Alexa und das Zauberbuch. Astrid Seehaus

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Alexa und das Zauberbuch - Astrid Seehaus


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wartete.

      „Sommerspross und Rattenwanze, Läusemist und Ziegenschwanze, meine Macht ruft dich herbei, eins und zwei und hexendrei.“

      Nichts.

      Es blieb still.

      Keine Menschenseele weit und breit. Vor der Schultür tat sich nichts. Auf der Straße davor nicht, und die Wege und die Flächen bis zum Weiher breiteten sich wie ausgestorben vor ihr aus. Ob gerade die Pest wütete? So leer sah es nur in den Dörfern aus, die der Hauch des Todes durchweht hatte. Entsetzt sprang sie auf. Die Pest? Das war kein Spaß, wenn hier wirklich Meister Schnitter, der Sensenmann, eine blutige Ernte einbrachte.

      Sie lief zum Weiher, sah dort die Enten gründeln, beobachtete die Tauben, die gurrend umhertippelten, und fand alles zwar unbelebt, aber nicht bedrückend. Es war ein ruhiger Ort, aber sicherlich kein gefährlicher.

      Ein Hündchen sprang plötzlich an ihr hoch.

      Alexa bückte sich, um es zu streicheln. „Du bist aber ein liebes Hündchen.“

      „Ja, das ist er wohl, nur gehorchen tut er nicht, der kleine Struppi.“ Die Frau, die neben Alexa stand, war kaum größer als das Mädchen. „Er läuft mir immer davon.“

      „Oh, da kann ich dir einen Ratschlag erteilen“, erwiderte Alexa freundlich. „Wenn du ihn rufst und er kommt nicht, knurrst du ihn an und sprichst: ‘Mäusewind und Bienenstich, gehorchst du nicht, dann beiß ich dich!’

      Die Frau brach in schallendes Gelächter aus. „Wie reizend! Vielleicht sollte ich meinen Struppi wirklich mal anknurren und ein wenig beißen. Vielen Dank für den Tipp.“ Sie lachte noch immer, als sie sich mit ihrem Hund entfernte.

      „Nicht der Rede wert, es war mir eine Ehre, dir geholfen zu haben“, murmelte Alexa.

      Mehr und mehr Menschen schienen nun die Wege zu bevölkern, um die wärmenden Strahlen der Sonne zu genießen. Sie gingen die grauen Wege entlang, sprachen miteinander und lachten. Sie schienen guter Dinge zu sein, niemand von ihnen wirkte böse oder gefährlich, und dennoch wusste Alexa, dass es nicht ihr Zuhause war.

      Die Hexenjägerin war nicht wieder erschienen, auch wenn Alexa den Rückkehrzauber mehrfach gewirkt hatte. Als sie die Arme für eine weitere Beschwörung hob, öffnete sich das Schulportal, und die Hexenjägerin erschien. Sie war allein.

      „Los geht’s!“ murmelte Alexa. „Dann war mein Rückkehrzauber doch noch erfolgreich.“

       Die Hexenjägerin

      Gisela Salzmann hasste die Schule, obwohl sie sich nicht zu beklagen brauchte. Sie war die beste ihrer Klasse, und sie ließ sich durch nichts und niemanden einen Denkfehler nachweisen. Sie war logisch im Denken, klar in der Aussprache, vorbildlich in ihrem Benehmen und – dick.

      Ja, überflüssigerweise war sie auch dick. Wäre sie nicht so dick und trampelig wie ein Elefant, dann würde Clemens sie und nicht diese blöde Cynthia nett finden. Diese Kuh, die so viel Grips hatte wie eine leere Butterdose und plapperte wie ein Radio. Wenn Herr Kästner nicht ständig betonte, wie außergewöhnlich Cynthia in seinem Unterrichtsfach sei (ausgerechnet Musik! Lächerlich!), würde Gisela sie glattweg vergessen. Niemand schien überhaupt zu bemerken, wie außergewöhnlich Gisela war, in Mathe, in Deutsch, in Chemie, eigentlich in allen Fächern, außer – wie sollte es auch anders sein? – in Sport.

      Warum wurden die Gaben nur so ungerecht verteilt? Sie hatte von allem zu viel. Zu viel Grips und zu viele Pfunde. Gisela hasste ihre Pfunde! Sie hasste sich! Sie hasste Cynthia! Cynthia von Ebersau! Nicht zu vergessen, gesprochen wie Ebers-au. Mit einer kleinen Pause zwischen Ebers und au. Einer klitzekleinen, aber einer wichtigen Pause.

      Gisela hasste auch Cynthias Freundinnen Lara, Mona und Sabine, die genauso dumm waren wie Cynthia. Und sie hasste Clemens! Weil sie, die dicke, hässliche Gisela, in ihn verliebt war. Weil er sie nicht beachtete. Weil er nur Augen für Cynthia hatte und nur Ohren für ihre glockenhelle Stimme. Sie, Gisela, dagegen raspelte wie eine verrostete Feile auf Dosenblech. Wenn er sie doch auch einmal so anlächeln würde wie diese Gans. Nur einmal wenigstens. Dann wäre sie ja schon ganz zufrieden und würde nie wieder murren, wenn ihre Mutter ihr auftrug, das doofe Klo zu putzen. Wie sie alles hasste!

