Dunkle Geschichten aus dem alten Wien. Barbara Wolflingseder
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Die erste Shoa in Wien
Kaum jemandem fällt die kleine Tafel am Hundertwasserhaus auf, die an die Massentötung von Juden auf der Gänseweide im Jahre 1421 erinnert. Über 200 Wiener Juden fielen damals der Verfolgung durch Herzog Albrecht V. zum Opfer; in einigen Quellen werden auch 10 oder 400 Menschen genannt. Diese „große Katastrophe“2 ging unter der Bezeichnung „Wiener Geserah“3 in die Geschichte der Stadt ein; die Motive des Landesfürsten für dieses beispiellos grausame und rechtlich längst nicht mehr gedeckte Vorgehen sind ungeklärt. Aus dem „Judenregal“, dem landesfürstlichen Privileg, für den Schutz der Juden Abgaben und Steuern lukrieren zu können, hatten die Habsburger Jahr für Jahr beträchtliche Summen angehäuft.
Nach diesem Pogrom gaben die Juden Österreich den Namen „das blutgetränkte Land“ (Erets ha-Damim) und Wien wurde als „die Stadt des Blutes“ (Ir ha-Damim) bezeichnet. Eine skandalöse lateinische Inschrift am Haus Judenplatz Nr. 2, das nach seinem ehemaligen Besitzer Georg Jordan den Hausnamen „Zum großen Jordan“ trägt, erinnerte lange Zeit hindurch an diesen Massenmord. Die Inschrift, in der von „Verbrechen der Hebräerhunde“ die Rede ist, wurde 1998 durch eine weitere Gedenktafel ergänzt, auf der erstmals selbstkritisch die Täterschaft der Christen Wiens eingestanden wird.
Gedenktafel für die Opfer der Judenverfolgung von 1421 am Haus Kegelgasse 40.
Chaim Engelberger
Am 26. August 1642 wurde auf der Gänseweide der Rabbiner Chaim Engelberger verbrannt. Dass er zum Katholizismus konvertiert war, hat ihm leider nichts genützt. Anlässlich seiner Hinrichtung wurde in Wien eine antijüdische Flugschrift verteilt, auf der ein mehrstrophiges Lied abgedruckt war, das über den Leidensweg dieses Juden und zweier Schicksalsgenossen genauestens berichtete. Hier die ersten beiden Strophen:
Wahrhaftige Beschreibung von drey verurtheilten Juden
Ach wunder über wunder
ihr lieben Christenlein
will ich singen jetzunder
was sich in kurtzer zeit
wahrhafftiglich begeben und
zugetragen hat
zu Wien in Österreich eben
in der Kayserlichen Hauptstatt.
Als man schreibt 1642. Jahr
im Augusti besonder
den 26. Tag fürwar
wie es mit drey Juden ergangen und zugetragen hat
nun höret mit vergangen
ein wunderliche That.
Der in Böhmen geborene Rabbiner Chazzim aus Engelberg (auch die Versionen „Chaim“ oder „Joachim“ finden sich in manchen Büchern) wurde beim Silberdiebstahl in einer Prager Synagoge ertappt. Um sich nicht mit negativen Konsequenzen zu belasten, ließ er sich 1636 taufen und nannte sich fortan Ferdinand Franz Engelberger. Er lebte nun als Katholik in Wien und verfasste Schriften zur „Judenmission“ wie Der Catholische Wegweiser oder Generationes Jesu. Leider konnte er trotz Konversion nicht von seiner kleptomanischen Leidenschaft ablassen, was ihm schließlich zum Verhängnis wurde.
Engelberger hatte gute Beziehungen zum kaiserlichen Hof, was ihm ermöglichte, sich Zugang zur habsburgischen Schatzkammer zu verschaffen. Mit zwei jüdischen Komplizen erbeutete er diverse Kleinodien der Erzherzogin Caecilia Renata (161 – 1644), einer Tochter Kaiser Ferdinands II., und entwendete ferner 21.000 Taler.
