Italien - Gefangen in Land und Liebe. Alexander Frey
Читать онлайн книгу.kamen überein, dass ich jetzt sicher ohne weitere Gefahr mein Ziel erreichen würde.
Sie hatte ihre Sache gut gemacht. Mit einem unbestimmten Gefühl zwischen Melancholie und Hoffnung nahm ich in dem Bewusstsein, sie nie wieder zu sehen, von ihr Abschied. Ein Gefühl, das ich schon so oft in diesen letzten Jahren verspürt hatte, wenn ich mich von Menschen, die ich nur flüchtig kennengelernt hatte, mir aber so vertraut waren, wieder trennen musste. Gleichsam ein Gefühl von Glück und Schmerz, einem Menschen begegnet zu sein, der dieses Leben um so vieles bereicherte. Allein! Aber ich hatte keine Zeit, diesem Gedanken nachzuhängen.
Das letzte Stück bis zur Stadt verlief ohne weitere Zwischenfälle.
Nur flüchtig nahm ich beim Näherkommen die Schönheiten dieser altertümlichen, romantischen Stadt wahr. Die alten Türme und Kuppeln, die Mauern des Kastells vermittelten den sicheren Eindruck über Urzeiten währender Beständigkeit.
Als ich die Brücke erreichte, die zur Stadt hereinführte, hätte ich weinen mögen. Von Niedergeschlagenheit und Verzweiflung gepackt, hielt ich wie gelähmt an.
Die Brücke, die von deutschen Soldaten gesprengt worden war, wurde nun von deutschen Gefangenen, unter Bewachung der Amerikaner, wieder repariert. Es waren die ersten deutschen Gefangenen, die ich zu Gesicht bekam. Das war endgültig das Ende.
Ich ließ mich etwas unterhalb der Brücke von einem Fischer in seinem Kahn über den See setzen, zahlte in Lire und dankte ihm dann kurz.
Auf dem Deich auf der anderen Seite stand ein Zivilist und kontrollierte die Papiere. Wieder pfiff ich das Lied der „Banderi rosso“, zupfte mein weißes Taschentuch höher aus der Revers-Tasche, „das Erkennungszeichen der Partisanen“, wie mir der Patrone versichert hatte und drückte mich um den Posten herum, als er gerade die anderen Passagiere überprüfte. Schnell radelte ich in die Stadt.
Ein unbeschreibliches Gefühl der Freude, nun endlich in Sicherheit zu sein, überkam mich.
Wenige Augenblicke später kam auch schon die Ernüchterung. Was ich nun erlebte, erforderte wirklich das Äußerste an Beherrschung, um nicht endgültig aufzugeben.
Wo ich hinsah, Soldaten über Soldaten. Die ganze Stadt schien eine einzige Lagerstätte von Militär zu sein. Auf dem großen Marktplatz vor dem alten Kastell saßen die Soldaten bei ihren Fahrzeugen. Ich schätzte ungefähr tausend. Ein wahrer Hexenkessel. Hier im Hof des Kastells zu Mantua wurde Andreas Hofer erschossen. Hier musste ich vorbei. Vorbei an den feindlichen Soldaten, die auf der Straße herum saßen. Ihre Augen fragend, lauernd und abschätzend auf mich gerichtet, beobachteten sie mich genau. Ich kam mir vor, als müsste ich Spießrutenlaufen. Ein Entkommen wäre unmöglich gewesen. Also Ruhe bewahren. Singen, pfeifen, weiterfahren, nur keine falsche Bewegung. Aber mein Äußeres gab wohl den Anschein, dass ich wie ein echter Italiener wirkte. Und das, obwohl ich noch immer meine Sprungstiefel von brauner Farbe und mein Kaki-Hemd an hatte. Nur die Jacke und Hose waren von dem Bauern. Das Haar dunkel und wellig, wie bei einem Südländer, alles dick eingepudert mit weißen Straßenstaub. An der Querstange des Rades war in einer alten Decke ein ganzes Paket Nazionali-Zigaretten eingewickelt, damit ich was zum Tauschen hatte, wenn mein weniges Geld ausgehen sollte.
Aber auch diese bangen Minuten meines jungen Lebens gingen vorüber. Es war mir kostbar. Mit meinen 21 Jahren hatte ich ja gerade erst angefangen zu leben, es erst durch die Gefahren, Ängste und Entbehrungen des Krieges richtig schätzen gelernt. Ungefähr 100 Meter hinter dem Marktplatz fand ich die Via Cailori.
Ich holte noch einmal tief Luft, bevor ich mich in das Haus wagte, in der Hoffnung, dort keinem Soldaten mehr zu begegnen.
