuern.«

      »Wen soll der abfeuern?«, wisperte Lisa konsterniert, in der Hoffnung, sich verhört zu haben.

      »Das ist die Kanone der Bürgerwache. Die haben alle Namen«, informierte Heiko grinsend.

      »Ach so«, lachte Lisa. »Na, dann bin ich ja froh, dass die Kanone nicht Lisa heißt.«

      »Nee, da nehmen sie andere Frauennamen, so ältere …« Heiko hielt inne, denn er bemerkte an Lisas Stirnrunzeln, dass sie drauf und dran war, etwas gegen die Namensdiskriminierung älterer Frauen einzuwenden. Gott sei Dank wurde ihre Aufmerksamkeit aber wieder von der Szene angezogen, die sich vor ihnen abspielte. Mehrere Mitglieder der Bürgerwache, trotz der drückenden Hitze sämtlich in Uniform und mit Hüten auf dem Kopf, die mit verschiedenfarbigen Federn geschmückt waren, hantierten an der Kanone, die in Richtung der Volkshochschule gedreht war. »Maaacht scharf!«, rief soeben einer, der einen schneeweißen Federbusch trug, einigen Männern mit grünen Federn zu. Der mit den weißen Federn hob einen Säbel waagerecht vor sich.

      »Schnell, halt dir die Ohren zu!«, riet Heiko, und Lisa fragte zurück: »Warum denn?«

      Der Mann senkte den Säbel, der scheidende Kommandant Walter Lilienfelder betätigte daraufhin irgendeine Vorrichtung an der »Gertrud« und die Kanone wurde mit einem unsagbar lauten Knall abgefeuert. Lisa stieß einen spitzen Schrei aus, was Heiko zu einem Grinsen verleitete.

      »Deshalb!«, entgegnete er und nahm die Hände herunter.

      Lisa versetzte ihm einen Klaps auf den Arm. »Du hättest mich vorwarnen müssen!«

      »Habe ich doch!«, verteidigte sich Heiko.

      »Maaacht scharf!«, erscholl es wieder zackig aus dem Mund des Weißbefederten, und diesmal presste Lisa geistesgegenwärtig ihre Hände auf beide Ohren. Der Knall, der entstand, als »Gertrud« ein weiteres Mal abgefeuert wurde, war auf diese Weise immer noch laut, aber Lisa musste nicht mehr um ihr Hörvermögen fürchten. Inzwischen erfüllte Rauch die Luft, es roch nach Schwarzpulver, und Lisa fühlte sich ein klein bisschen an Silvester erinnert. Der Einfachheit halber ließ sie ihre Hände dort, wo sie waren, bis »Gertrud« zum dritten Mal geschossen hatte. Und dann noch ein paar weitere Sekunden, zur Sicherheit, bis sich endlich alle von der Kanone entfernt hatten und die unmittelbare Gefahr eines Hörsturzes gebannt war.

      »Hiermit erkläre ich das Parkfest für eröffnet«, rief der Hagere mit den weißen Federn auf dem Hut. Die Menge spendete Applaus, und die Szenerie sah seltsam idyllisch aus, weil der Rauch, den die Kanonenschüsse erzeugt hatten, nur sehr langsam aufstieg. Die Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg durch die Baumwipfel und erleuchteten die Rauchschwaden, als seien sie einzelne Nebelbahnen, die sich vom Boden bis zum Himmel zogen. Bezaubernd wirkte das, auch wenn die Ursache eigentlich ein Kanonenschuss war. Irgendwie märchenhaft.

      Alle bewegten sich zu den Bierbänken, in Erwartung der »Bierprobe«, die als nächster Programmpunkt vorgesehen war. Der Name »Bierprobe« war eigentlich Quatsch, denn wirklich »erproben« musste man das Crailsheimer Engel-Bräu nicht, es war ja bekannt, dass es gut war. Trotzdem war die Stimmung sehr andächtig, als der Junior-Chef der Brauerei, Alexander Fach, in ein kariertes Hemd und Lederhose gewandet, mit feierlichem Ernst den Bierhahn an das Fass ansetzte und mit drei gekonnten Hammerschlägen versenkte. Applaus brandete auf, und die ganz Durstigen beeilten sich, nach vorne zu drängen und etwas vom Freibier abzubekommen.

      Heiko war nicht der Typ, der an der Bühne um Freibier rangelte, aber Durst hatte er trotzdem. Die sommerliche Hitze hatte dafür gesorgt.

      »Da hinten ist der Getränkestand«, machte Lisa ihn auf den achteckigen Stand in sattem Engel-Brauerei-Gelb aufmerksam.

      Heiko schüttelte den Kopf. »Anfängerfehler«, belehrte er. »Auf dem Parkfest muss man zuerst Bons kaufen.«

      Weil es praktisch war, kaufte er an der Bude mit der Aufschrift »Kasse« – quasi auf Vorrat – zwei Bier für sich und zwei Apfelschorle für Lisa sowie zwei Gulasch-Bons. Lisa konnte ihn allerdings davon abhalten, sofort einen Teller des deftigen Fleischgerichts zu ordern. Immerhin kamen sie gerade erst aus der Eisdiele. Sie holten sich die Getränke und setzten sich mit Blick auf die Bühne auf eine der Bierbänke, um dort mit einem Ohr dem folgenden Programm zu lauschen und sich ein wenig zu unterhalten, wie es alle hier taten.

      »Also, die Musik ist ja schon … gewöhnungsbedürftig«, fand Lisa.

      Heiko stellte sein Bier ab, schluckte und meinte dann: »Wieso? Ist doch nett. Ist halt Marschmusik. Polkas und so …«

      »Kann man dazu nicht auch tanzen?«, hoffte Lisa und hielt Ausschau in Richtung Bühne, ob da jemand tanzte.

      Heiko brummte unwillig – Tanzen war so gar nicht seins. »Ich hoffe nicht«, murmelte er und trank erneut einen Schluck Bier.

      Tobias Baumann entdeckte seinen alten Kumpel André auf einer der Bierbänke. Er hatte ihn gesucht, denn irgendwie hatte er das Gefühl, dass es seinem Freund nicht so gut ging. Er wirkte unsicher, irgendwie fremd. Und das, obwohl er schon so lange bei der Bürgerwache war. Und obwohl sie schon so lange befreundet waren. André tat sich gerade an einem Gulasch gütlich, saß mit einem der Ehinger Bürgerwachler zusammen und unterhielt sich angeregt. Tobi fasste seinen Halbekrug fester und marschierte auf die entsprechende Bierbank zu, um sich neben André zu setzen.

      »Und dann hat die dicke Bürgermeisterin ihren Arsch über die Stadtmauer gehängt«, erzählte André soeben dem Gast, der einen braunen Rock zur blauen Hose trug und ungläubig zuhörte. Sein schwarz-goldener Helm ruhte neben ihm auf der Bank. Offenbar ging es um die Horaffen-Sage, und diese rief bei den meisten, die sie zum ersten Mal hörten, mildes Erstaunen, wenn nicht sogar Unverständnis hervor.

      »Da bisch ja«, grüßte Tobi und quetschte sich neben seinem Freund auf die Bank.

      André rutschte ein kleines bisschen und biss in sein Weckle, das er zuvor in das appetitlich rotbraune Kanonengulasch getunkt hatte.

      »Is alles recht?«, erkundigte sich Tobi, während er dem Mittfünfziger, der gegenüber saß, freundlich zunickte. »Du bisch so allein.«

      André schwieg und kaute. Schluckte. »Tja, da kannsch ja mal


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