Katzmann und das verschwundene Kind. Franziska Steinhauer
Читать онлайн книгу.Katzmann grinste. «Aber diesmal warst du nicht zur Stelle. Der Sohn eines Polizisten, der den Katzmann sonst immer gerettet hat. Wie damals, als du mich aus dem Verlies geholt hast. ‹Mein Vater wird euch alle verhaften!›, hast du gerufen. Das war sehr, sehr beeindruckend, Fritz!»
«Es hat gewirkt! Obwohl ich klein und dick war, haben sie mir ihren Gefangenen übergeben», erinnerte sich Ganter grinsend und fragte dann: «Wie hieß denn nun die holde Maid, die du aus dem Wasser gezogen hast?»
«Katja. Mehr weiß ich nicht. Urplötzlich tauchten ein paar Tanten von ihr auf und nahmen sie mit nach Hause. Offensichtlich hatten sie schon länger nach ihr gesucht. Ich weiß nicht einmal, wo sie wohnt. Eigentlich gehört Harry ihr.»
«Wie sah deine Katja denn aus?», fragte Fritz mit erwachtem beruflichem Interesse.
«Fritz! Es war dunkel. Immerhin konnte ich auf der Straße erkennen, dass sie lange dunkle Haare hat und sehr große dunkle Augen.»
«Dann ist es nicht die, die ich suche. Das Mädchen ist blond.» Der Kommissar lehnte sich wieder ins Polster zurück. «Ehrlich, der Wein deines Großvaters ist sehr wohlschmeckend. Aber mir steht eher der Sinn nach einem Bier. Lass uns irgendwo hingehen, ins Waldschlösschen zum Beispiel. Ich möchte dir eine Geschichte erzählen.»
«Du hast es wieder getan, nicht wahr?», zischte ihre Stimme schneidend durch die Küche, und ihre knochigen Finger schlugen hart gegen seine Wange.
Eine Verkehrte reinhauen, so nannte sie das, und es bedeutete, dass sie mit der Rückseite der Hand zuschlug. Ihr Ring riss eine hässliche Wunde. Der Schmerz brannte sich bis zu den Zähnen vor, und er konnte Blut riechen. Sein Blut. Er spürte, wie es durch die Barstoppeln rann.
«Ich hatte es dir verboten! Ausdrücklich!» Wieder zog der Ring eine Verletzung. Diesmal knapp neben dem Auge.
Er wimmerte. Das tat er in Situationen wie dieser immer. Manchmal half es, manchmal nicht.
«Du Memme!», schleuderte sie ihm in Gesicht.
Sie griff nach dem Schrubber in der Ecke neben dem dreckverkrusteten Herd und drehte das borstige Ende nach oben. «Hast du dir je überlegt, wovon wir leben sollen, wenn ich diese Anstellung verliere? Wie sollen wir die Preise auf dem Schleichmarkt bezahlen? Nein, darüber hast du nicht nachgedacht, natürlich nicht! Dazu ist dein Spatzenhirn nicht ausreichend, das beschäftigt sich mit ganz anderen Fragen!»
Unerwartet heftig sauste die stinkende Bürste auf ihn nieder. Er hörte das Knacken, als sein Nasenbein brach.
«Warum habe ich nicht auf meine Mutter gehört? Die hat mir gleich gesagt, dass einer wie du nichts taugt!»
Er schluchzte, bekam keine Luft mehr, röchelte, schmeckte Blut, roch Blut. Panik erfüllte ihn. Er wollte nicht sterben. Schützend barg er sein Gesicht in der Armbeuge.
«Aber nein, ich musste ja ausgerechnet einen Spinner wie dich heiraten! Nicht einmal für die Hausarbeit taugst du!»
Wieder holte sie zu einem mächtigen Schlag aus, diesmal gegen seine Lende, so dass er im Reflex die Arme herunterriss und ächzend die Seite umklammerte.
«Du kannst nicht nur deine Frau nicht ernähren, wie es deine Pflicht wäre - nein, schlimmer noch, du bist von dem Geld abhängig, das sie verdient! Und dann fällt dir nichts Besseres ein, als ihre Arbeit zu gefährden. Wie kann man nur so entsetzlich dämlich sein?» Erneut nahm sie Schwung.
Waidwund sah er auf die zierliche Gestalt hinunter und dachte darüber nach, was wohl geschehen würde, wenn er sie oder den Stiel einfach packte. Seine Pranken, riesig und muskulös, konnten das Leben aus ihr herausquetschen wie das Mark aus einer reifen Banane. Für einen fast seligen Moment genoss er die Vorstellung, wie sie schreiend in seinen Armen zappelte, um Gnade bettelte, die er ihr nicht gewähren würde.
Doch das würde er sich natürlich nie trauen.
In der Kneipe war es überraschend leer. Der Geruch von gebratenen Zwiebeln hing in der Luft und vermischte sich mit den graublauen Rauchschwaden über dem Tresen. Bratkartoffeln mit Zwiebeln war das einzige Gericht, das noch auf der Karte stand. Die anderen hatte der Wirt mit einem schwarzen Stift durchgestrichen.
