Das Grimmingtor. Paula Grogger

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Das Grimmingtor - Paula Grogger


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sie bis ins Knieholz. Das breit gefingerte Laub der weißen Nieswurz blieb tief unter ihnen. Noch eine verdorrte Zwergkiefer fanden sie. Dann war der Boden nackt …

      Wieder ein Laut, als schlüge eine Glocke. Da schaute der Jüngste zurück und bemerkte mit scharfem Auge den langen Zug von Betern. Gleich einem nickenden Blumenstern erschien ihm jede Fahne und der brokatene Himmel wie ein Rosenblatt. Dieser Anblick bewegte ihn so gnädig, daß er eiligst umkehrte.

      Der Jager stieß einen Juchzer aus, daß es von den Wänden widergellte. Es klang abscheulich.

      Und als sie tausend Schritte höher waren, brach ein lockerer Stein vom Felskamin und kugelte in Gestalt eines Totenkopfes schaurig tosend bei den Mannsbildern vorüber. Da machte der zweite gegen alle Gewohnheit ein Kreuzzeichen und schlich davon. Der dritte nur ging mit dem Jager bis zum Tore.

      Es war in Wirklichkeit nicht geheuer …

      Spät am Abend erst kam er leichenblaß und gehetzt ins Dorf. Und als sie ihn fragten, spähte er im Verschnaufen nach jeder Seite, wischte sich zitternd über das Gesicht und sprach:

      »Es ist wahr! Weit offen stund das steinerne Grimmingtor. Und Pracht und Prunk gab es zu sehen, wie sich keiner von euch einbilden mag. Gold, Silber und Demantbrocken. Wer weiß was noch für Raritäten. Glaubet mir, mit der Schatztruhen, so zunächst in der Höhlen gewesen ist, mit der allein kunnt ich Herzog von Steiermark werden …«

      »Und der Jager …?« haben sie gefragt.

      »Erschröcket nit!« stammelte der Bursch. »Der Jager ist halt hineingegangen. Und sintemal die Zeit dahinstreicht, will ich ihn rufen … Es verschlagt mir die Red … Und dann … höre ich von weit her einen krachenden Böllerschuß …

      Das letzte Evangel, denk ich bei mir selber.

      Im nämlichen Augenblick ächzet was … staubet was … fliegt der Schotter von der Wand, und für meiner ist das Steintor zugefallen …«

      Ob die Geschichte wahr ist?

      Muhme Maria hat mir erzählt. Ich meine diejenige, welche ist nach Jaffa und Jerusalem gereist. Der Mond, über den Goldputz der Haube, über zerbröckelten Rosmarin und seidene Brauttracht rieselnd … der Mond hat mir erzählt. Und die alte Schäferuhr im Glasgehäuse hat eine liebe Stimme, wenn es dusend geworden ist.

      Vielleicht ist es wahr?

      Vielleicht auch, daß ich mich verhört habe, denn ich bin ganz gewiß kein Sonntagskind …

      Frau Constantia erlebte in der folgenden Zeit noch manches Unverhoffte, doch wenig also Seltsames mehr. Sie hatte das verborgene, liebreiche Schicksal der Hausfrau und Mutter, wurde breit und stattlich und vergaß voll Eifer und Geschäftigkeit gar bald des tollen Jagers, welcher für sie in Ungnad sein Leben gelassen hatte. Unmerkbar mäßigte sie auch das jähe, aufbrausende Naturell, insonderheit und ausnahmslos ihrem Eheliebsten gegenüber; weil dieser sie in den sieben Jahren des Brautstandes an seinen strengen Willen gewöhnt hatte und weil er durch eine frühe Verantwortung für Besitz und Geschwister ein ruhiger und reifer Mann geworden war.

      Sie hatte Kinder von geradem Wuchs, blondborstigem Haar und schieferbläulichen Stralzenaugen. Von ihr jedoch erbten alle den trutzigen Sinn und die schamhaft tiefe Empfindlichkeit des Herzens. Bei ihrem Jüngsten ging es überdies recht eigen zu, fast ingleichen der Geschichte des lieben Schöpfers mit dem Distelfink. Sie hatte, bildlich gesprochen, ihre schweren Zinnkrüge, ihre geschnitzten Becher und ihre Tonschüsseln ausgeleert, hatte Rupfen, Leder und Loden verbraucht; und als sie nun ihr letztes Kindel mit irdischem Körper kleiden und mit ihren Säften stillen und ernähren sollt, besaß sie im ganzen Eigentum nichts Handfestes mehr. Weil es ihr aber doch unendlich teuer war, so machte sie, bildlich gesprochen, die gute Stube auf und schenkte ihm nach und nach alles Sonntägliche, alles Unantastbare, was Vater Stralz wohl in besonderen Ehren hielt, wessen jedoch sie und die andern Kinder entraten konnten. So gab sie als echte Mutter auch ihr Letztes aus … in halber List und in halber Demut.

      Kein Wunder, es wurde füglich aus diesem Kinde ein merkwürdiger, unbrauchbarer Mensch, für welchen die Welt eine immerwährende Anmutung und ein Wunderkasten Gottes blieb. Und alldieweilen er mit entzückter Sehnsucht und gefalteten Händen davorstund, glitt ein Ästchen Gnade, ein Sternlein Schicksal durch die Hände der andern, wurde zerteilt, zerpflückt und sonder Ehrfurcht hintan geworfen.

