Dunkle Geschichten aus dem alten Wien. Barbara Wolflingseder
Читать онлайн книгу.In Gedenken an Chaim Engelberger
An der Schranne, dem alten Gerichtsgebäude von Wien, das sich bis ins 19. Jahrhundert an der Ecke Hoher Markt/Tuchlauben befand, waren links und rechts vom Eingang zwei Tafeln angebracht, die ebenfalls nicht mehr existieren. Sie erzählten die tragische Geschichte des Rabbiners Chaim Engelberger:
Anno 1642: Joachim Engelberger, ein jüdischer Rabiner, in Böhaimb zu Rackonitz6 getauft, und als ein Christ Ferdinand Franz genannt, hernach neben zweyer Juden in Diebstahl ertappt, und zum Strang verdambt, ist nach verlesenen Urtheil von dem sitzenden Gericht und allem Volk von Christo zu der Judenschaft widerumb abgefallen, und hat das Heil. Cruzifix grimmilich zur Erden geworfen, die Heil. Dreyfaltigkeit und das Heil. Sakrament des Altars grausam gelästert, sogar dasselbe aus seinem Mund abscheulich vertilgen wollen.
Dahero er von neuem in Gefängniß geführt, wohl examinirt, und mit gerechtem Urtheil verdammt, und crafft desselben auf vier Plätzen zweymal mit glühenden Zangen gezwickt, zweymal Rüemen aus seinem Rückhen gerissen, von dannen auf die Richtstatt, auf die Gennßwaid geschlaippft, ihme die rechte Hand abgehauet und die Zungen aus dem Rachen gerissen, sodann mit den Füßen aufgehenkt, lebendig verbrennet und die Aschen in die Donau gestreuet worden.
Eine „Hexe“ auf dem Scheiterhaufen
Die einzige „Hexe“, die auf der Gänseweide verbrannt wurde, war die im niederösterreichischen Mank wohnhaft gewesene und um 1513 in Pielamund geborene Kleinhäuslerin Elisabeth „Elsa“ Plainacher, geborene Holtzgassner. Nachdem ihre Tochter Margareth im Kindbett verstorben war, kümmerte sie sich um die Erziehung ihrer Enkeltochter Anna Schlutterbauer. Mit ihrem Schwiegersohn, dem Bauern Georg Schlutterbauer aus Strannersdorf, verstand sie sich gar nicht. Der zu Gewalttätigkeit und Alkoholexzessen neigende Katholik warf seiner lutherischen Schwiegermutter vor, Annas Wutanfälle, die sie in der Pubertät entwickelte, seien auf ihre protestantische Erziehung zurückzuführen, außerdem richte sie das Mädchen für den Teufel ab – tatsächlich litt das schwachsinnige Mädchen wohl an epileptischen Anfällen. Er hielt diese Anfälle für Besessenheit und ließ seine Tochter mehrmals exorzieren. Bei der„Teufelsaustreibung“ vom 14. August 1583, die das 15-jährige Mädchen über sich ergehen lassen musste, sollen, laut der aufmerksamen Zählung des Jesuiten Becker, 12.526 Teufel aus ihrem Leib gefahren sein. Der „Oberteufel“ stellte sich angeblich sogar mit seinem Namen vor: Legio.
Dieses seltsame Mirakel wurde durch den ebenso geschwätzigen wie gefährlichen, aus Schwaz in Tirol stammenden Jesuiten und Hofprediger Dr. Georg Scherer (1540 – 1605), Domprediger von St. Stephan, von der Kanzel aus unter die leichtgläubigen Leute gebracht:
Christus und die Apostel haben die Teuffel gescholten, ihnen gedröwet, und mit allem ernst gebotten außzufahren: Eben das ist da auch geschehen. Man hat zur Apostelzeit die Heylthumb auffdie Beseßnen gelegt, eben das ist auch mit dieser Besessnen geschehen. Die Teyffel haben auffdas Gebieten Christi und der Apostel geschrien, und sein mit großem Geschrey und umgestümb außgefahren. Daß man die Beseßnen für todt eine Zeitlang umbgezogen: Eben das hat man bey disem entsetzlichen Spectackel gesehen und gehöret. Die Teuffel seind gepeinigt, gemartert und gequelet worden in den Beseßnen, durch Christi und der Apostel Wort: Also haben auch diese Teuffel Och und Auwehe auß dem Mägdlein geschrien zu der Zeit, da man den Göttlichen Namen ober sie angeruffen.