Der Diebstahl flog auf und alle drei wurden zum Tod durch den Strang verurteilt. Die Exekution war für den 22. August geplant und sollte am Hohen Markt stattfinden. Als Engelberger merkte, dass ihm in dieser prekären Situation auch die Taufe nichts mehr nützte, bekannte er sich neuerlich zum Judentum und wies bar jedweden Respekts darauf hin, dass er Hostien besudelt habe. Dann küsste er angeblich das Kruzifix, warf es mit Grimm auf den Boden, trat es mit den Füßen und bespuckte es, wobei er die Worte: Ach mein lieber Herr Jesu sprach. Auch über Dreifaltigkeit und Sakrament soll er gespottet haben.
Zwei Verbrechen wurden ihm nun vorgeworfen, die in dieser Zeit wesentlich schwerwiegender waren als Raub, nämlich Gotteslästerung und der Abfall vom Christentum. Diesen Vergehen gegenüber herrschte eine unerbittliche Haltung, wie die folgende Erklärung von Papst Paul IV. (1476 – 1559) offenbart: Selbst wenn mein eigener Vater ein Häretiker wäre, würde ich das Holz für seinen Scheiterhaufen sammeln, um ihn zu verbrennen. Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle, dass Paul IV. mit der berüchtigten Bulle Cum nimis absurdum, die 1555 veröffentlicht wurde, auch die antisemitische Hetze weiter angeheizt hat.
Die Hinrichtung wurde abgebrochen. Die unmittelbaren Leidtragenden von Engelbergers Verhalten waren die Angehörigen der Wiener jüdischen Gemeinde – Studenten und der gemeine Pöbel nahmen wieder einmal die Gelegenheit wahr, um ihren Hass auf die Juden auszuleben: Zahlreiche Häuser jüdischer Bewohner wurden geplündert, einige Juden wurden bei diesem Tumult sogar ermordet. Damit es zu keinen weiteren Ausschreitungen kam, wurden am nächsten Tag Wachposten aufgestellt.
Engelberger musste heimlich in der Nacht ins Gerichtsgebäude gebracht werden, damit das Volk ihn nicht lynchte. Es wurde ihm erneut der Prozess gemacht. Beharrlich blieb er bei seiner Geisteshaltung, dass er den Juden zum Ruhm, den Christen aber zum Spott gethan. Damit erfüllte sein Vergehen den Tatbestand der Blasphemie und sein trotziges Gebaren brachte ihm ein verheerendes Urteil ein.
Am 26. August 1642 wurde er im „Hohen Wagen“ auf die vier Hauptplätze der Stadt geführt. Zuerst auf den Hohen Markt, dann auf den Platz Am Hof, von hier weiter zum Graben und zuletzt auf den Neuen Markt. Zweimal wurde Engelberger mit glühenden Zangen in die Brust gezwickt und zweimal wurden Riemen4 aus seinem Rücken geschnitten. Während der Fahrt soll er vor Schmerzen fürchterlich geschrien haben: Gott, der du nie geboren bist, erbarm dich meiner!
Anschließend schleifte man den „Gottlosen“ auf die Gänseweide. Auch der Zuspruch der Jesuitenpatres, die ihm das letzte Geleit gaben, konnte ihn nicht von seiner vermaledeyten Verstockung abbringen, wie in dem erwähnten Flugblatt, dem der gesamte Ablauf der Causa Engelberger zu entnehmen ist, berichtet wird. Vor dem Scheiterhaufen wurde ihm zunächst die rechte Hand abgeschlagen, dann die Zunge ausgerissen. Die unmenschliche Amtshandlung wurde damit beendet, dass man Chaim Engelberger an den Füßen aufhängte und ihn bei lebendigem Leib den lodernden Flammen übergab. Dann wurde seine Asche in die Donau gestreut.
Zur Vervollständigung sei hier noch die Rechnung5 angegeben, die der Henker für seine blutigen Dienste stellte:
Für das Auszwicken der Brüste mit glühenden Zangen 12 kr; für Riemenschneiden 12 kr;
auf die Schleife binden 30 kr;
Handabschlagen und Zungenausschneiden 30 kr;
bei den Füßen aufhängen 40 kr;
das lebendig Verbrennen 1 fl. 30 kr;