Dunkle Geschichten aus dem alten Wien. Barbara Wolflingseder
Читать онлайн книгу.und strenge Gerechtigkeit gegen ihre Unterdrücker, besonders wenn diese die ganze Welt durch den Schein der Frömmigkeit und Religiosität betrügen und in ihren geheiligten Mauern Grausamkeiten verüben, welche Ew. Majestät an Weltlichen gewiß mit aller Strenge der Gesetze züchtigen würden.
Vier Kapuziner schmachten heute noch in einem unterirdischen Klostergefängniß auf dem neuen Markt […] Der Weg zu dieser Mörderhöhle des Mönchsdespotismus führt auf dem Neumärkter Kloster durch die Küche rechter Hand hinein in das Waschhaus, dann gerade fort in die Speisekammer, von hieraus eine kleine Thür, durch die man etliche Stufen hinuntersteigt, sodann links in einen engen finstern Gang kommt, wo linkerhand die wohlverwahrten Behältnisse der Gefangenen, welche die Kapuziner „Löwen“ nennen, sind.
Ich habe Ew. Majestät hiermit als fühlender Mensch und als treuer Bürger und Unterthan, in Wahrheit die schaudervolle Hölle […] angezeigt. Ich hielt mich dazu verpflichtet; kommt es aber jemals heraus, daß ich es war, der der Menschheit diesen Dienst geleistet hat, so bin ich selbst für immer geopfert und verloren. Der Mönchsgeist hat tausend Mittel und Wege, seine Opfer zu erhaschen, wo sie weder das Auge des Regenten, noch das Schwert der Gesetze erreichen kann. Ich bitte daher um Ew. Majestät Allerhöchsten Schutz und um Verschwiegenheit meines Namens.
Ew. Kaiserl. Königl. Majestät
Allergetreuester Unterhan, P. Innocentius, Kapuziner in dem Kloster auf dem Neuen Markt
Die „Löwen“
Der Theologe Peter F. Barton beschreibt in seinem Buch Ignaz Aurelius Feßler. Vom Barockkatholizismus zur Erweckungsbewegung die Gründe für die Inhaftierung der weiteren Mönche. So hatte der mittlerweile 56-jährige Pater Paternus einst an den Nachmittagen unerlaubte Ausflüge gemacht, von denen er zwar immer pünktlich zurückgekehrt, die zu unterlassen er aber nicht bereit gewesen war. Für dieses Vergehen saß er schon seit 15 Jahren im unterirdischen Gefängnis. Pater Florentinus, nunmehr 73 Jahre alt, hatte den Guardian, der ihn wiederholt beschimpft hatte, geohrfeigt und war bereits 42 Jahre in Gefangenschaft. Beide Patres waren bei ihrer Arretierung nicht wahnsinnig gewesen, sind es allerdings durch die jahrelange Kerkerhaft geworden.
Besonders drastisch liest sich die Geschichte des Laienbruders Nemesian. Er hatte die Anweisung seines Novizenmeisters, in allen Menschen Gott zu lieben und zu ehren, als junger Mann allzu wörtlich genommen und war vor allen Besuchern und Straßenpassanten niedergekniet, sie um ihren Segen bittend. Um sein theologisches Verständnis zu schulen, wurde über ihn lebenslange Freiheitsstrafe verhängt. Bruder Nemesian, der von Joseph II. aus dem Kerker befreit wurde, muss eine Natur von Stahl und Eisen gehabt haben, denn er zählte 80 Jahre, wovon er 53 Jahre im Kerker verlebt hatte!, berichtet der Schriftsteller Carl Julius Weber.
Neue Regeln für die Klöster
Feßlers Brief an den Kaiser hatte zur Folge, dass eine Untersuchungskommission, an deren Spitze der als Theaterzensor bekannte Regierungsrat Franz Karl Hägelin stand, ins Kapuzinerkloster geschickt wurde. Der überraschte Guardian zeigte sich völlig ahnungslos und blieb selbst nach dreimaliger Aufforderung, die Männer in den geheimen Keller zu führen, stur bei seiner Auskunft, es gäbe „da unten“ keinen Kerker. Erst als die Kommission sich selbst einen Weg durch die von Feßler genau beschriebenen Gänge und Kammern bahnte, wurden die Schreckensgestalten, deren Anblick ebensoviel Entsetzen als Mitleid einflößte, wie Moriz Bermann schrieb, entdeckt.
Joseph II., zu dessen wichtigsten Reformbestrebungen es gehörte, Aberglauben, religiösen Fanatismus und die Macht des Klerus zurückzudrängen, verordnete nun in mehreren Klöstern Visitationen, um etwaige weitere Kerker aufzuspüren. Die verbotenen Gefängnisse, die man dabei entdeckte, wurden sofort aufgelassen. Das Kapuzinerkloster am Neuen Markt war also bei weitem kein Einzelfall. Ab dem 3. März 1783 mussten wahnsinnig gewordene Geistliche zum nächstgelegenen Kloster der Barmherzigen Brüder gebracht werden, wo sie auf Kosten des jeweiligen Herkunftsklosters gepflegt werden mussten.