Alles, was ich bisher erlebt hatte, wurde von einem derart ausgelassenen Geschrei überspült, wie es nur dem Temperament der Südländer eigen ist. Die alten Bekannten schrieen und tobten durcheinander, ein einziger Freudentanz wurde aufgeführt und alles war vergessen.
Ich wurde herumgereicht, als wäre ich der Stolz der ganzen Sippe, alle drückten mir die Hand, jeder wollte mich küssen.
Meine Ankunft muss sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen haben. Es kamen immer mehr Verwandte in die Küche, in der wir uns aufhielten, um mich zu begrüßen. Ich wusste gar nicht, dass die Familie so groß war.
Nach dem ersten Getränk und ein bisschen Stärkung kamen die Herren der Schöpfung ins Haus. Zu meinem Entsetzen hatte jeder eine Pistole am Gürtel hängen.
Ich kannte mich nicht mehr aus, was sollte das nun wieder? Für mich waren sie immer Zivilisten und brave Bürger gewesen, die sich um Krieg und Politik nicht kümmerten. Nun standen sie als Freiheitskämpfer vor mir. Und ich war ihnen in jeder Weise ausgeliefert. Sie konnten mit mir machen, was sie wollten.
„Was soll das Zeug?“ fragte ich besorgt, in dem ich auf ihre Waffen deutete.
„Das hat nichts zu sagen“, antworteten sie freundlich, mich beruhigend. „Freiheitskämpfer ist jeder von uns hier immer gewesen.“
„Und was soll jetzt werden?“ fragte ich, immer noch unsicher.
„Mach Dir keine Sorgen, Du hast nichts zu befürchten“, gaben sie mir aufmunternd zu verstehen. „Du hast Dich als Soldat in unserem Land uns gegenüber immer anständig geführt, also werden wir es Dir gegenüber auch so halten. Das ist doch selbstverständlich.
Du bleibst unser Gast.“
Trotz dieser gastlichen Herzlichkeit war ich mir nicht ganz sicher.
Sollte das wirklich eine Garantie für mich sein? Ich hatte kaum noch Hoffnung.
Am nächsten Morgen kam der Onkel, seines Zeichen Zweiter Bürgermeister der Stadt. Er redete auf mich ein.
„Es tut mir leid, aber Du kannst nicht bleiben, es hat keinen Sinn.
Es gibt zu viele Denunzianten, die Dich jeden Augenblick verraten könnten. Auf jeden deutschen Soldaten ist eine Kopfprämie ausgesetzt, wenn er bei Zivilisten gefunden wird. Die Gefahr ist zu groß für Dich, aber auch für die Familie. Du verstehst?“
„Ja, ich verstehe“, antwortete ich völlig niedergeschlagen.
„Unter diesen Umständen bleibt mir wohl nichts anderes übrig. Ich werde also in ein Lager gehen.“
Ich war an einem Tiefpunkt angelangt, den auch die Wiedersehensfreude nicht mehr aufhellen konnte.
Aus der Traum von der Freiheit, der Traum, früher nach Hause zu kommen.
Ich hatte keine Lust, noch einmal Schiffbruch zu erleiden, wie hier in Mantua. Wieder auf meinen Drahtesel steigen und allein in Richtung Deutschland fahren? Am Brenner wurden alle Deutschen in Empfang genommen. Das wussten meine Bekannten und ich auch. Es war also unmöglich, auf eigene Faust weiterzumachen.
7
Noch am selben Abend führte man mich in ein provisorisches italienisches Lager. Hier waren Soldaten, Eisenbahner, Transportarbeiter. Alles, was deutsch war, hatte man hier gesammelt.
In einem großen Raum lagen sie auf dem nackten Boden. Ein Teil döste vor sich hin, andere schliefen, wieder andere unterhielten sich oder knobelten mit Holzstückchen.
Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Mir taten sämtliche Knochen auf diesem harten und kalten Boden weh. Außerdem fieberte der ganze Raum förmlich in einer unbestimmten Unruhe. Aus allen Ecken hörte man die undefinierbarsten Geräusche. Der italienische Wachmann bot mir an, Kaffee für die Kameraden zu kochen. Dankbar für diese kleine Abwechslung nach dieser eintönig langen, schlaflosen Nacht nahm ich dieses Angebot erfreut an. Der Wachhabende sah mir bei der Arbeit zu und schien sehr zufrieden mit mir. Als ich fertig war, erklärte er mir: „Ich muss mal schnell zu meiner Braut, pass auf, dass niemand rausgeht.“
„Klar, mach ich“, antwortete ich.
Hinter ihm verriegelte ich die Tür von innen. Dann wartete ich einige Minuten. Von draußen war nichts mehr zu hören. Mein Entschluss stand fest. Ich muss hier raus. Und zwar so schnell wie möglich. Eine weitere Nacht in diesem