Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille. Tobie Schmack

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Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille - Tobie Schmack


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dass sie mit einem seinem Trucker durchbrennen würde, was alles andere als dem Stand entspräche, zu dem er sich selbst zählt. Er, der aus dem Nichts kam und alles mit seiner Hände Arbeit und ein paar stadtbekannten Winkelzügen zu einem bis ins hinterste Sibirien agierende Kipperlädchen gebracht hatte. Nicht schwer zu glauben, dass ich fürs Erste, als ich auf seiner Bildfläche erschien, als beziehungstechnische Übergangslösung und bessere Notstandsbegleitung offiziell geduldet wurde. Wann immer es passte, rückte er meine familiäre Position in seinem erlesenen Dunstkreis ins einzig von korrekt interpretierte Licht. Jedes noch so belanglose Zusammentreffen mutierte binnen Sekunden zum alles entscheidenden Bewerbungsgespräch, jedes sonntägliche Kaffee-und-Kuchen-Stelldichein zum Tribunal, dem ein standesrechtliches Erschießungskommando folgen müsste. Was immer ich vorher zu sein glaubte, danach wusste ich, dass ich nichts wusste. Würde mich heute jemand aus dem Schlaf reißen, ich könnte Unmengen Bibelpsalme aus meinem Unterbewusstsein leiern, als gäb’s kein Morgen, und in jeder drittklassigen Popelprovinz den Stadtführer mitsamt allerlei übernützlichen Anekdoten mimen. Hauptsache, man hat immer was zu babbeln und zu präsentieren. Es hätte manches Mal nicht viel gefehlt und ich wäre an Übermissionierung verreckt. Er konnte alles, er kannte alles und hatte alles, sogar für jeden Anlass das passende Parteibuch. Matrosen, wechselt die Fahne, der Wind hat gedreht! Mit jedem Bissen, mit jedem Schluck Kaffee schrie es in mir nach Flucht. Auf ins gelobte Land ohne Vaterbrust. Ja, selbst diese stillende Rolle riss ihr werter Herr erzählerisch irgendwann an sich, auch wenn ich mir das nicht vorstellen mochte. Nein, nein, nein! Delia und ich, wir beide in Meckelfeld. Wir hätten eine Chance auf eine eigene Zukunft. Das ganz sichere Ding für uns im Hamburger Speckgürtel. Hätten, hätten, hätten! Tja! Aber warum eigentlich nur zu zweit? Nieder mit der Pärchenkacke! Mann, das ginge doch auch ohne sie. Dort könnte ich locker einen Job in Freddys Firma bekommen, obwohl ich mit Fliesenlegen – geschweige denn handwerklicher Schaffenskraft – nun wirklich noch nie etwas am Hut hatte. Und wenn schon! Dann steige ich bei der Windkraftbude von Dietmar, seinem Schwager, ein. Marketing. Sicher, Marketing geht immer. Das würde schon klappen. Wenn man will. Und ich würde wollen, diesem ausgelebten Kaff hier endlich den Rücken kehren und zusehen, dass mich nicht alle für einen Versager hielten, bloß weil ich den Absprung nicht geschafft und einfach nicht genug Mut gehabt hätte, die vergilbten Sicherungen rauszudrehen. Als stünde das Ende meiner Welt unmittelbar bevor, beschließe ich, eine Mayday-SMS an Dietmar abzusetzen, dessen Nummer sicherlich noch irgendwo im hintersten Winkel meines Handys herumvegetiert. Gedacht, getan! Da sag noch einer, ich sei nicht spontan. Entscheidungen. Genau! Ich hätte das Bier bestellen sollen – das Gleiche wie immer. Mann, ist mir schwindelig.

      »Sag mal, ist die Luft hier immer so dünn?«, brülle ich zu meinem Kumpel, der gerade den femininen Neuzugang mustert und mich bestens ignoriert.

      Was bitte fesselt ihn eigentlich an seine poppend abgegraste Heimat? Er müsste doch wirklich schon jede dunkle Ecke gesichtet haben. Allein bei dem Bild will ich weg aus meinem Kopf. Mann, wir waren uns doch so einig. Wann immer wir nachts zur Tanke liefen, weil uns der Wodka ausgegangen war, waren wir wie zwei einsame Wölfe auf der Suche nach Menschenfleisch. Nicht zum Fressen, versteht sich. Wir fühlten uns so häufig – unausgesprochen – einfach allein in dieser Provinzklitsche, von deren höchstem Punkt, einer längst geschlossenen Müllkippe, jeder Tourist eindrucksvoll die zerrissene Kultur nachwendezeitlicher Stadtplanung erblicken kann. Die leergewohnten Ratio-Bauten, zwischen denen wir als Kinder bis weit nach Sonnenuntergang unbesorgt herumtoben konnten, weichen Grünflächen, die niemand pflegen wird. Wer auch immer noch etwas auf sich hält, flüchtet halbherzig, an den Rand der Stadt oder pfercht sich in das hippe Wohnviertel im Norden. Wenn es die oberste Bürgermeisterpflicht ist, ein neues Tankstellenklo einzuweihen, ansonsten dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr den frisch gebackenen Hundertjährigen den selbst gezauberten Streuselkuchen wegzufressen und die Sahne vom Törtchen zu lutschen, dann ist dieses Glück nicht von Dauer. Noch aber brennen die Lichter der Stadt, auch wenn es vielleicht selbst gelegte Brände sind, aus Angst, im Dunkel der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Lichter, Leuchten, Blinken. Blink, Blink, Blink.