      Missmutig stampfte Gisela den vertrauten Weg zurück nach Hause. Zuerst durch den Park, danach über die Hauptstraße, ein Stück durch die Fußgängerzone und zum Schluss den Berg hinauf zu den Wohnsilos. Sie würde sich zu Hause ihr Mittagessen warm machen, ihre Schulaufgaben erledigen, ihren dreijährigen Bruder Felix von der Tagesmutter abholen und ihn versorgen, bis die Eltern von der Arbeit kämen. Jeder Tag war wie der vorherige. Eintönig, langweilig und trostlos. Sie sah an sich herunter. Genauso wie dieser Rock, dachte sie. Sie bräuchte dringend ein paar neue Klamotten. Kein Wunder, dass Clemens sie nie eines Blickes würdigte, auch wenn sie auf jede Frage der Lehrer die richtige Antwort wusste.

      Sie dehnte ihren Rücken und ließ die Schultern kreisen. Heute war sie wirklich furchtbar verspannt. Es fühlte sich an wie ein Hexenschuss. Besonders jetzt wieder, während sie durch den Park ging. Als sie heute Morgen auf der Bank gesessen hatte, hatte sie sogar jemanden über sich gespürt. Sie schüttelte sich. Unsinn! Ihre Fantasie ging mit ihr durch.

      Gisela erreichte die Hauptstraße, dicht gefolgt von Alexa.

      Tod und Teufel! TOD UND TEUFEL!

      Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete Alexa, wie bunt bemalte Blechwagen auf kleinen schwarzen Rädern an ihr vorbeirasten. Und das ohne Pferde oder Ochsen oder andere Zugtiere. Mit einer Geschwindigkeit, die jedem Hexenbesen Ehre gemacht hätte.

      Eingekeilt in einer dichten Menschentraube wartete Alexa wie hypnotisiert, wer von den anderen so tapfer sein würde, diese Straße zu überqueren. Ob das eine Art Fehde war, ein Kampf, bei dem man auf den Schlachtruf wartete?

      Sie rührte sich nicht von der Stelle. Mit äußerster Skepsis betrachtete Alexa ihre Umgebung. Der Gestank war eine Beleidigung für ihre Nase, der Krach ohrenbetäubend und alles um sie herum sehr absonderlich ... äußerst absonderlich ... höchst absonderlich. Um den Gestank zu beschreiben, fiel ihr kein passender Begriff ein. Sie dachte nach. Sie war im Zauberland. Eindeutig. Nur im Zauberland konnten Wagen durch Zauberkraft gezogen werden und diese furchterregenden Fürze knallen.

      Plötzlich strebten alle – wie auf ein geheimes Kommando hin – über die Straße. Alexa wurde mitgeschoben, ob sie wollte oder nicht. Der schwarze Straßenbelag war durch die Sommerhitze aufgeweicht und heiß wie Feuer.

      Sie blickte irritiert auf den Asphalt und sprang mit einem Aufschrei hoch. „Teufel nochmal! Meine Füße kokeln an.“

      Gisela drehte sich nach ihr um. Was war denn das für eine komische Person, die wie ein Flummi albern herumhopste? Warum trug sie keine Schuhe? Der Rock war zerrissen und sah noch übler aus als ihrer. Noch so eine, deren Eltern kein Geld hatten. Sie warf Alexa ein mitleidiges Lächeln zu.

      Erschrocken vergaß Alexa weiterzuhüpfen. Die Hexenjägerin hatte sie erkannt. Sie wusste alles.

      Hexenmist noch mal! Mit einem Fingerschnippen verschwand Alexa aus der Menge und tauchte auf der anderen Seite der Straße in der Fußgängerzone wieder auf. Aus riesigen, sich spiegelnden Glasscheiben glotzte ihr ein Mädchen entgegen. Die Haare des Mädchens standen zu allen Seiten ab, als ob sich ein Huhn ein Nest darin bauen wollte. Egal, in welche Richtung Alexa auch schaute, sie sah immer wieder dieses Mädchen, bis sie endlich begriff, dass sie selbst es war, die sie sah. Nachdenklich krauste Alexa die Nase. Überall, wohin sie auch sah, sah sie Glas. So viel Glas? Glas war teuer. Und sehr viel Glas bedeutete sehr viel Geld. Und wenn es viel Geld gab, dann war das ein sehr mächtiges Zauberland. Ein Zauberland mit mächtigen Drachen und einem mächtigen Zauber. Einem Zauber, der … der … einem schon mal ein bisschen Angst machen konnte.

      „Du bist nicht von hier, nicht wahr?“ Gisela stand neben der jungen Hexe und blickte sie freundlich an.

      Alexa schrak


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