Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte. Michael Borgolte
Читать онлайн книгу.einem Lehrtext aus dem 1./2. Jahrhundert u. Z., wird der Ort der befreite(n) Seele(n) in der Welt selbst beschrieben: „Wo werden die Erlösten abgewiesen? Wo haben die Erlösten ihren Ort? Wo lässt er (der jīva) seinen Körper, wohin geht er und wird erlöst? – In der Nicht-Welt werden die Erlösten abgewiesen, an der Welt Spitze aber ist ihr Ort. Hier lässt er seinen Körper, geht dorthin und wird erlöst (…). Ohne Leib manifest gewordene Seelen, hingegeben dem Schauen und Erkennen, mit Form und ohne Form zugleich, das ist das Kennzeichen der Erlösten. – Dem vollständigen Erkennen hingegeben, erkennen sie das Wesen aller Dinge. Sie schauen überallhin mit Blicken, die alles erfassen und keine Grenzen kennen. – Nicht für Menschen gibt es dieses Glück, noch auch für alle Götter, wie für die Erlösten, die ohne Bedrängnis sind. – Der Glückszustand der Götter, aufgehäuft in aller Zeit und von unendlicher Vielfalt, reicht doch nicht an das Glück des Freiwerdens mit seinen sogar unendlichen Teilen und Teilchen. – Wenn die Fülle des Glücks der Erlösten in aller Zeit aufgehäuft wäre, so würde sie, in ihre unendlichen Teilchen zerlegt, nicht einmal in den gesamten Raum passen. – So wie ein Wilder, der sich auskennt in den vielfältigen Vorzügen der Stadt, nicht davon berichten kann, weil in der Wildnis ein Vergleich fehlt, – ebenso ist das Glück der Erlösten unvergleichlich, nichts ist ihm vergleichbar. Mit Unterscheidungen freilich ist dieses vergleichbar, hört zu: – Wie ein Mann, der eine allen Wünschen entsprechend vorzügliche Speise aß, von Durst und Hunger befreit sich befindet, als sei er mit Nektar gesättigt, – so für alle Zeiten gesättigt, eingetreten in das unschätzbare Nirvāṇa, weilen auf ewig ohne Bedrängnis die Erlösten, glücklich, ins Glück gelangt. – ‚Erlöst‘ heißen sie, ‚erwacht‘ heißen sie, ‚ans andere Ufer gelangt, am Ende der Kette‘, frei sind sie vom Panzer des Karman, alterslos, todfrei und ohne Bindung. – Abgeschnitten von allem Leid, frei von den Banden: Geburt, Alter und Tod, ohne Bedrängnis auf ewig genießen Glück die Erlösten. – Im Ozean unschätzbaren Glücks zu unvergleichbarem Wohlbefinden gelangt, weilen sie in aller zukünftigen Zeit, die Glücklichen, ins Glück gelangt.“526
Mit dem Jainismus teilt der Buddhismus527 das Streben nach Erlösung als Befreiung von der Welt und hier wie dort steht die Gemeinschaft von Mönchen (und Nonnen) im Zentrum des religiösen Lebens und der Lehrtradition. Siddhārtha Gautama, der auch Śākyamuni genannt wurde und aus dem Gebiet des heutige Nepal stammte,528 erlangte im Alter von 35 Jahren die ‚Erleuchtung‘ und verdiente sich daher den Ehrennamen ‚Buddha‘.529 Er hatte sechs Jahre zuvor seine Familie und Heimat verlassen, um als wandernder Bettelmönch die Unsterblichkeit zu suchen – nicht im Sinne eines ewigen Lebens wie die Christen oder Muslime, sondern in der Befreiung von der unendlich langen Reihe leidvoller Existenzen. Das nirvāṇa, das er wohlgemerkt schon zu Lebzeiten und sogar als junger Mann erreicht hatte, bestand in dem Verlöschen von Gier und Lebensdurst, Hass und Verblendung, und sollte bei seinem Tod als Achtzigjähriger mit dem Ende aller Körperfunktionen nur noch in das endgültige Nirvāṇa (parinirvāṇa) übergeführt werden. In der zweiten Hälfte seines Lebens widmete er sich, getrieben von unendlichem Mitleid, dem Bemühen, schlechthin alle Wesen zum Nirvāṇa zu führen. Nach seiner Erfahrung, Überzeugung und Lehre konnte freilich nur jeder Mensch selbst zur erlösenden Einsicht gelangen, dass alles vergänglich, leidensvoll und ohne dauerhaften Kern sein, dass also kein Gott und auch kein Mitmensch ihm dabei helfen könne. Der von ihm nach enttäuschenden Ergebnissen extremer Askese entdeckte ‚mittlere Weg‘ war nur im religiösen Orden, dem saṇgha, zu beschreiten. Dagegen kann der Laie die Erlösung grundsätzlich nicht erreichen.530
Im Gegensatz zum Brahmanismus und Hinduismus, die an die Existenz eines dauerhaften, ewigen Selbst glauben, lehnte der Buddha die Vorstellung von einer Seele radikal ab. „Der Buddhismus ist die Lehre vom Nicht-Selbst (anātmavāda).“531 Menschen, die wie die Laien freigebig waren, sittlich handelten und gute Taten vollbrachten, hofften noch auf eine gute Wiedergeburt nach ihrem Tod, hielten also am Glauben an das eigene Selbst fest. „Der Glaube an ein ‚Ich‘ ist jedoch nicht zu vereinbaren mit buddhistischer Erkenntnis, der Überwindung des Begehrens und dem Weg zum Nirvana.“ Für die Frage, wie die Lehre von der Vergeltung für gute oder schlechte Taten bei der Wiedergeburt mit der Behauptung zu vereinbaren sei, dass kein Wesen einen stabilen Kern habe, den man ‚Seele‘ oder ‚Selbst‘ nennen könne, bot der Buddha eine geniale Antwort an. Das, was sich von Existenz zu Existenz fortbewege, sei nur ein Bündel körperlicher und geistiger Bestandteile, die von der Begierde in Bewegung gehalten werden und in verschiedenen Formationen beim Zyklus der Wiedergeburt in Erscheinung treten.532
