Das Kartell der Skorpione. Mario Monteiro
Читать онлайн книгу.eigentlich nicht«, erwiderte er endlich. »Und später, wenn Parotti seinen Abschied einreicht ... Barrios! Vielleicht haben Sie Recht. Parotti muss doch Kunden haben, wenn er seine eigene Praxis aufmachen will. Leute die zahlen können.« Cariaga grinste über den Tisch. »Das braucht er vor allem! Freunde genug hat er doch im Justizpalast.«
Barrios atmete auf.
»Die hängen doch aneinander wie die Kletten. Zweihundert Haftbefehle hat er auf dem Tisch? Sagten Sie wirklich zweihundert?«
»Über zweihundert«, verbesserte Barrios, »und jede Woche kommen noch ein paar dazu.«
Zweihundert! Cariaga überlegte angestrengt. Was ihm selbst dabei durcheinander purzeln könnte. Das musste unter allen Umständen vermieden werden. Er hakte den Namen Silveiras ab.
»In Gottes Namen! Zahlen wir eben, wenn es nicht anders geht!«
Schließlich war Silveira nicht der einzige.
»Constantinos zum Beispiel!« Cariaga klopfte auf die Schreibtischplatte. „... Constantinos der Grieche«, filosofierte er.
»Naturalisierter Brasilianer«, bemerkte Barrios. »Seit einem halben Jahr hat er`s zum Generalinspektor im Hafenamt gebracht. Übrigens ... er war uns schon mehrmals behilflich.«
»Ja ja«, brummte Cariaga. »Geht in Ordnung.«
»Außerdem, Constantinos und Periston sind dicke Freunde.«
»Periston?« Cariaga wühlte in seinem Gedächtnis.
»Vom technischen Dienst«, half Barrios weiter. »Natürlich hat der Mann überall grünes Licht. Letztes Mal hat er nichts gehört und nichts gesehn, als der Tote aus dem Kranhaus auf die Kaimauer stürzte ... Sie erinnern sich?«
Cariaga machte ein Gesicht, als habe er zwei saure Gurken auf einmal verschluckt.
»Obwohl der doch droben Im Kranhaus gar nichts zu suchen hatte«, machte Barrios unbeirrt weiter. »Fürchterlich ungeschickt hatten die das damals gemacht, aber wenigstens war man ihn los. Als dann die Polizei eintraf, um alles aufzunehmen, lagen unter den Pappkartons nur ein paar Steine und ein abgesägtes Dreikanteisen. Der Tote war weg und die Blutflecken hatte Constantinos recht zeitig abwaschen lassen.«
»Gut«, sagte Cariaga ohne von weiteren Erklärungen viel wissen zu wollen. »Constantinos geht okay.« Solche Burschen brauchten sie doch. Cariagas Rotstift fuhr die Liste entlang.
»Also weiter dann ... Bernardi, Demóstenes, Manzanela ... Biela?«
Wer Biela sei, wollte Cariaga wissen.
»Er gehört zu dem Trupp aus meiner Akademie. Leutchen, die wir dann und wann brauchen ... kleinere Einsätze, Aufräumereien und so.«
Cariaga hörte nicht auf den verächtlichen Unterton. Aufräumerei. Typisch Barrios. Gleichmütig murmelte er die Namen vor sich hin und überschlug die Kosten dieses Monats.
»2.000 Dollar, 1.200 dieser hier, 500.«
Mit halb offenem Mund sah er zu Barrios hinüber. »5.600? Gabeiro! Antonio Gabeiro? Warum so viel?«
Gabeiro bekomme das nicht allein, informierte Barrios. Der Mann habe ein paar Untergebene.
»Mitwisser also«, murrte Cariaga. Das Netz, in dem sie sich verfingen, wurde immer dichter. »Lessa! Lessa!« Richter Lessa war auch so ein Fall, der Cariaga jedes Mal das Blut in den Kopf steigen ließ.
»Seit Jahren kriegt er seinen Zaster und was sehen wir von ihm?«
Barrios suchte nach einer Antwort und sah zur Seite.
»Informationen, Barrios!« reklamierte Cariaga. In Zukunft wolle er die Gerichtsberichte sehen. Vor allem die Freisprüche, die Richter Lessa bestimme. »Freisprüche ...« und dabei trommelten Cariagas Finger auf die Tischplatte. Er zahle nicht für nichts und wieder nichts.
»Nächste Woche werden wir die Unterlagen hier haben«, versprach Barrios, während sich Cariaga die nächste Seite vornahm.
