Von einem, der auszog, einen Staat aufzubauen. Martin Heipertz

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Von einem, der auszog, einen Staat aufzubauen - Martin Heipertz


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Voraussetzung eines jeden Privatisierungsvorhabens, war das parallele UNMIK-Universum vonnöten, noch mehr sogar bei der Außenvertretung des Kosovos in internationalen oder regionalen Foren, die dem Zwergenstaat die Anerkennung als souveräne Entität versagten und sich kompromißweise maximal auf seinen vorigen Status einzulassen bereit waren.

      Die fatale Bedeutung der Rechtsverwirrung im Kosovo für die Unmöglichkeit, die Grundlagen eines Rechtsstaates nach westeuropäischer Vorstellung zu schaffen, läßt sich kaum überschätzen. Mindestens vier bisweilen grundverschiedene Rechtsvorstellungen überlagerten und neutralisierten sich gegenseitig, so daß in der Folge ein Zustand weitgehender Rechtlosigkeit Regel statt Ausnahme war:

      Zunächst war das altalbanische Gewohnheitsrecht von Bestand, mündlich in verschiedenen Versionen über Generationen überliefert und im 19. Jahrhundert von Albanologen kodifiziert in Form des sogenannten Kanun des Lekë Dukagjini, kurz Kanun (das türkische Wort für Gesetz ist etymologisch verwandt mit dem griechischen Kanon). Der Kanun regelte das Leben der landwirtschaftlich tätigen Großfamilie sowie den Umgang der Großfamilien untereinander anhand der Grundelemente Ehre, Blut und Religion. Mangels staatlichen Gewaltmonopols war wesentliches Mittel der Rechtsdurchsetzung die Selbstjustiz, von Außenstehenden meist als Blutrache bezeichnet und als solche anhand des Kanun formal reguliert – wie an vielen Orten dieser Welt.

      Später trat das Recht der osmanischen Herrscher in Konkurrenz zum Kanun, gelangte jedoch bestenfalls im städtischen Raum zur Geltung. Die Parallelität verschiedener Rechtssysteme hatte im Kosovo somit schon gewisse Tradition, bevor sie zum Staatsrang erhoben wurde. Wenn der Kanun also gleichsam das Sediment der althergebrachten Rechtsordnung ohne jeglichen Staatsbegriff war, dann lieferte das osmanische Reich den Nachhall einer über einen langen Zeitraum vergeblich und immer nur punktuell hiergegen angeführten Staatsordnung.

      Erst in der jugoslawischen Moderne unter der Faust von Marschall Tito gelang es vorübergehend, eine gewisse Einheitlichkeit des Rechtssystems im Kosovo herzustellen und durchzusetzen, doch auch dieses nicht ohne negative Folgen für die Erfolgsaussichten der sogenannten Internationalen Gemeinschaft, nunmehr für den jüngsten Nachfolgestaat des untergegangenen Jugoslawiens eine tragfähige, freiheitliche und der Marktwirtschaft dienliche Ordnung zu errichten. Die sozialistische Knebelung der im Westen Europas einigermaßen fundiert etablierten Grundsätze von Eigentum und bürgerlichen Pflichten und Freiheiten trat als weiterer Nachhall zu dem juristischen Echo des osmanischen Reiches im äußersten Südosten des Kontinents hinzu.

      Als vierte und oberste Schicht lagerte schließlich die Systematik der von der sogenannten Internationalen Gemeinschaft vertretenen Rechtsauffassung über dem bereits verursachten Chaos. Es lag auf der Hand, daß ihr Anspruch auf Geltung und Durchsetzung erheblichen Schaden nahm, als sie sich mit Eintritt in die Unabhängigkeit des Kosovos in die beschriebenen, konkurrierenden Paralleluniversen von UNMIK einerseits und dem neuen Staat andererseits aufteilte. Ein Polizist der Republik Kosova, der mit der Festnahme eines Übeltäters aus Sicht des Uno-Rechtes zumindest theoretisch eine Freiheitsberaubung vornahm, bewegte sich bewußt oder unbewußt auf unsicherer Rechtsgrundlage. Kein Wunder also, daß unter dem Schutt aller staatlichen Rechtsversuche auf dem Gebiet des Kosovos nichts anderes hervortrat als die Fratze einer degenerierten Form des gegenüber jeder Art von Staatlichkeit antagonistisch gelagerten Kanuns.

      Noch war ich unbehelligt von den juristischen Winkelzügen, die unser Wirken in der Praxis noch zur Genüge überschatten würden. Erst einmal war ich gerade angekommen und damit befaßt, mein neues Umfeld und seine Verhältnisse zu erkunden. Nach einem klapprigen Gepäckband und einer nachlässigen Zollkontrolle trat ich in den Vorraum der Abfertigungshalle, wo ein Fahrer mit handgeschriebenem Schild International Civilian Office auf mich wartete. Der Mann hieß Aidan, war großgewachsen und von düsterer Komplexion, dafür in einem holprigen Englisch sehr gesprächig und zeigte oft sein schadhaftes Lächeln. Die Straße vom Flugplatz in die Stadt war zur Hälfte Baustelle, und der dichte Verkehr rollte so langsam, daß reichlich Zeit blieb, um Blick und Unterhaltung schweifen zu lassen.

