Dunkle Geschichten aus dem Alten Österreich. Barbara Wolflingseder

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Dunkle Geschichten aus dem Alten Österreich - Barbara Wolflingseder


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einer der ersten Staaten der Welt, in denen das der Fall war. Für Paul Reininger, den Serienmörder von Kindberg, kam diese Rechtsreform allerdings zu spät. Nicht nur die Folter, schönfärberisch als „peinliche Befragung“ tituliert, sondern auch der für seine ungemein grausamen Verbrechen verhängte Strafvollzug wären ein Jahr später Geschichte gewesen.

      Die Taten Reiningers sind in Sagen erhalten geblieben, weshalb auch einer der Wege in der zum Wandern einladenden Landschaft rund um Kindberg noch an sie erinnert.

      Wanderer kommst du nach Kindberg …

      Für den Besucher der Gegend am eindrucksvollsten ist wohl der Herzogberg im Mürztal. Von Kindberg aus führt der Weg vorbei am Schloss Oberkindberg, ein um 1680 vom Grafen Inzaghi als zweigeschoßiger Dreiflügelbau mit vier Ecktürmen in Auftrag gegebener eindrucksvoller Barockbau. Danach geht man eine ansteigende Straße hinauf und gelangt nach ungefähr 20 Minuten auf einen Hohlweg, der oben auf der Kreutzerwiese rechts abzweigt. Der Weg wird nun immer steiler und führt hinauf bis zu einem aufgelassenen Bauernhof, dem ehemaligen Grüblbauern. Der Steig trägt einen ungewöhnlichen Namen, der nichts Gutes ahnen lässt und bei den Ausflüglern sofortiges Interesse erweckt: Es handelt sich um den „Herzlfresserweg“. Wo der Hohlweg dann wieder flacher wird, öffnet sich eine Lichtung, auf der die Kindberger ein Marterl aufgestellt haben, das an eine grauenhafte Begebenheit aus dem 18. Jahrhundert gemahnt. Auf dem „Herzlfressermarterl“ ist in alter Schrift zu lesen, dass sich in dieser Gegend einst ein Serienmörder herumtrieb, der auf unvorstellbar grausame Weise wütete. Eine wahre Geschichte, die dem Besucher heute noch kalte Schauer über den Rücken laufen lässt.

      Aberglaube und Irrsinn

      Nach dem österreichischen Wortschatz, der um 1900 zusammengestellt wurde, ist ein Herzenfresser ein Mensch, der Menschenherzen in abergläubischem Wahne isst, schreibt die Germanistin Christa Tuczay. Vor allem in Verbrecherkreisen glaubte man, dass jemand, der einem frisch getöteten Menschen sein noch zuckendes Herz entreißt und Teile davon verspeist, stets Glück im Spiel haben, von Frauen umschwärmt sein, auf der Folter keine Schmerzen spüren und sich vor allem unsichtbar machen können wird. Die Herzen von Jungfrauen würden sich zum Verzehr besonders eignen, wobei eines keineswegs genügen würde. Je nach okkultistischem Hintergrundwissen variierte die notwendige Anzahl zwischen drei und neun. Der finstere Auswuchs des Volksglaubens war auch in der Steiermark lange Zeit weit verbreitet und hat sich derart in das Hirn eines gewissen Paul Reininger eingeprägt, dass dieser regelrecht besessen war von dem Wahn, sieben noch warme Mädchenherzen verschlingen zu müssen, um glücklich im Spielen und Kegelscheiben zu seyn und unsichtbar sein zu können.

       Auf dem Weg zum Herzlfressermarterl: Schloss Oberkindberg

      Geschafft hat er es nicht ganz. Reininger, der sich in der steirischen Rechtsgeschichte als „Herzlfresser“ einen Namen gemacht hat, konnte nach dem sechsten Mord endlich das Handwerk gelegt werden.

      Herangewachsen ist der Serienmörder in der Turnauer Gegend, am Fuße des Hochschwabs. Bereits im Alter von drei Jahren verlor er seinen Vater, einen Mürztaler Hirten, und wurde von der Mutter weggegeben. Er kam zu seinem Taufpaten, doch die Erziehung des Buben oblag den Dienstboten. Früh musste er schon für sich selbst sorgen. Seinen ersten Lebensunterhalt verdiente er als Hirte, mit 13 Jahren kam er in den Dienst eines anderen Bauern. Dann wechselte er laufend seine Arbeitsplätze, weil er es nirgends lange aushielt. Es mangelte ihm ständig an Geld, und er neigte besonders zur Trunksucht. Sein Alkoholismus war es auch, der die letzten Schranken der Moral durchbrach und die Bestie in ihm zu Tage förderte. So wie es auch am 15. Jänner 1786 geschehen ist. Als er nach Kindberg gieng, um dort seine Andacht zu verrichten, vorher aber mit einem Gespann im Wirtshause zwey halbe Wein getrunken, kehrte er nach vollendetem Gottesdienst wieder in das Wirtshaus zurück, wo er mit einem anderen Knechte vier halbe Wein verzehrte, dabey gespielet, und er ungefehr einen Taler verloren. Anschließend torkelte Reininger heimwärts, legte sich, rauschig wie er war, auf eine Wiese und gönnte sich ein Schläfchen. Bei Anbruch der Dämmerung kam ein Mädchen des Weges und weckte den Schlafenden. Es war eine Dienstmagd, die sich erbötig machte, ihn nach Hause zu begleiten, damit er nicht in der Kälte schlafen müsse.

