Das Grimmingtor. Paula Grogger

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Das Grimmingtor - Paula Grogger


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als nämlich die Veitkramerin ein Schaff Wasser vom Bach holte, bedeutete ihr Raimund Winkler von weitem, sie sölle nur geschwind sich bergen, item der Feind wäre im Anzug.

      Sie verstand es so halb und halb, weil der Bach spritzte und gluckste, aber sie schlug die Hände überm Kopf zusammen und lief, um einige Beihilf bittend, zum Nachbarn. Die Stralzin fing fast zu weinen an. Denn ihr Ehewirt ergötzte sich wieder einmal auf weitem Spazierwege. Und wenn nicht ihr Bruder Sebastian zur selben Stund gütlich gekommen wär und hätte den Bräuknecht und die Dienstboten geheißen, wie Häuser und Höfe zu verschanzen seien, es möchte ihr die Angst wohl geschadet haben.

      Der ganze Nachmittag war angefüllt mit überstürzter Arbeit. Sie sammelten das Vieh, welches noch nicht auf die Alm getrieben war, und mancher arme Keuschler brachte seine Kuh zum Stralzen, zum Torbäcken oder Talmoar, weil diese einen festen Stall hatten. Kein Fuhrwerk rollte über die Gasse. Kein Mühlrad ging am Bach. Die Hausväter schritten ihren Besitz ab, Balken, Schlösser und Riegel prüfend. Die schöne Leinwand, in langer Winternacht gespunnen, in sauberen Maitagen gebleicht, war hinter die hohen Dachsparren gelegt. Die Butterstrutzen und das Selchfleisch lagen nunmehr in einem muffigen Kellerschluf. Und das Geld und Geschmeid war an einem versteckten Platze eingemauert.

      Die Mutter Stralzin ging auch, als es dunkel wurde, mit einem Leuchter in die alte Rauchküche, gefolgt von Regina, so in eiserner Spatel die Silbergulden und Golddukaten, Ohrring, Halskette und das elfenbeinerne Kreuz von Jerusalem trug.

      Die Frau Mutter sagte: »Bst!« und hob nach längerem Tasten einen Stein aus der Wand, legte den Schatz in das Loch, welches voll Asseln und Ohrwürmer und Spinnweben war, und sagte, dem Dirnlein ins Gesicht leuchtend:

      »Rögerl«, sagte sie, »wann ich sterben sollt … so weißt es.« Ganz kalt und schaurig gruselte es über den Rücken des Kindes. In dem unschuldigen, aber von Not und Arbeit frühreifen Herzen fühlte es, warum die Frau Mutter so ernsthaft war, und wußte auch, was sie hiemit andeutete, zumal die Dienstleut über die natürlichen Dinge des Lebens unverhohlen diskurierten.

      So nickte Regina, wagte aber dabei nicht, die Stralzin anzusehen. Und dieweil ein lieblicher Schatten ihr Gesicht färbte, hat sie sich nach dem Stein gebückt und selbigen in die Höhlung hineingeschoben. Alsdann schwärzte Frau Constantia alle Fugen mit Ruß, sagte nochmal »Bst!« und ging mit der kleinen Dirn leise fort.

      In den Hausflur tretend, bemerkte sie, wie dusend es bereits geworden war. Die Viehmagd, welche soeben vom Melken kam und mit der einen Hand das halbvolle Schaff auf dem Kopfe hielt, mit der andern das schwere Tor abzuschließen versuchte, meldete, unter ihrem Steckkröpflein keuchend:

      »Hiaza sind s’ da!«

      Sie war, im Hof neugierhalber ein wenig ausspähend, eines Mannes mit Stock und Laterne ansichtig worden und hinter diesem eines lebendigen Gewühles von Gestalten und Stimmen, so laut und hell, daß es ihrem Herzen einen Stich gegeben hatte und sie geloffen war, bis die fette Milch in Güssen über ihre Achseln planschte.

      Die Stralzin machte einen schweren Seufzer und das Dirnlein einen Schrei. Doch ein guter Schutzengel muß sie behütet haben, daß sie ansonst nicht allzusehr erschraken.

      Es war niemand anderer als der Herr Vater …

      Er ist, vom wunderbaren Maitag verlockt, über den blühenden Berg gegangen und hat an der Salza den Lebzelter von Gröbming angetroffen, so von der Obrigkeit als Dolmetsch hieher befohlen war, weil die Franzosen in der Sagmühl eine provisorische Untersuchung und peinliches Gericht abgehalten. Es ist ein subalterner französischer Offizier, welcher die Bataillonskassa in Obhut mit sich geführet, von unbekannter Hand erschlagen und beraubt worden. An der Wegscheid zwischen der Poststraße und dem Steinkeller lag die Leich seit zwei Tagen verscharrt.

