SOKO bizarr. Axel Hildebrand
Читать онлайн книгу.ist ziemlich lang und hoch.
Die Leiter?
Kann das sein, dass der phlegmatische Kater auf eine Malerleiter klettert und vorher das Licht anmacht?
Benjamin sieht endlich wieder eine Zukunft für seinen YouTube-Channel.
Am nächsten Tag geht er in der Mittagspause extra vor die Tür, um per Handy den Film abzurufen.
Flur. Dunkel. Keine Katze.
Na toll.
Aber Benjamin weiß, dass Naturforscher teilweise wochenlang vor dem Bau von irgendwelchen Nagern lauern – nur um ein gutes Bild zu machen.
Also fein. Abwarten. Cloudspeicher ist geduldig.
Nach fast zwei Wochen verliert Benjamin langsam die Lust. Denn außer ein paar kurzen Momenten, wo Raimund ins Schlafzimmer geht und in die Küche, passiert gar nichts.
Na, warte … Haustier-Cam-Hersteller! Das gibt Stunk auf Amazon.
„Alter, ruf mich nie wieder an!“
Benjamin ist verwirrt. Wieso reagiert Nicci so? Er hatte sie in einem Club kennengelernt und sie war genau sein Typ: Jede Menge Tattoos und Piercings und so Ghetto-Style, wie man nur sein kann, wenn man aus Esslingen stammt.
Und jetzt – nach nur einer Nacht – völlige Kontaktsperre.
Soooo blöd war der Sex jetzt auch wieder nicht. Also für Benjamin. Nicci hat da offenbar einen anderen Standpunkt. Aber was erwartet sie denn? Nach sechs Bier und zwei Nasen Ketamin?
Benjamin hakt die Sache ab. Bis sein Kumpel Toni bei seiner Freundin rausfliegt und für ein paar Tage bei ihm pennen muss.
Da war Toni am nächsten Morgen verschwunden. Nur ein Zettel auf dem Tisch: „Arschloch!“
Benjamin versucht ein paar Tage, die Geschichte zu klären. Aber Toni ist sowas von nicht mehr erreichbar für ihn. Geht ihm sogar auf der Straße aus dem Weg.
Was soll das?
Zuerst denkt Benjamin, dass Raimund Toni in die Schuhe gepisst hätte. Oder aufs Kopfkissen gekackt. Katzen äußern so häufig den Wunsch, dass der Besuch gehen soll.
Aber das kann’s ja wohl nicht sein. Nach fast 12 Jahren Freundschaft.
Toni verweigert aber jedes Gespräch. Und Benjamin beschließt, ihm aufzulauern. Vor der Firma.
Geduckt, hinterm Auto versteckt, kommt Benjamin sich ziemlich bescheuert vor. Ist das das Ende von Leuten, die erst ihre Katzen per Kamera bespannen? Dass sie irgendwann auf dem Parkplatz hocken und ihren besten Freunden auflauern?
„Hau ab!“
Toni reagiert gar nicht auf das Auflauern. Nur auf Benjamin.
Aber der besteht drauf. Schreit Toni an, dass er mal endlich sagen soll, was eigentlich los ist!
Toni sieht jetzt Benjamin an. Ziemlich lange. Dann schüttelt er nur den Kopf. Meint, er will da nie wieder drüber sprechen oder nachdenken. Seit damals kann er keine Nacht mehr pennen. Und das ist Benjamins Schuld.
„Was hab ich denn gemacht?!“
„Komm mir jetzt nicht so. Das war das Ekelhafteste, was ich jemals erlebt habe!“
Benjamin ist jetzt klar, dass er irgendwas gemacht hat. Aber er kann sich nicht dran erinnern. Wirklich nicht!
Ob er schlafwandelt? Als Kind soll ihm das öfter passiert sein. Sagt Benjamins Mutter. Da sei er wie ein Gespenst durchs Haus geschlichen und hätte die Geschwister erschreckt. Indem er sich einfach zu ihnen ins Bett gelegt hat.