      Magdalena Angerer, so ihr Name, war zuvor in der Kindberger Kirche beim Gottesdienst gewesen. Nach der Messe war sie mit ihrem Bräutigam im Wirtshaus eingekehrt, dann hatte sie noch schnell eine Schachtel mit ihrem Brautkranz abgeholt und sich auf den Heimweg zur Möstlmühle gemacht. Das war das letzte Mal, dass die junge Frau gesehen wurde. Ihr Verschwinden konnte sich so kurz vor der Hochzeit niemand erklären.

      Noch warme Herzen aus der Brust gerissen

      Zwei Wochen lang blieb Magdalena Angerer spurlos verschwunden. Am 2. Februar, zu Lichtmess, wurde ein Bauer auf dem Heimweg von der Kirche durch lautstarkes Rabengeschrei irritiert. Neugierig näherte er sich der Tierversammlung, um nachzusehen, was die Aasfresser so aufgestört hatte. Was er dann entdeckte, wird er wohl nie wieder aus seinem Gedächtnis bekommen haben. Vor ihm lag eine entblößte, verstümmelte und schon stark verweste Mädchenleiche mit abgetrenntem rechtem Arm und linkem Fuß, daneben ihr Kopf. Der Oberkörper war vom Bauch bis zum Hals aufgeschnitten, die Eingeweide herausgenommen, doch es fehlte das Herz. Da noch einige Kleidungsstücke herumlagen, erkannte der Bauer sofort, dass es sich bei der fürchterlich zugerichteten Leiche um die seit zwei Wochen vermisste Magdalena Angerer handelte, und erstattete am Landesgericht Wieden bei Kapfenberg Anzeige.

       Kindberg um 1830, aus: „Lithografirte Ansichten der Steiermark“, J. F. Kaiser

      Es vergingen fünf Wochen, dann wurden von zwei Bauern entscheidende Hinweise zur Aufklärung der Gräueltat erbracht. Paul Reininger, ein Knecht und Kartenspieler, sei der Mörder, waren sich die beiden sicher. An jenem Tag, an dem Magdalena Angerer verschwand, haben sie ihn in einem Gasthaus angetroffen, wo er sehr viel getrunken und sein ganzes Geld verspielt hat, erzählten die Bauern am Gericht. Am Nachmittag wurde Reininger dann an jener Stelle gesehen, wo später die Tote gefunden wurde. Es folgte eine genaue Untersuchung, bei der die Habseligkeiten des Beschuldigten überprüft wurden. Dabei wurden in einer Truhe blutige Kleider der ermordeten Braut, ihr Kranz und die Hälfte eines kleinen menschlichen Herzens gefunden. Zur Rede gestellt, gestand er nicht nur diese Tat, sondern enthüllte gleich die ganze Bandbreite seiner Verbrechen, die er in den letzten sieben Jahren verübt hatte: Paul Reininger hatte sechs Frauen im Alter zwischen 25 und 32 Jahren getötet. Der irre Mörder wurde im Juli 1786 im Schloss Wieden bei Kapfenberg einem peinlichen Verhör unterzogen. Kaltblütig soll er die weiteren fünf Morde geschildert haben.

       Blätter zur Geschichte und Heimatkunde der Alpenländer, Beilage zum „Grazer Tagblatt“ vom 29. Jänner 1911

      Am Fronleichnamstag 1779 sei er zum ersten Mal mit einem Messer auf eine Dienstmagd losgegangen. Er habe eine gewisse Konstanzia P. in einen Wald gezerrt und konnte sie noch zu einem Liebesspiel überreden, teilte er dem Gericht ungerührt mit. Die Vorwürfe, die sie ihm wegen seiner Trunksucht machte, wollte er sich aber nicht anhören. Nachdem er sie erstochen hatte, bedeckte er ihre Leiche mit Gesträuch und ging nach Hause.

      Drei Jahre später verübte er seinen zweiten Mord. Nach einer Tanzunterhaltung erwürgte er ein Badstubenweib, nachdem er wieder einmal sein ganzes Geld verspielt und versoffen hatte. Die paar Gulden, die sie bei sich hatte, steckte er in seine Tasche.

      Die nächste grausame Tat, die der Knecht beging, geschah noch im selben Jahr. Wieder war es der Fronleichnamstag und wieder befand er sich in stark alkoholisiertem Zustand. Besonders tragisch war in diesem Falle, dass das Opfer ein erst sieben- oder achtjähriges Mädchen war. Die kleine Elisabeth Leitner traf er beim Schafe- und Ziegenhüten auf einer Wiese an und


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