      Mit seiner gewohnten Ruhe, aber der ihm eigenen Hartnäckigkeit besprach und beleuchtete der Stralz das Vorkommnis von allen Seiten; welches, so muß beigefügt werden, auch später nicht völlig enträtselt wurde. Erst durch die Dämmerung gemahnt, trat er den Rückweg an. Dieser war nicht so schön wie der Ausgang, denn das Gehörte beschäftigte seinen Geist und beeinflußte mißfarbig das Bild des blauen Abends … Später stieß er auf Schulbuben, die sich immer noch in den Wäldern des Mitterbergs herumtrieben, aber bereits zu fürchten begannen und ihm schüchtern bekannten, daß sie seit dem Elfuhrläuten auf der Franzosenpaß lägen. Dies erheiterte ihn. Er pfiff sie alle zusammen, und sie folgten ihm gern, schon wegen der guten Lebzelten, die er bei Gelegenheit austeilte.

      Als Pater Gabriel durch die Schießscharte des Schloßgemäuers schaute, wunderte er sich nicht wenig über den seltsamen Zug, reichte sodann geistesgegenwärtig eine Laterne heraus, sie höflich zum Gebrauche anbietend. Und so. kam der Stralz mit einem Licht und etlichen Lausbuben bis auf die Dorfbrücke. Dortselbst ging gerade sein Bräuknecht, der Blasel, und ohne daß dem Herrn Vater die schreckliche Angst der Öblinger wißlich gewesen wär, machte er sich den Spaß und sagte:

      »Hiaza kömmen s’!«

      Der Bräuknecht schmunzelte und kraulte sich das Haar.

      »Ah ja …«, brodelte er gemütlich. »Ah ja. Die Franzosen!«

      Die Kinder vollführten ein großes Spektakel, allein der Stralz trieb sie auseinander, und beide Männer warteten, bis das letzte ins Dunkel geschlüpft war. Dann ging der eine wie der andere seines Weges …

      Nach diesem Tage, welcher glimpflich mit dem Schrecken abgelaufen war, trat als dessen Folgeerscheinung eine gewisse Gleichgültigkeit bei den Öblingern hervor. Sie gewöhnten sich allmählich an die Gefahr, um so mehr, als sich tatsächlich kein Feind im Dorfe blicken ließ. Nur ihre Schätze und Lebensmittel bewahrten sie, soweit es anging, im Versteck, und ihre breden Kinder hielten sie mit der häufigen Drohung im Zaum, daß auf die Nacht schon ein wilder Franzos kommen würd und sie allesamt mitnähm.

      Der Ennshofer erschien selten und wählte aus reiflichen Gründen die abseits gelegene Fahrstraße über Alt-Irdning und Nieder-Öblarn. Auch die Post blieb aus, und von den Studenten hörte man gar nichts. Die Frau Mutter dachte ihrer besorgt, während sie im Garten die abgestandenen Krautpflanzen auszog, Nagel, Feigel und Rosenstöcklein vom Geschirr in die Rabatten setzte und vom Mistbeet die Fenster nahm. Denn seit der Frühe streifte der Wind warm und milde, so daß ein wohltätiger Regen zu gewärtigen war. Noch aber trübte kein Wölkchen die Sonne. Mit strahlendem Duft öffneten sich die blauen und violetten Fliedertrauben. Der Jasmin knospete noch.

      An der Berghamm-Lacke war’s dunkelgelb von Dotterblumen, und die Enns abwärts leuchtete es ganz weiß von Narzissen. Wo das hohe Schilf in den Sumpfwiesen überhandnahm, wuchsen die Schwertlilien auf schlankem Stengel, sich hin und wider neigend. Kleine Mädchen, welche den Fronleichnamstag schon ungeduldig herbeisehnten, gingen oftmals hinüber und schauten nach, ob die Blumen dieweil nicht gar würden oder verwelkten. Und da prellte es den Boden unter ihren Füßen und schreckte sie. Dann wieder kam ein dumpfes Rollen von irgendwo, so undeutlich, daß sie kaum wußten, ob sie überhaupt etwas vernommen hatten.

      Auch die Frau Constantia im Garten horchte auf. Der Bader Gasteiger, welcher beim Grillen zur Krankenvisite gewesen, behauptete, auf der Höhe erkenne man solchen Schall als Kanonendonner, und nach einer Weile hörte jedermann, daß im Murboden bereits der Krieg war. Und längst bevor der optische Telegraph das zehn Stunden währende Gefecht dem Kaiserlich-Königlichen Hauptquartier angezeigt hatte und die Kuriere in gehetztem, todesmutigem Ritt das Land durchquerend, erraten ließen, daß der Feind wahrhaftig mit Blut und Feuer eingebrochen sei, wußten es die Leut, fühlten es mit eigenem geschärftem Sinn und wichen von ihrem Posten nicht. Der Tauernpaß bei Radstadt, welchen Jellacic hatte freigelegt, sintemalen er durch Erzherzog Johann nach Grätz abberufen worden, der Paß also war nunmehr von der Bürgermiliz und den Bauern wehrhaft besetzt. In der Sölk, bis Sankt Nikolai hinein spürte man wachsam jedem Lüftchen nach, so von Süden wehte. Desgleichen gab es auch zu Donnersbach-Wald und im Bayreuth ein Häuflein Jager und Wilddiebe, welche, von der Not und Heimatliebe gedrängt, gemeinsam ihre Stutzen auf die Achsel nahmen.

      Die Mutter Stralzin horchte in den nächsten Tagen beständig, ob kein unheimlicher Laut übers Tal zitterte, sinnierte und studierte hin und her … bis ihr solches zu dumm wurde und


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