»Gutendorf?«
»Der Beauftragte für Jugendfragen.«
»Und? Ein wichtiger Mann für uns, glauben Sie nicht?«
In Barrios’ Gesicht machte sich Unmut breit. »Ich weiß nicht recht. Wir müssen aufpassen mit ihm.«
»Warum?«
»Vor ein paar Monaten wollte er sich unbedingt in diese Kindergartengeschichte in den Favelas einmischen«, bemerkte Barrios. »Wir mussten ihn zur Ordnung rufen. Inzwischen hat er Ruhe gegeben. Wenn er sich noch einmal mucksen sollte ...«
»Übertreiben Sie das nicht.« Cariaga wusste, was Barrios damit sagen wollte. Seit Monaten kam die Presse mit den schrecklichen Fotos an. In Favelas zusammengeschossen, gefesselt mit dem Kopf unter Plastiktüten, Brei aus Fleisch und zusammengehauenen Knochen, Tote auf Gehsteigen, direkt aus dem 12. Stock, runter mit ihnen. Abrechnungen. Nichts als Abrechnungen!
Cariaga machte ein Gesicht, als werde es ihm übel. Nach dem nächsten Namen fasste er sich an die Stirn.
»Evaldo Santos“, stieß er mit knallrotem Gesicht hervor. »Dieser Affe! Lebt der immer noch? Und Vascone? Was ist mit Vascone los?«
Das alte Thema. Barrios hatte die beiden Namen absichtlich ans Ende der Liste gesetzt. Vorsichtig schielte er auf die Schreibtischuhr. 11. 45. Sein Magen meldete sich.
»Ein wahres Rhinozeros«, tobte Cariaga. »Nur nicht so stark.« Seit Jahren hielt er sich an diesen Burschen auf. Dabei hatte er sich mit Vascone schon in der Wolle, als sie noch im gleichen Hörsaal saßen. Und trotzdem musste er den Kerlen vierstellige Beträge auszahlen. Jahrelang ging das nun so.
»Politschurken«, fauchte Cariaga. »Die rennen doch nur von einer Sonderkommission in die andere. Kein Untersuchungsausschuss ist ihnen zu lächerlich und nach jedem Auftritt kommen sie an und halten die Hand auf!«
»Vascone wird bald von der Bildfläche verschwinden«, tröstete Barrios.
»Hoffentlich! Woher wollen Sie das wissen?«
»Sein politisches Credo ist beim Teufel. Und die Wahlen stehen vor der Tür.«
Cariaga räusperte sich. »Was schlagen Sie vor?«
»Wahlhilfe streichen, meine ich.«
Cariaga hielt den Daumen hoch. »Okay. Machen Sie das!«
Wer nicht mehr zu gebrauchen war, fiel bei nächster Gelegenheit unter den Tisch. So wie das mit Gonzalez und Medeiros war. Aus irgendeinem Grund erinnerte sich Barrios an die beiden Polizisten. Ein paar Monate lang kamen die beiden sogar ins ›Paratí‹. Viel gelernt hatten sie offenbar nicht. Und eines Tages strauchelten sie. Weiß der Teufel warum sie auf einmal nicht mehr mitmachen wollten. Obwohl sie doch ganz gut im Futter standen. Prompt kamen sie beim nächsten Einsatz um. Mangelhafte Kugelwesten, hieß es als erstes. Viel Sinn hatten die Westen damals nicht gehabt, denn beide starben an Kopfschüssen, die aus nächster Nähe abgefeuert wurden. Natürlich kamen gleich ein paar Reporter, die den Braten rochen. Denn die verfolgten Koksbrüder standen zu diesem Zeitpunkt gute 300 Meter weiter unten. Als dann auch noch durchsickerte, die Dealer hätten mit Pistolen ganz anderen Kalibers zurückgeschossen und die tödlichen Verletzungen unmöglich hervorgerufen, war der Ofen aus. Gar nichts passte mehr zusammen. Entscheidende Fotos verschwanden samt Negativen aus dem Archiv. Zwei Tage später fehlten die sichergestellten Geschosse. Ballistische Tests fielen ins Wasser und eine der beiden Leichen wurde aus der Kühlkammer geholt. Ein bedauerlicher Irrtum eines Angestellten, teilte man der Presse mit. Verfahren eingestellt!
Und wenn schon. Verloren sie nicht täglich Polizisten? Junge Leute meistens. Niedere Ränge, die ihre Waffen selbst bezahlen mussten und zusehen konnten, wie sie zu Kugelwesten kamen. Man musste schon aufpassen, wenn man alt werden wollte in dieser Stadt.
Langsamer, als man es von ihm gewohnt war, beinahe schleichend bewegte sich Barrios