      Der Automat verspricht bei bestem Diodentheater schon wieder die große Chance. Mit einem kurzen Knall gehen schlagartig die Lichter aus. Bumms – aus – Nikolaus! Das Gedudel versiegt und wir hören nur noch die sich selbst feiernde Menge.

      »Na bitte, geht doch!«, stellt Tacko johlend fest.

      Der soeben verstummte Kasten hat ausgespielt. Eigentlich logisch, immerhin ist mein bester Kumpel unter diesen Voraussetzungen klar im Vorteil und hat seine Fähigkeiten, auch in der dunkelsten Ecke erfolgreich herumzufingern, schamlos eingesetzt. Tacko beendet seinen Tauchgang und hockt sich neben mich, wobei er der Maschine einen Blick völliger Missbilligung zuwirft.

      »Ich konnte die Dinger noch nie leiden. Wenn ich was brauche, wo ich Geld reinstecke und nichts rauskriege, kann ich auch heiraten, was!«, brüllt er mir schallend ins Ohr.

      Intakte Trommelfelle werden eben echt überschätzt! Da ich mir leider nicht sicher bin, ob die meinigen gerade einen ungünstig irreparablen Dauerschaden genommen haben, versuche ich mit aller Kraft das Lüftungssurren seines Computers einzufangen. Natürlich muss Mandy genau jetzt was frisch Gezapftes auf der Tischplatte abstellen. Rumsen würde ich noch mitkriegen, aber mir geht’s um die feinen Töne.

      Mit ordentlichem Schwung haut sich Tacko das Bier rein. »Echt lecker!«

      Unnötig zu fragen, wen er meint und wovon seine gierigen Augen sprechen.

      »Mann, Henry! Weißte …«, will er jetzt galant einleiten, dass die gerade entflohene Bar-Maus, eine ganz besondere Nummer im Bett und vielleicht auch in seinem vor lauter One-Night-Stand ausgewaschenen Herzen haben könnte. Aber das wäre nicht drin, weil er sich ja nicht aufheben könne, weil ihn alle verdienen, und dass er sie fast alle schon hatte, die Brünetten, die Blondchens, die mit oder ohne Hängebrust, Selbstwertgefühl, Vaterkomplex und Wohlfahrts-Tattoo, ja auch mal einen Dreier mit zwei verwarzten Zwergen, gefesselt, mit Ketten und Wachs … Bondage! Hauptsache, immer was mit Bondage. Und jetzt, da mir diese ganzen Protzmärchen der Gebrüder Knick & Knack aus meinen zum Teil tauben Ohrmuscheln rausquellen, fällt mir ein, was ich ganz unbedingt will.

      »Tacko, ich brauch einen Freund, was ganz Normales. Einen, der einfach mal stino bleibt, der genauso langweilig sein kann wie ich.«

      Mit versöhnlich einlullendem Blick drückt er seinen Kopf an mich heran. »Aber Henry! Okay, alles, was du willst! Kein Thema. Und auch wenn du das nicht glauben kannst, wenn du frühmorgens an dir runterschaust, aber auch du … bist ein Mann.«

      Während er nun meinen Kopf abtätschelt und nach zerrissenen Wortbrocken immerzu meinen Namen einbindet, beginnt eine Reise durch die Menschheitsgeschichte à la Tacko, wobei die Fakten sehr großzügig kombiniert werden. Ich bin mir streckenweise nicht sicher, ob ich aus diesem Monolog lebend herauskomme, als Tacko unerwartet die Biege macht und mich mit einem deftigen Ruck gegen die Schulter zurück in die Realität holt.

      »So, Schmucker! Ta-ta! Dein neues Profil, willkommen in der Welt der Beischläfer. Schau’s dir an und dann feiere mich!«

      Tackos Bescheidenheit kann mich noch immer überrumpeln.

      »Profil? Neu? Wusste gar nicht, dass ich überhaupt eines habe!«

      Eingehüllt in die schummerige Muschebubu-Beleuchtung bemühe ich mich, meinen Blick gespielt dankbar interessiert auf den grell leuchtenden Netbookmonitor zu richten.

      »Nee, nett ist das nicht«, schießt es mir durch den Kopf, in dem Bewusstsein, dass »nett« jene berühmte kleine Schwester von »große Scheiße« ist.

      Mein neues Ich, das definitiv schon seit Stunden online ist, geht mir überhaupt nicht leicht runter. An meinen echten Namen hat sich ein beeindruckendes Profilbild angeheftet. Fragt sich nur von wem. Da thront ein James-Bond-Body-Double mit makellos enthaarter Brust in einem roten Sportflitzer. Ein Torso, der ganz zufällig mein Haupt samt Krater-Grübchen und gezupften Brauen auf den in der Sonne glänzenden, eingeölten Schultern trägt. Ich muss echt aufpassen, dass diese Version von mir mich nicht selbst anmacht. Würde sich Tacko mal gepflegt seine Pimperbrille runterreißen, er würde endlich den lieben Bubi aus dem Briefmarken-Kaupel-Club erkennen, den ich mir trotz des mühsam


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