Das Kartell der Skorpione. Mario Monteiro

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Das Kartell der Skorpione - Mario Monteiro


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      Endlich ging es weiter. Schrittweise fuhr man an, bremste, rückte auf.

      »Geduld, etwas Geduld bitte. Na seht doch! Es geht schon wieder.«

      Zwei Beamte winkten den Strom der Wagen durch den Tunnel.

      ... ANTHONY MCGOOLEY ERMORDET ... wird man vielleicht schon in den Mittagsausgaben erfahren. Und wenn schon. Wer zum Teufel war denn dieser McGooley?

      Cariaga erreichte Barrios kurz vor zehn. Am Ende des Telefonates ließ er sich ein zweites Mal versichern, dass man mit dieser leidigen Sache keinesfalls in Verbindung gebracht werden könne.

      »Natürlich nicht«, tröstete Barrios. Wozu hatte man Bonrosa? Seit Monaten lag der Coronel an der Leine und auch den Vorfall dieses Morgens wird er zur vollsten Zufriedenheit des Kartells regeln. Wenn nicht ... doch was das betraf, machte sich Bonrosa keine Illusionen. Am Abend wird er geschniegelt und gebügelt beim Kriminalreport vor der Kamera stehen. Höflich oder bestimmt, je nach dem, wird er den Vorfall bedauern, dann und wann verbindlich lächeln und immer wieder betonen, dass er zur Zeit aus verständlichen Gründen noch nicht viel sagen könne. Man sei bereits dabei, das heimtückische Verbrechen schnellstens zu klären. Doch aus taktischen Gründen müsse man noch schweigen. Wie immer werde die Polizei alles Erdenkliche tun ... und so weiter und so fort!

      Zwei Tage lang werden die Zeitungen über nichts anderes berichten. Spekulationen, Theorien, Beweisaufnahmen, unbegreifliche Fehler bei der Untersuchung werden einige behaupten und dann ... ein Dementi nach dem anderen. Nichts als ein bedauerlicher Zwischenfall und damit basta!

      Wo lebte man denn? Gab es nicht täglich Morde in dieser Stadt? Und einen Skandal nach dem anderen. Regierungsbeamte in Millionenschwindel mit städtischen Schuldverschreibungen verwickelt. Fünf Börsenagenten waren mit von der Partie! Das kam erst gestern ans Licht. Und dazwischen Menschenraub. Und Kinder, Kinder, die jeden Tag verschwanden und nach denen kein Hahn mehr krähte. Arme Kinder meistens, die am Morgen aus den Favelas ins Zentrum latschten, sich mit kleinen Gaunereien durchschlugen, bettelten oder mit ein paar Gramm Kokain und zwei drei Stückchen Crack in der Hosentasche ihre ersten Geschäftchen machten, um abends ein paar Kröten heimzubringen.

      Spätestens in einer Woche wird ganz Rio vergessen haben, dass es einmal einen Anthony McGooley gegeben hatte.

      Die Polizeibeamten grüßten höflich, als Cariagas Bentley vorüber glitt. Den ›graudo‹ hinter den dunkelgrünen Scheiben kannten sie nicht. Ein ›Wichtiger‹ musste das schon sein.

      »Mann, in so einem Dampfer!« meinte einer der Beamten.

      Der Rattenschwanz aufgestauter Wagen kroch hinterher, bleiche Gesichter sonnenverbrannter Fahrer am Steuer. Zweimal täglich zitterten sie, wenn sie durch den Tunnel mussten. Wer konnte hier wissen, wen sie sich als Nächsten vorknüpfen werden?

      Früher hatte sich die halbe Welt um eine Position in Rio gerissen. Sonne und Meer, unendliche Strände, verlockende Frauen. Wer hatte dieser Stadt schon widerstanden? Aber heute! Zu Dutzenden verenden sie im Feuerhagel moderner Waffen. Gleich morgens, wenn sie aus der Wohnung kommend in die Tiefgarage hasten, Minuten später im nicht endenden Tohuwabohu des Stadtverkehrs vor Ampeln wartend, sich für Sekunden zwischen den Pfeilern eines Viadukts auf die nächste Besprechung vorbereitend.

      Überall lauern die Skorpione aus den Bergen. Fast täglich schlagen Geschosse in Büroetagen ein. Hinterher laue Untersuchungen, ein paar Akten auf den Tischen verstaubter Dienststellen. Selten genug dringt Licht ins Dunkel und die wenigsten kennen die Gründe. Außer denen natürlich, die es erwischt. Eine Stadt mitten im Krieg. Wer merkt das schon?

      Blutverschmiert hängen die Opfer in den Polstern frisch gewaschener Wagen, und jene, die der Illusion erliegen, sich noch bis zur nächsten Intensiv-Station durchzuschlagen, brechen ein paar Meter weiter auf dem Pflaster zusammen, halb schaudernd, halb neugierig begafft, hundertmal geknipst, vom Fernsehen gefilmt, zugedeckt und abtransportiert.