«Hm!» Fritz nahm einen tiefen Zug und starrte verzückt auf sein Glas, an dem das Kondenswasser tausende Perlen bildete.
«Wunderbar! Konrad, ich habe vielleicht eine Geschichte für dich.»
«Für die Zeitung?»
«Möglich. Ich sage das nicht gern, doch im Moment sieht es nicht so aus, als käme die Polizei allein weiter. Und ich weiß ja, dass du Rätsel magst.»
«Dann raus mit der Sprache. Immerhin bin ich jetzt Dresdenkorrespondent der Leipziger Volkszeitung!»
«Oh! Gratuliere, mein Freund! Dann bist du also genau die richtige Adresse für mich.» Er nahm sein Glas vom Tresen und zog sich mit Konrad in eine ruhige Ecke zurück. «Also: Vor etwas mehr als einer Woche kam eine völlig aufgelöste Mutter zu mir ins Bureau. Es war kurz vor Dienstschluss, und sie berichtete mir, ihre Tochter Trude sei nach der Schule nicht nach Hause gekommen. Das Mädchen ist zehn Jahre alt, zart, blond mit grauen Augen. Bei der besten Freundin hatte die Mutter schon nachgefragt und dabei erfahren, Trude sei den ganzen Tag nicht in der Schule gewesen.»
«Am Morgen hatte sie keinen kranken Eindruck gemacht?»
«Nein.» Fritz nahm einen kleineren Schluck. «Im Gegenteil, sie war fröhlich und freute sich auf den Unterricht. Die Mutter hatte keinen Anlass zu vermuten, Trude habe vor, der Schule fernzubleiben. Nach ihrem Verschwinden befragten wir natürlich die Nachbarn. Die hatten das Mädchen beim Verlassen des Hauses gesehen, mit dem Ranzen auf dem Rücken und zur üblichen Zeit.»
«In der Schule ist sie nie angekommen? Dafür mag es viele Gründe geben. Einen Anfall von Abenteuerlust zum Beispiel. Oder sie hatte Streit mit der Mutter, will sie nun bestrafen und ist in einen Zug gestiegen und einfach losgefahren», zählte Konrad auf. «Natürlich könnte ihr auch etwas Schreckliches zugestoßen sein.»
«Wir haben den ganzen Schulweg abgesucht, vom Vogesenweg bis zum Tor der St.-Magdalenen-Schule in der Lortzingstraße. Hinter jeden Busch haben wir geguckt, viele Keller durchsucht, auf Hinterhöfen rumgestöbert. Keine Spur. Niemand hat sie gesehen, weder allein noch in Begleitung», seufzte Ganter, der an die Szene dachte, die ihm die Mutter am Nachmittag gemacht hatte.
«Und in der Nähe der Schule hat sie auch keiner gesehen?»
«Da haben wir großes Glück gehabt. Es gibt eine Zeugin, die gegenüber der Schule wohnt und jeden Morgen die Ankunft der Kinder beobachtet. Und diese alte Dame, Frau Janker, hat versichert, an diesem Morgen die kleine Trude nicht gesehen zu haben.»
«Hm. Was sagte die Mutter bei der Befragung? Es gab keinen Streit?»
«Nein. Trude ist ein besonders braves Mädchen. Auch die Nachbarn berichten von wenig Auseinandersetzungen.» Fritz warf Konrad einen Blick zu, in dem Katzmann die leise Verzweiflung erkennen konnte, die den anderen erfasst hatte. «Wir wissen, dass hinter einer anständigen, bürgerlichen Fassade das blanke Grauen herrschen kann. Ich bin Kommissar! Du glaubst nicht, was ich schon alles gesehen habe! Aber bei diesen Leuten scheint es sich tatsächlich um eine nette Familie zu handeln.» Er verstummte, holte tief Luft und erklärte: «Es kommt gar nicht so selten vor, dass Kinder weglaufen. In den Kriegsjahren ist die Situation in manchen Familien unerträglich geworden. Es gibt wenig zu essen, der Vater ist an der Front, die Mutter von Sorgen zerfressen, da bleibt das Kind manchmal auf der Strecke. Meist sind es Jungs, selten Mädchen. Und es handelt sich oft um ausgesprochen schwierige, trotzige und widerspenstige Kinder. Aber hier liegt der Fall anders.»
«Gibt es auch einen Vater?», fragte Konrad unbeirrt weiter. Er war Reporter und wusste um die geschickt getarnten Grausamkeiten, die in netten Familien mitunter üblich waren. Er zog einen kleinen Notizblock aus der Gesäßtasche und grinste. «Immer noch feucht! Dabei steckte der im Mantel.»
«Der Vater arbeitete in Berlin. Ich weiß nicht, woran er getüftelt hat, aber es muss bei