Das Nirvāṇa ist nicht das Paradies; es ist ort- und zeitlos und wird negativ bestimmt als „Ende des Leidens“, positiv als „höchstes Glück“ (parama sukha). Da es in ihm aber kein Begehren und keine Empfindung mehr gibt, ist dies ein Glück ohne Glückseligkeit.533
Wie im Jainismus sind die Mönche und Nonnen im Buddhismus auf die Hilfe der ‚Haushalter‘ angewiesen, die sie mit Almosen, Kleidung, Schlafstätten und Medizin (u.a.) versorgen;534 allerdings waren sie selbst, im Unterschied zu den Jaina-Mönchen, nicht zur persönlichen Armut verpflichtet.535 Die Gegenleistung der Asketen für die Gaben der Laien bestand wiederum in deren Belehrung.536 Auf die Verbesserung ihrer Wiedergeburt als Lohn erworbenen Verdienstes sahen sich die Laien auf Dauer auch nicht beschränkt. Am Ende des ersten vorchristlichen Jahrtausends bildete sich eine neue Form des Buddhismus heraus, der Mahāyāna, „Großes Fahrzeug“, genannt wurde und sich polemisch vom älteren Hīnayāna, „Kleines Fahrzeug“, absetzte.537 Die Anhänger verpflichteten sich, die Laufbahn eines Bodhisattva, eines künftigen Buddhas, einzuschlagen. Im Unterschied zum Buddha selbst und seinen ersten Schülern wollten sie den Eingang ins Nirvāṇa auf unvorstellbar lange Zeit hinausschieben und unzählige Existenzen durchlaufen, und zwar, um möglichst vielen Menschen aus Mitgefühl auf ihrem Weg zur Erlösung helfen zu können. Die Selbsterlösungslehre ist hier eine überaus eindrucksvolle Verbindung mit der ebenfalls buddhistischen Idee des grenzenlosen Mitleids eingegangen.538
‚Stiftungen für das Seelenheil‘ konnte es in einer Religion nicht geben, deren Botschaft in der Ablehnung eines beständigen Existenzkerns aller Lebewesen und damit auch der Menschen besteht und deren Ziel gerade die Auslöschung des Ichs mit seinem Lebensdurst und seinem Begehren ausmacht. Stiftungen sind aber möglich als Wohltaten zur Verbesserung des eigenen karman.539 Auch wenn der Buddha gelehrt hatte, dass jeder Mensch nur aufgrund eigenen Verdienstes im Zyklus der Wiedergeburten vorankommen und zuletzt das Nirvāṇa gewinnen kann, lassen sich Gedanke und Praxis der Verdienstübertragung schon im alten ‚Mainstream-Buddhismus‘ verifizieren.540 Das zeigen etwa Stiftungsinschriften an religiösen Bau- beziehungsweise Bildwerken aus Mathurā (heute im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh), die von Mönchen stammten: „(Dies ist) die Gabe des Mönchs Buddhapāla, (die dargebracht worden ist) als eine Tat des Verdienstes für seine Eltern und aller Wesen.“ An „diesem Tag wurde ein Bild des Glücklichen Śākymuni [Buddha] durch den Mönch Buddhavarman errichtet zur Verehrung aller Buddhas. Durch diese religiöse Gabe möge sein Lehrer Saṅghadāsa das Nirvāṇa erreichen, (und es möge auch dargebracht sein) für das Ende alles Leidens seiner Eltern (… und) für das Wohlergehen und das Glück aller Lebewesen.“ „Möge [diese Gabe] eine Art des Verdienstes für seine verstorbenen Eltern sein. Möge sie (auch) Gesundheit schenken seinem Gefährten Dharmadeva.“541 Wie aus den Quellen hervorgeht, sollte die Verdienstübertragung durch Stiftung Lebenden und Toten, Eltern, also Verwandten, und offenbar noch anderen Menschen zugutekommen, während das Nirvāṇa selbst im frühen Buddhismus als Stiftungsziel nicht häufig belegt werden kann.542
Im Mahāyāna-Buddhismus fanden nicht nur die Asketen, sondern auch die Laien Erlösung, indem sie auf die Hilfe von Bodhisattvas vertrauten. Einige dieser Gestalten wurden deshalb besonders verehrt. Zu ihnen gehörte vor allem Maitreya,543 der schon vor dem Buddha Śakyamuni gestorben und in den Tuṣita-Himmel eingegangen sein soll; dort warte er auf den Zeitpunkt seiner Rückkehr auf die Erde, um die Buddhaschaft zu erwerben und den dharma zu verkünden. Von Maitreya, dem zukünftigen Buddha, erhofften sich seine Anhänger, die weniger in Indien als in Zentralasien verbreitet waren, Hilfen in ihrer Todesstunde und das Geleit in seinen ‚inneren Palast‘. Unter den mindestens tausend bezeugten Buddhas wurden neben Maitreya („der Gütige“) auch die fünf ‚Tathāgatas‘ verehrt,