Die Pfaffenhure. Alice Frontzek

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Die Pfaffenhure - Alice Frontzek


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gelernt, wie alleine die Wortwahl und das Verhalten darüber entschieden, ob man in die höhere Gesellschaft aufgenommen wurde oder nicht. Er machte ein strenges Gesicht. Ließe er zu viel des Spaßes zu, verlören sie ihr Pflichtbewusstsein. »Dorothea, geh und hol Martin. Ich möchte, dass wir zusammen frühstücken!«

      Dorothea stand wieder auf, lief die Treppe nach oben und pochte an die Tür zu Martins Kammer. »Aufstehen! Es ist spät. Wir sitzen schon alle am Tisch. Die Eier sind fertig!«

      »Komme, danke!«, tönte es schwach von innen.

      Wenig später saßen sie alle gemeinsam in der Küche, die Hände zum Gebet gefaltet.

      »Wir danken dir, Herrgott, himmlischer Vater, dass Du uns Speise und Trank gegeben hast. Lass uns teilhaben am ewigen Gastmahl. Amen.«

      Dann aßen sie still. Während des Frühstücks schaute Martin zu seiner Mutter herüber, die seinen Blick mit einem liebevollen Lächeln erwiderte. Wie viel besser es ihr und Vater doch nun geht, dachte er. Sie meinen es herzlich gut mit uns, mit mir. Und er erinnerte sich an die Zeit, in der sie um ihr tägliches Brot ringen mussten und seine Mutter ihn um einer einfachen Nuss willen so ohrfeigte, dass seine Nase blutete. Auch sein Vater hatte ihn einmal so geschlagen, dass er vor ihm davonlief und lange nicht mit ihm sprach, bis er wieder Vertrauen zu ihm gefasst hatte. Aber Martin wusste, dass sein Vater ihn liebte. Als er klein war, hatte er ihn immer den steilen Weg zur Schule hinauf in seinen Armen getragen, bis er ihm irgendwann zu schwer geworden war. Viel Zeit war seitdem vergangen. Die letzten vier Jahre in Eisenach hatten ihn erwachsen gemacht. Davor war er ein Jahr in Magdeburg gewesen. Er schaute zu seinen Geschwistern, die zufrieden schmatzend am Tisch saßen. Ihnen erging es richtig gut, jetzt, da es die Eltern leichter hatten.

      Als Hans gegessen und seine Milch ausgetrunken hatte, brach er das Schweigen. »Martin, ich habe eine Antwort von Frau Cotta erhalten. Sie würde sich freuen, wenn wir sie in Eisenach besuchen kämen, bevor du dein Studium in Erfurt aufnimmst. Wir werden einen Umweg machen und ebenfalls bei Mutters Verwandtschaft vorbeischauen. Mutter möchte ihrer Schwester Honig von unseren Bienen zukommen lassen. Wir grämen uns nicht mehr, dass sie dich damals nicht aufnehmen wollten oder konnten – am Ende war es eine Fügung des Schicksals, dass du bei vornehmen Leuten aufwachsen und lernen durftest.« Er blickte nachdenklich zur Seite, lächelte und klopfte dann, sich selbst bestärkend, mit der Hand auf den Tisch. »Ja, eine glückliche Fügung! Grete, ich möchte Frau Cotta auch von deinem Honig, deiner Wurst und deinem Wein mitbringen. Wir brauchen einen Wagen für den Weg. Schließlich müssen wir Martin ein paar Sachen für sein Studium einpacken.«

      Jeder, der fertig gegessen hatte, stimmte nun in das Gespräch ein. Wie Eisenach denn wäre, dass man mitfahren wolle, später vielleicht einmal, was Martin denn genau studieren würde. Und er solle noch einmal erzählen, wie er in Eisenach vor den Türen für seinen Unterhalt singen musste.

      »Nun, mit mir zogen noch andere Schulgenossen mit guten Stimmen singend von Haus zu Haus. Dafür erhielten wir kleine Gaben, Parteken genannt – oder auch große Scheltworte! Ja, ich war ein richtiger Partekenhengst.« Alle brachen sie in großes Gelächter aus. Es war ein lustiges Geplapper, das sich am Tisch entspann, während Grete Teller, Becher, Pfanne und Topf reinigte. Draußen läutete die Glocke erst viermal, dann neunmal. Volle Stunde, neun Uhr, Zeit zum Fertigmachen für die Morgenandacht. Danach würde langsam alles für die Reise zusammengesucht, in Haus und Hof geholfen und das Gepäck letztmalig überprüft werden. Für übermorgen war die Abreise geplant. Ein Donnerstag. Dann könnten sie bis Samstag in Eisenach sein. Ostersonntag würden sie abends in Erfurt ankommen und am Ostermontag in der Michaeliskirche dem Ostergottesdienst, der gleichzeitig mit der Intitulation gefeiert würde, beiwohnen. Am Dienstag musste Hans wieder zurück nach Mansfeld. Dann hätte Martin noch gut zehn Tage bis zum 23. April, dem Semesteranfang.