Dem Wiener Erzbischöflichen Konsistorium4 wurde in einem Schreiben mitgeteilt:
Seine K. K. Majestät haben über dem in betreff der fürgetragenen Untersuchung, bei den Kapuzinern auf dem neuen Markte allhier erstatteten allergehorsamsten Vortrag durch allerhöchstes Hofdekret […] an die Regierung unter anderm herabgelangen lassen: daß der hiesige Guardian der Kapuziner auf dem Neumarkte, da er sich durch Beibehaltung der verbothenen Klosterkerker sehr strafbar gemacht, seines Amtes entsetzet und für die Zukunft aller Ämter unfähig erklärt werden solle; aufdaß aber die bereits in diesem Kloster existirenden Klosterkerker desto sicherer vertilget würden, so wäre die Vorkehrung zu treffen, womit selbe alsogleich zu Holzgewölben zugerichtet, die doppelten Thüren und harten Verschließungen weggethan, und mit einem Worte all-jenes auf die Seite geräumet würde, welches sie zum ferneren Gebrauche für Gefängniße fähig machen könnte; diejenigen Geistlichen, welche unter dem Namen als Wahnwitzige in dießen Behältnißen verwahret würden, müßten alsobald, wenn es noch nicht geschehen, in andere ordentliche Zellen übersetztet, und für ihre Herstellung all-mögliche Sorge getragen werden; wonach dem Kloster die Weisung zu geben, von Seiten des Politici aber darauf ein obachtsames Aug zu tragen sey.
In der Kapuzinergruft. Stich von William H. Bartlett, 1840.
1784 entzog Kaiser Joseph II. den Kapuzinern am Neuen Markt einen Teil ihrer Gärten und befahl, dort längs der Planke Häuser zu errichten. So kam die Plankengasse, die vorher Neuburgerstraße hieß, zu ihrem Namen. Das Bittgesuch von Pater Innocentius bewirkte auch, dass Kaiser Joseph II. im selben Jahr strengere Auflagen schuf, was die Bildung des Klerus anbelangte. Außerdem sollte den Missständen in den Klöstern endgültig ein Riegel vorgeschoben werden.
Vom Kapuzinerpater zum Freimaurer
Welch schillernde Persönlichkeit Feßler war, zeigt sein weiterer Lebenslauf. Um mögliche böse Folgen seines mutigen Handelns abzuwenden, berief ihn der Kaiser als Lektor für orientalische Sprachen und Altes Testament an die Universität Lemberg. Vor seiner Abreise, die für den 23. Februar 1784 geplant war, kam es zu gröberen „Komplikationen“, die Feßler beinahe das Leben gekostet hätten.
Dem Pater fehlte das Geld für die Reise. Bis auf seine Bücher besaß er nichts. Völlig unerwartet erhielt er zwei Reisegeschenke. Der Hofsekretär Grossinger überreichte ihm einen Dolch, der sich noch als lebenswichtig herausstellen sollte, und Joseph II. veranlasste, dass er von Rom aus einen kostenlosen Platz in einer „Diligence“5 sowie 150 Silbergulden Reisegeld erhalten sollte. Am 20. Februar begab sich Feßler etwas später als gewöhnlich zu Bett. In der Erwartung, dass er um Mitternacht bereits schlafen würde, stürzte sein fanatischer Klosterbruder Pater Sergius in seine Zelle. Ein großes Fleischermesser schwingend, warf er sich mit dem Rufe „Morere haeretice!“ auf den verhassten Repräsentanten aufgeklärter Bildung, um ihm das Messer in die Brust zu stoßen, so Barton. Geistesgegenwärtig fasste Pater Innocentius nach Grossingers Dolch und konnte den Angriff gerade noch abwehren. Der verwundete Sergius lief zurück in seine Zelle, wo er sich, bewaffnet mit zwei weiteren Fleischermessern, verbarrikadierte. Feßler weckte den Guardian, der sofort sechs Laienbrüder zum rabiaten Pater schickte. Die Zellentüre wurde aufgebrochen, Sergius mit langen Stangen entwaffnet und in die Korrektionszelle gesperrt.
Um Kloster und Orden Unannehmlichkeiten zu ersparen, informierten Feßler und der Guardian Pater Nicephorus den Präsidenten der geistlichen Hofkommission, Franz Karl Kressel, darüber, dass Pater Sergius in der Nacht vom Wahnsinn befallen worden sei, und erwähnten mit keinem Wort den Überfall. Ihre Bitte, Sergius der Obhut der Barmherzigen Brüder zu übergeben, erfüllte Kressel ohne zu zögern. Nach drei Jahren ging es mit der Karriere