Könnte eine Erklärung sein. Falls – nur mal angenommen – falls Benjamin sich wirklich in der Nacht schlafwandelnd zu Tom aufs Sofa gelegt hätte … unter die Decke gekuschelt … dann muss das ziemlich schwul rübergekommen sein.
Und wenn sowas wirklich passiert ist – dann hat er eine Aufnahme davon.
Denkt Benjamin.
Aber die Nachtsicht der Haustier-Cam ist ziemlich übel. Nur grünlich-schwarzes Geflimmer.
Immer wieder spult er zu dem Punkt, wo Toni fluchtartig die Wohnung verlässt. 01:23 Uhr sagt der Zeitstempel.
Und vorher niemand, der aus dem Schlafzimmer kommt.
Na, schön. Also kein Schlafwandeln.
Aber Licht.
Licht?!
Benjamin hat immer nur bis der Stelle gespult, wo Toni geht. Aber zehn Minuten später ist Licht im Flur. Nicht im ganzen Flur. Sondern in der Kammer. Ein schmaler Streifen. Und nur auf einem einzelnen Bild.
Benjamin sucht den Film, auf dem Nicci abhaut. 3:46 Uhr. Nicci rennt – erst halb angezogen – aus der Tür.
Und dann – 12 Minuten später wieder das Licht.
Für ein Bild.
Was auch immer Raimund in der Kammer getrieben hat – er kann kein Licht eingeschaltet haben. Weil da gar keine Lampe drin ist. Die liegt noch im Karton von IKEA, den Benjamin nächstes Wochenende anpacken will.
Benjamin geht durch seinen Flur. Er betritt die Kammer. Kein Licht. Wie auch?
Benjamin horcht an der Rückwand aus Holz. Stille. Was sollte man da auch hören?
Dann klopft er. Ziemlich doll. Die ehemalige Tür wackelt.
Moment mal!
Was, wenn das gar keine Verkleidung aus Brettern ist? Was wäre, wenn er neben einem Irren wohnt, der auf seiner Seite noch eine Klinke an der Tür hat? Und Licht dahinter?
Na toll. Jetzt kommt die Paranoia.
Benjamin würde es aber doch gerne genau wissen. Er verlässt die Kammer und da hört er das Klopfen. Wie eine Antwort auf sein Gehämmere von eben.
„Na warte! Du Wichser!“
Benjamin stürzt aus der Wohnung und klingelt beim Nachbarn.
Erst jetzt fällt ihm auf, dass er den noch nie gesehen hat. Schön, Benjamin ist auch den ganzen Tag nicht da. Aber wer schon „Hellmann“ heißt …
„Ja, bitte?“
Da steht eine Frau vor ihm. Ende 20. Keine Tattoos, keine Piercings, aber trotzdem wunderschön.
Benjamin entschuldigt sich erst mal – ist ja schon spät. Und dann murmelt er irgendwas von wegen Feuchtigkeit und vielleicht ein Rohrbruch und ob er mal kurz die Flurwand sehen könnte.
Kann er.
Da steht eine kleine Kommode. Auf dieser Seite gibt es keine Kammer. Nur sauber verputzte Wände.
„Alles trocken.“, meint die Nachbarin. Und sie ist froh, dass sie jetzt wieder einen netten Nachbarn hat. Weil sie ja schon seit drei Jahren hier wohnt und es toll findet. Nebenan wechselt es alle paar Monate.
„Warum eigentlich? Gibt’s da Schimmel, bei dir?“
Das würde Benjamin gerne von seiner Nachbarin wissen. Das „warum eigentlich.“ Denn dass das Problem auf keinen Fall Schimmel ist, da besteht für Benjamin kein Zweifel mehr.
Benjamin fragt noch, was da für Leute wohnten. Vorher. Und er hört, dass eine alte Frau mit ihrem Sohn da wohl fast 30 Jahre gelebt hat. Und nachdem die gestorben war, kamen und gingen ständig neue Leute. Alle eher im Alter von Benjamin.
Benjamin bedankt sich und geht.
Er würde eigentlich gerne die Einladung zum Begrüßungswein annehmen. Aber jetzt muss er erst mal schnell zur Kiste mit dem großen „W“ drauf. Da ist sein Werkzeug drin.
Benjamin