      Die unterschiedlichsten Gefährte waren Stoßstange an Stoßstange in beide Fahrtrichtungen über Schlaglöcher und Buckel hinweg unterwegs. Ein klappriger Personenbus von undefinierbarer Farbe mit blinden Fenstern und gewaltiger Rußwolke hinter dem löchrigen Auspuff. Ein giftgelber Hummer mit chromblitzendem Kühlergrill und getönten Scheiben. Fest zum Straßenbild schienen altweiße Toyota-Geländewagen mit den großen UN-Lettern und langen Funkantennen zu gehören. Wir fuhren direkt hinter einer kurzen Kolonne deutscher Radpanzer, und der Anblick des Eisernen Kreuzes in dieser fremden Umgebung steigerte meine Erregung. Der letzte Panzer der Kolonne, direkt vor meinen Augen, hatte statt des schwarz-rot-goldenen Wimpels an der Antenne ein bayerisches Fähnchen mit weiß-blauen Rauten gehißt. Schmutzige Kleinwagen aus Fernost wie glamouröse Limousinen aus Stuttgarter Produktion kamen uns entgegen, die in der Sonne funkelten.

      Im Sommer sollte der Anteil dieser protzigen Hummer und der auf Hochglanz polierten Luxusfahrzeuge deutscher Machart am Straßenbild noch erheblich zunehmen. Hinter den Steuern saßen die Schatzis, wie Kosovo-Albaner ihre Landsleute bezeichneten, die in Mitteleuropa lebten und bloß für die Sommerwochen nach Hause kamen. Ihr deutscher Spitzname in der Bevölkerung rührte von der Bezeichnung her, die sie jeder Frau im heiratsfähigen Alter verliehen. Die Schatzis wurden von den männlichen Einheimischen gleichermaßen gehaßt und bewundert. Sie besetzten die Straßencafés, fuhren ihre Schlitten über die schlechten Straßen und durch enge Gassen zum Promenieren und waren permanent auf Brautschau. Um daheim ihren in Europa errungenen Wohlstand zu demonstrieren, hatten sie große Automobile gemietet, sich mit Goldschmuck behängt und markanten Duft aufgetragen. Im Kosovo hauten sie auf die Pauke, gaben in wenigen Wochen das vom Jahreslohn Ersparte aus, wedelten mit ihren deutschen Pässen, schnappten den Einheimischen die Frauen weg und trugen dazu bei, die Preise sowie die ohnehin beträchtlichen Unfallzahlen im Kosovo in die Höhe zu treiben.

      Ein wichtiger Wirtschaftszweig des Kosovos wurde im Sommer ganz und gar von den Schatzis in Anspruch genommen, nämlich die Auto Larje genannten Anbieter einer Autowäsche. Schon während der Fahrt vom Flughafen fiel mir auf, daß kaum ein Straßenzug nicht mit mindestens einem Auto Larje aufwarten konnte, der meist auf bunten, selbstgefertigten Schildern angepriesen wurde. Ein gewisser Bedarf an Autowäsche war vermutlich vorhanden, denn es hieß, das Kosovo kenne nur zwei Jahreszeiten: Staub oder Schlamm. Da waren allein schon die vielen Dienstfahrzeuge, die gelegentlich gewaschen werden mußten. Die Hauptkunden der Auto Larjes aber waren die Schatzis, denn selbst die nobelste Karosse aus Stuttgart konnte die Damenwelt nur überzeugen, wenn sie nicht dreckverkrustet war.

      Da zu meiner Ankunft im Februar die Schatzis noch nicht im Lande waren, verwunderte das eklatante Überangebot an Autowäsche in der Nebensaison. Meist bestand ein Auto Larje auch nur aus einem altersschwachen, über einen illegalen Anschluß an das öffentliche Wassernetz betriebenen Hochdruckreiniger am Straßenrand und machte einen reichlich unprofessionellen Eindruck, während andere Waschzentren, wie ich sie später auch gerne in Anspruch nahm, straff organisiert waren und ein knappes Dutzend Fahrzeuge gleichzeitig bedienen konnten. Für zwei Euro erhielt man dort in nicht einmal einer halben Stunde den Wagen von drei Mann komplett innen und außen blitzblank gereinigt und gepflegt, wie es einem in Deutschland keine Waschstraße je offeriert hätte, während man in Ruhe auf der Terrasse am Kassenhäuschen einen vorzüglichen, landestypisch mit Schaumkrone versehenen Espresso-Macchiato und einen Zigarillo zu sich nahm. Dienstleistung statt Sozialstaat hatte als Prinzip durchaus seine Vorzüge. Als sogenannter Internationaler war man rasch gefährdet, nicht nur zynisch, sondern auch arrogant zu werden. Im Grunde waren diese Autowäscher die modernen Nachfolger jener Schuhputzer, die es hier mangels anständigen Schuhwerks nicht geben konnte, die sich aber in unseren Landstrichen überlebt haben, weil man seine Schuhe lieber selber oder gar nicht mehr putzte, als hierfür Geld zu entrichten.

      Wozu nun aber die kleinen Auto Larjes, die – anders als die großen – keinerlei Zulauf zu verzeichnen schienen? Sie dienten, wie ich bald erfuhr, vornehmlich dem Zweck, nicht etwa Autos, sondern, mittels fingierten Umsatzes, Schwarzgeld zu waschen. Die Autowäsche war somit das erste von vielen Beispielen der als Dienstleistung getarnten Geldwäsche, die mir im Kosovo unterkam. So traf man auch an äußerst abgelegenen Orten gelegentlich auf Hotels, deren Betreiber sich auf


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