      Die meisten müssen sich durch den Tunnel schieben und froh sein, wenn es auf der anderen Seite weitergeht. Scharfe Augen unfehlbarer Todesschützen überall. An den Ecken eleganter Straßen lauernd, oft keine hundert Meter neben weltbekannten Luxusläden und verstopften Bankfilialen, zwischen unscheinbaren Würstchenbuden, im Hinterhalt enger Hofeinfahrten, nur einen Sprung weit weg vom rettenden Hotelportal.

      ›Bala perdida‹ hieß es im Polizeibericht. Nichts als Querschläger also. So versuchte man eine ganze Stadt zu beruhigen. Auch wenn die Geschosse meistens den Kopf zerfetzten. Der Epilog versank im Schweigen fassungsloser Freunde oder unter den Schreien hysterisch kreischender Frauen, die über den Särgen ihrer Männer und Söhne hingen.

      Der Tod wohnt auf den ›Morros‹, sagt man in Rio. Dort in den Bergen, rings um die Stadt hausen über zwei Millionen Menschen in Elendsquartieren, überleben durch täglichen Kleinverkauf von Kokain, Maconha und Crack. Zwischen morschen Brettern ihrer Hütten und unter Wellblechdächern, in versiegten Brunnenlöchern und hinter Friedhofsmauern eingebuddelt, hüten sie Karabiner und Munition für das Kartell. Dafür gibt’s Milch von den Bossen und Medikamente, um die Kinder der Ärmsten durchzubringen. Wehe, wer nicht spurt!

      Aber dort droben, hinter Baracken und Lehmbuden, zwischen stinkenden Abwasserrinnen und quietschenden Ratten, im Schlamm und Morast, den tagelange Wolkenbrüche herunterwälzten, wer hatte dort jemals von Alberto Cariaga gehört?

      Der alte Mann im Bentley hauchte die Gläser an und rieb sie blank. Einen Grund, unzufrieden zu sein, hatte er nicht. Längst hatten sie erreicht, was sie erreichen wollten. Sie hatten die Stadt kleingekriegt. Selbst die eleganten Herren in importierten Luxuswagen hatten sich mit Cariagas Konzern zu arrangieren.

      In Angst und Schrecken lebten Hunderttausende. Wer es sich leisten konnte, mied die Stadt und manches Hotel bettelte in seitenlangen Anzeigen um Gäste, die von Jahr zu Jahr seltener kamen. Internationale Unternehmen wanderten ab. Irgendwo draußen zwischen Sâo Paulo und Belo Horizonte, vielleicht bei Recife oder hinter Curitiba glaubte man sicher zu sein. In den Chefetagen der Banken zermarterten sie ihre Köpfe. Cariaga schmunzelte. Die millionenschweren Kunden mit sauberem Geld, das in der Rezession knapp und knapper geworden war, verschwanden fast über Nacht. Selbst in den Kreditinstituten war man plötzlich auf das Kartell angewiesen, auf die Millionen, die aus dem Rauschgiftgeschäft sprudelten, die Stapel von Dollar aus kleinen und großen Erpressungsmanövern, aus Schutzgebühren und Entführungsdividenden.

      Hunderte von Millionen, von denen die Zentralbank nichts ahnte. Und wer etwas wusste, hielt seinen Mund. Riesensummen lagen auf Konten von Menschen, die nie gelebt hatten, angelegt im Namen von Firmen, die nicht existierten. Schmutziges Geld für Belohnungen an folgsame Polizeibeamte, Prämien für Richter, die nicht aburteilten, Wahlgeschenke an Abgeordnete, auf deren Unterstützung man sich beim nächsten Gesetzentwurf verlassen konnte.

      Täglich wechselten Millionen ihre Besitzer, Tausende kleiner Regierungsangestellter und deren Helfershelfer besserten ärmliche Bezüge auf, finanzierten den eigenen Kokainkonsum und unterhöhlten den Staat, von dem sie lebten.

      Recht geschah es den Banken, behauptete Cariaga. Hatten diese Dollarjongleure vielleicht Ruhe gegeben? Bohrten und schaufelten sie nicht Tag und Nacht, bis sie ihm das Geschäft mit dem verbotenen Glücksspiel vermasselt hatten? Nur weil sie die Supergewinne selber einstecken wollten. Riesensummen, Centavo auf Centavo herausgeholt aus den Taschen der Armenheere, von Menschen, die jeden Tag aufs Neue davon träumten, den ganz großen Coup zu machen und ihrem Elend ein für alle mal zu entrinnen. Warum also hatten sie Cariaga samt seinen Partnern aus dem Geschäft gedrängt?

      Musste sich das Kartell nicht notgedrungen nach anderen Möglichkeiten umsehen?

      Doch solange sie auch suchten und forschten, immer kamen sie auf das gleiche Resultat. Es gab nichts Besseres, als mit den starken Männern in Cali und Medellin zusammenzuarbeiten.

      »Droben in den Anden haben sie die Pflanzer in der Hand und kümmern sich um reibungslose Extraktion«, rief ihnen Cariaga schon vor Jahren zu. »Doch sie brauchen fünf Kontinente, um das Zeug loszuwerden. Und die Häfen, die Airports, Leute? Die internationalen Banken, die nur darauf warten,


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