Scherer hetzte nun gegen die „Plainacherin“, schon zuvor hatte der Druck der Öffentlichkeit die Obrigkeit zum Handeln gezwungen: Erzherzog Ernst persönlich beauftragte im Mai 1583 Johann Caspar Neubeck, den Bischof von Wien, mit dem Fall, der darin nun ein höchst unrühmliche Rolle spielen sollte. Denn Neubeck war es, der nun empfahl, Elsa, die angebliche „Verursacherin“ der Leiden Annas, festzunehmen. Wie Anna Ehrlich in ihrem Buch Hexen, Mörder, Henker berichtet, brachte man daraufhin die 70-Jährige unter allen bei „Hexen“ üblichen Vorsichtsmaßnahmen nach Wien, wo sie vom Wiener Stadtrichter Oswald Huttendorfer vernommen wurde, der sich zunächst für ihre Aufnahme ins Bürgerspital einsetzte. Huttendorfer musste dann aber auf kaiserlichen Befehl hin die Folter zur Anwendung bringen. Der alten Frau wurden gleich mehrere Verbrechen zur Last gelegt: zauberische Schädigung ihrer Enkelin, dazu noch (Gift)Mord an ihrem seit langem verstorbenen Mann und an ihren vier Kindern, ferner Verbrechen gegen die göttliche Majestät und Verachtung des Schöpfers.
Elsa Plainacher wurde im Keller des Malefizspitzbubenhauses in der Rauhensteingasse schwer gefoltert; in der ersten Stufe der Tortur betritt sie noch, etwas über die Ursache der Krankheit ihrer Enkelin zu wissen, als man die Folter jedoch verschärfte, „gestand“ sie, was man von ihr hören wollte, samt Hostienschändung und allem, was ins Repertoire von „Zauberinnen“ nach Meinung der katholischen Kirche gehörte: Ja, sie hätte es mit dem Teufel getrieben und sich ihm für Geld verschrieben. Und sie hätte ihm auch Anna mit „Leib und Seele“ übergeben – der Teufel sei in einen Apfel geschlüpft, den Anna gegessen habe. Von diesem Augenblick an wäre sie von ihm besessen gewesen.
Das Böse wird den Menschen ausgetrieben: Exorzismus an einer Frau, die ihre Eltern und ihr Kind getötet hat. Darstellung am Großen Mariazeller Wunderaltar, 1519.
Gegen seine persönliche Überzeugung musste Stadtrichter Oswald Huttendorfer mit dem „Rat der Zwölf“ am 20. August 1583 das Todesurteil über Elsa Plainacher aussprechen. Auf der Freitreppe an der Schranne wurde coram publico der Stab über ihrem Haupt gebrochen.
Am 27. September 1583 wurde Elsa Plainacher an den Schweif eines Pferdes gebunden und auf ein paar festgenagelte Bretter geschnürt, zum Scheiterhaufen nach Erdberg geschleift, verbrannt und ihre Asche von den Winden zerstreut, damit nicht zu besorgen wäre, dass die Leiche, falls man sie nicht spurlos vertilgte, noch aus dem Grabe heraus neues Unheil heraufbeschwöre. So steht es im Buch Im Zeichen der Grausamkeit von Schlager und Fuhrmann.
Das betreffende Protokoll schließt mit dem Vermerk, dass die Hinrichtung der Plainacherin beim Volke großen Beifall fand. Kaiser Rudolf II., der dem Okkultismus höchst zugetan war, gab von Prag aus die Anordnung, die Jagd nach „Hexen“ und „Zauberern“ fürs Erste gut sein zu lassen.
Über das weitere Schicksal der Anna Schlutterbacher gibt es unterschiedliche Berichte. Einer Version zufolge soll sie als „Kopfwäscherin“ in einer Badestube ihren Lebensunterhalt verdient haben, nach anderen Aufzeichnungen fand sie bei den Dominikanerinnen in St. Laurenz Zuflucht.
Der Jesuit Georg Scherer hetzte weiter gegen Lutheraner, Juden und „Hexen“, bezeichnend sein Ende: Während einer Predigt in Linz anno 1605 trifft ihn auf der Kanzel der Schlag.
Der Begriff „Sodomit“ wurde früher nicht nur für Menschen, die Tiere sexuell missbrauchen, verwendet, sondern auch für Homosexuelle.
Hebräisch: Shoa
Hebräisch: Verhängnis
Hautstreifen
Die Abkürzung „kr.“ steht für Kreuzer; „fl.“ steht für Gulden und kommt von der mittelalterlichen Münze Florin, die in Florenz zum ersten Mal geprägt wurde.