      Kapitel 2

      1501

      Nach der Morgenandacht am Donnerstag servierte Grete eine letzte kleine Mahlzeit für die Familie und insbesondere für Martin, damit er und Hans den langen Weg bis zum nächsten Gasthaus durchhielten, ohne hungrig zu werden. Sie hatte einen Gemüseeintopf mit Möhren, Rüben, Kohl und etwas Rindfleisch zubereitet, würzig mit einem großen Stück Markknochen, Salz und etwas Bier. Dazu Brot. Ein großes Bündel Proviant hatte sie ebenfalls geschnürt: einen Laib Brot, ein Stück Schinken, einen Käse, getrocknete Pflaumen, Wein und Bier. Und natürlich die Geschenke für Frau Cotta und ihre Schwester – Honig, Wein und Kupferbecher aus dem Verkauf von Hans’ Hütte. Außerdem Messingbesteck für Martins Studentenleben, weiße Leinenbettwäsche, zwei Leinenhandtücher, Kleidung für kalte Tage und eine Decke. Martin packte sich Schreibzeug in eine flache Holzkiste: eine Schiefertafel, Kreide, zwei Bögen Pergament, Tinte, Feder und das Lateinbuch, das er zum Abschluss in Eisenach bekommen hatte. Wenn etwas fehlte, war es auch nicht so schlimm.

      »Du bist ja nicht aus der Welt. Und in den Semesterferien kommst du nach Hause!«, sagte seine Mutter, als sie ihn zum Abschied auf die Stirn küsste.

      Er umarmte seine Geschwister, streichelte den Schwestern über den Kopf und setzte sich zu seinem Vater auf den Kutschbock. Hans hatte sich von seinem Onkel einen kleinen Wagen geliehen. Davor hatte er seine zwei Pferde gespannt, die er mit Martin in Eisenach und Erfurt reiten wollte, sobald sie die Kutsche untergestellt hätten.

      Der Vater hatte seinen besten Umhang gewählt, seine gute Sonntagshose sowie das weiße, geplättete Leinenhemd, das er nur zu besonderen Anlässen trug. Er wollte den Anschein erwecken, als sei dies seine tägliche Kleidung. Er strengte sich an, sich in seiner ungewöhnlichen Aufmachung wie selbstverständlich zu bewegen, doch der kleinste Grashalm, der winzigste Brotkrümel machten ihn nervös. Grete strich ihm säubernd über sein Hemd und klopfte ihm den Umhang ab. Dazu musste sie sich auf ihre Zehenspitzen stellen. »Gut siehst du aus! Viel Erfolg und gute Reise. Bleibt auf den Geleitstraßen. Gott schütze euch!«, verabschiedete sie sich von Mann und Sohn. Sie reichten sich die Hand. Dann trieb Hans die Pferde an.

      Die Luft war noch frisch, der Himmel blau mit ein paar Schönwetterwölkchen, die Vögel zwitscherten, die Bäume trugen ihre ersten Knospen und der Boden war trocken. Es war ein perfekter Tag zum Reisen. Martin und Hans verließen Mansfeld und fuhren hinaus in die offene Landschaft. Auf den Wegen war es noch ruhig. Die meisten Menschen blieben um Karfreitag herum zu Hause. Es wurde kürzer gearbeitet und die Familie konnte sich in Haus und Hof den Ostervorbereitungen widmen, wie Grete, die buk und schmückte, um diesmal ohne Hans mit den Kindern ein schönes Osterfest zu verbringen.

      Das Hufgeklapper der Pferde und das gleichmäßige Drehen der Kutschräder auf dem teils steinigen, teils erdigen Untergrund wurden lauter, je stiller es in der Natur wurde. Es entspannte Vater und Sohn nach dem lebhaften Abschied und den aufregenden Vorbesprechungen, sodass sie in angenehmes Schweigen verfielen und jeder seinen eigenen Gedanken nachhing. Die Pferde liefen ruhig, und hin und wieder begegnete ihnen jemand mit einem Fuhrwerk oder einem Handwagen, dem sie zum Gruße die Hand hoben. Das leichte Schaukeln auf dem Kutschbock ließ Martins Augen immer wieder zufallen, bis er beim nächsten Holpern erneut aufschreckte und sich zwang, wach zu bleiben. Schließlich wollte er nicht von der Kutsche fallen.

      Mit zwei Zwischenübernachtungen in Sondershausen und Langensalza erreichten sie Eisenach am Samstagmittag. Zunächst bezogen sie einen Gasthof am Georgentor, wo sie die Pferde ausspannen und die Kutsche unter einem Dach abstellen konnten. Gegen einen Obolus wurden Hans’ Brauner und Martins Rappe versorgt. Dann machten sich die Männer auf den Weg zum Haus der Cottas.

      Martin kannte sich aus und lief seinem Vater einen Schritt voraus. »Immer in Richtung Georgskirche. Da ist der Turm!«, sagte er.

      »Ich weiß, schließlich bin ich auch nicht das erste Mal hier«, versuchte Hans mitzuhalten.

      Sie kamen auf den weiten Marktplatz mit dem Trinkbrunnen, der großen Kirche, die Martin regelmäßig zu den Gottesdiensten besucht hatte, und dem Rathaus. Ringsherum standen stattliche Häuser, und eins davon war das der Familie Cotta. Es hatte drei Stockwerke und einen großen Dachboden. Der untere Bereich war massiv aus Stein und weiß getüncht, darüber befand sich verziertes Fachwerk, grau gestrichen. Es gab viele Fenster, dekorativ geschnitzte Türen und ein großes Tor. Martin fasste seinen


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