      Oh, wie töricht!

      Man achtet vieles gering in guten Jahren. Erst wenn man anfängt, die Blume vom Wegsaum aufzuheben, wenn man jeder unscheinbaren Knospe, jedem Tautropfen sich achtsam zuneigt, als wären sie ein Teil unseres Lebens, wenn jegliches wieder Gleichnis und Geheimnis wird … dann …

      »Oh, wie seltsam«, sagte der feine und besinnliche Herr und lächelte, anstatt den Ausspruch in seiner Chronika zu vollenden. Ich meine ihren jüngsten Sohn, den Schulmeister Johannes.

      Er liebte überhaupt, dem Beispiel großer Männer entsprechend, seinen Gedanken eine feierliche Form zu geben, er liebte es, mit fein gespitzten Gänsefedern zierliche Reime und Figürchen zu erfinden, und meinte in guten Stunden, er werde dermaleinst als ein vielberühmter Mann der ganzen Welt offenbar. Freilich, in bösen Stunden bekümmerte ihn seine bescheidene Profession, und wann er frühe, zu Mittag und auf den Abend zum Gebetläuten ging, was ihm gleichsam aus dem Erbverlaß seines Göden zustand, so bedachte er, daß er trotz aller Gottesgaben und Talente sein Lebtag ein armer Mesner und Schullehrer blieb. Und er zürnte bei solcher Gelegenheit seinem Herrn Vater, insbesonders aber den Brüdern, welche in Anbetracht mancher Erfahrung von der Studi ebensoviel hielten wie ein lustiger, grüner Heuschreck von der Geheimen Offenbarung. Seine Brüder waren aus gröberem Holz, waren Frühjahrskinder, das muß gesagt werden. Und noch vieles muß gesagt werden, bevor die Geschichte des jüngsten Stralzen ihren Anfang nimmt; denn er wäre vielleicht ein gelehrter Mönch zu Admont geworden, ein Sekretarius des erlauchten Prinzen Johann, ein Erzbischof vielleicht oder ein Hofpoet. Allein es haben die Begebenheiten in der großen Welt wie auch im kleinen Dorfe Öblarn einen ganz erheblichen Einfluß auf sein Leben genommen, lang vor der Zeit, wo es in der christlich-katholischen Taufmatrikul gebucht war. Und Gott in seiner Vorsicht hat dem letzten Kinde der Mutter Stralzin die Flügel gestutzet, als es noch mit den Beinvögeln flog.

      Still! Ich möchte nur zuvörderst von der Liebe erzählen, nicht allzu laut, nicht allzu viel; denn die Liebe des Herrn Andreas Stralzen und seiner Frau Constantia war für niemanden bemerkbar; sie erlöste sich in keinem Worte und in keiner übermäßigen Zärtlichkeit, aber sie muß sehr groß gewesen sein, zumal sie durch ein solches Unmaß von Leid ist ausgeglichen worden.

      Die Eheleute kamen oft den ganzen Tag nicht zusammen. Der Stralz, wiewohl er Bräumeister und Fleischhacker war, rührte die Hand zu keiner Arbeit. Er brauchte die Halbscheid einer Woche, um seine Liegenschaften, zusamt Grund und Boden zu mustern, er las die Grätzer Bauernzeitung, politisierte in der Wirtsstube und schrieb hienach alles Merkwürdige seiner Zeit ins Notizbuch. Er konnte es wohl tun, weil auf die Dienstboten ein Verlaß war und seine Ehefrau als die bravste Magd im Hause werkte. Dabei aber hielt sie sich dermaßen stolz und aufrecht, daß keine von den Nachbarinnen sich in ihre Nähe wagte und ihres Vertrauens teilhaftig wurde. Sie erblühte immer schöner unter der verschwiegenen Liebesglut, besonders in den Monaten, wo sie das erste Kind getragen hat. Bei jeder Frucht, die reifte, bei jedem Blatt, das in ihren Garten sank, beim Schneewirbel, der vor den blinden Butzenscheiben anstob, immer bedachte sie, was für ein liebliches Gespiel dies für ihren Buben sein werde, wann er einmal auf der Welt war … Oft an Sonntagen wartete sie eine Stunde im kalten Söller, bis ihr Eheherr von einem weiten Spaziergang zurückkehrte. Sie sprachen alsdann vom Wetter, vom Gesind und von der Wirtschaft. Sie spürte ihn bei sich vorüberstreifen. Das tat ihr wohl, doch sie zeigte es nicht und war wie eine Braut.

      Im Frühjahr, Anfang Märzen, feierten fünfzig Schladminger Knappen ihren Einstand im Walchenbergwerk. Da gab es trotz der heiligen Fasten einen recht übermütigen Tanz in der Grafen Tavern, item dem Bräuhaus des Herrn Andreas Stralzen. Es steht freilich nur einen Sprung weit über die Straße; aber wie oft mußte die fleißige Hauswirtin diesen Sprung tun, wieviel


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