Karl -ausgeliefert. Bernhard Giersche

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Karl -ausgeliefert - Bernhard Giersche


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schlanker, hochgewachsener Mann von fast zwei Metern Körpergröße. Für seine fünfundsechzig Jahre wirkte er sehr sportlich, und seine grauen Haare verliehen ihm etwas seriöses. Ein Eindruck, der durch die goldgefasste Brille noch verstärkt wurde. Er trug stets einen gepflegten Anzug, keine Nobelmarke, aber doch teuer genug, um zu demonstrieren, dass er in der Firmenhierarchie ganz oben stand. Trotz seines sehr fairen Führungsstils strahlte er Autorität aus und er war sehr starrsinnig und selbstbewusst in dem, was er wollte, oder eben nicht wollte. Seine Sekretärin, ungewöhnlich blass, öffnete die Tür zu seinem Büro und teilte ihm mit, dass »die Herren aus Deutschland« jetzt da seien. Er nickte nur und Karl Grothner betrat das Büro des Spediteurs. Ihm folgte der Anwalt, der ihn in den vergangenen Wochen so sehr bedrängt hatte. Der Anwalt nickte Dickens nur kurz zu und stellte eine Aktentasche und einen Laptop auf den Besprechungstisch in der Mitte des Raumes. Dann verließ Dr. Krieger das Büro wieder und Dickens war mit Grothner allein.

      »Setzen wir uns!«, sagte Karl Grothner knapp und Dickens fühlte sich, als sei er der Gast hier. Ohne seine Reaktion abzuwarten, nahm Karl Grothner an dem Besprechungstisch Platz. Der Tisch bestand aus einer rechteckigen Mahagoniplatte. In der Mitte standen einige Gläser und verschiedene Getränkeflaschen. Daniel Dickens versuchte, so souverän wie möglich zu klingen.

      »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«

      »Sparen Sie sich die Höflichkeiten, ich habe hier die Verträge für die Übernahme, Sie unterschreiben, packen Ihre Sachen und verlassen das Firmengelände. Und dann, vielleicht, wünsche ich eine Erfrischung.« Grothners Stimme war nicht laut, aber sie war fest, klar und kalt. Dickens starrte ihn an, als hätte Grothner einen irrsinnigen Knittelvers aufgesagt.

      »Sind Sie noch ganz bei Trost? Sind Sie völlig irre? Ich habe dem Gespräch nur zugestimmt, damit ich Ihnen ins Gesicht sagen kann, dass Sie niemals, niemals diese Firma übernehmen werden. Nicht, solange ich lebe und auch danach nicht. Verlassen Sie sofort mein Büro und lassen Sie sich nie wieder blicken.« Feine Speicheltropfen stoben von Daniel Dickens Lippen, als er diese Worte geradezu herausschrie. Sein niederländischer Akzent verlieh dem Gesagten noch mehr Ernsthaftigkeit als der Groll, der in seiner Stimme mitschwang. Mit hochrotem Kopf stand Dickens vor dem Mogul, die Fäuste fest gegen die Hüften gepresst. Grothner griff zu seiner Aktentasche und suchte scheinbar unbeteiligt einige Papiere heraus. »Der Vertrag.« Er griff in die Innentasche seines Sakkos und förderte einen edlen, schwarzen Füllfederhalter zutage, den er sanft auf den Stapel Papiere legte. »Unterschreiben!«

      »Sie sind völlig wahnsinnig!« Dickens versagte die Stimme.

      »Bin ich das? Was ist denn in Ihren Augen Wahnsinn? Eine Firma zu übernehmen im Zeitalter der Globalisierung? Oder Mord? Tausendfacher Mord? Beihilfe zum Völkermord?« Grothner sprach die Worte ruhig, fast feierlich, ohne seinen Gegner dabei aus den kalten Augen zu lassen.

      »Was ist Wahnsinn?« Die letzten drei Worte hatte er deutlich lauter gesprochen. Am ganzen Körper bebend stand Daniel Dickens im Raum, seine Hände öffneten und schlossen sich in schnellem Rhythmus.

      »Raus! Auf der Stelle raus!!«, brüllte der, nun nicht mehr souveräne, Spediteur. Unbeeindruckt griff Grothner wieder in die Aktentasche und zog ein weiteres Blatt Papier heraus.

      »Dies ist eine beglaubigte Kopie, die mir freundlicherweise vom Bundesarchiv in Leipzig zur Verfügung gestellt wurde. Das Schreiben ist datiert vom 2. September 1942. Absender ist das Reichssicherheitsamt in Berlin. Das Amt beauftragt Ihren werten Herrn Vater mit dem Transport von Industrieanlagen von Erfurt zu einem Ort in Polen, den sie vielleicht kennen. Ah, hier steht es ja. Der Ort heißt Auschwitz. Die Industrieanlagen sollen bei einer Firma J. A. Topf und Söhne in Erfurt geladen und in dieser seltsamen polnischen Stadt wieder abgeladen werden. Auftraggeber ist ein Herr Karl Bischoff. Bauleiter der SS.«

      Wieder griff Grothner in die Aktentasche. Diesmal hielt er mehrere Blätter in der Hand. »Ah, das ist ja interessant. Sie haben für die Nazis auch nach Dachau, Gusen und Mogilev geliefert. Immer Industrieanlagen der Firma Topf und Söhne. Und hier, schauen Sie mal, auch nach Buchenwald. Ist das nicht gleich bei Erfurt?« Lässig warf Karl Grothner die Papiere auf den Tisch. Ein letzter Griff in die Aktentasche. »Ladepapiere, einige tragen die Unterschrift Ihres Vaters und Ihres Großvaters.« Grothner schloss kurz die Augen, als wolle er einen lästigen Gedanken aus seinem Inneren vertreiben. Dickens stand völlig erstarrt und leichenblass immer noch an derselben Stelle wie zu Beginn dieses Gespräches. »Dreimuffelöfen«, las Grothner vor. »Und hier ... gasdichte Fenster und Türen. Und hier, ein Dankschreiben, unterschrieben von Ihren Vorfahren, für die gute Zusammenarbeit und voller Hoffnung, das alles zur vollsten Zufriedenheit des Führers abgewickelt wurde. Wissen Sie, werter Herr Kollege, was Dreimuffelöfen sind? Nein? Es sind Krematorien. Sie haben den Nazis die Mittel beschafft, sie mit den Mitteln versorgt, um hunderttausende Menschen umzubringen.« Grothner machte eine Kunstpause. »Nun gut.« Er griff zu dem Laptop und klappte ihn auf. Nach Sekunden zeigte der Bildschirm das Logo eines bekannten Internetdienstes.

      »Da Sie sich beharrlich weigern, Ihre Firma zu veräußern, werde ich diese Information nun in einer bereits vorformulierten Mail an alle Geschäftspartner, an die Spediteursgewerkschaft, an Ihre und meine Regierung und natürlich an alle Ihre Kunden weiterleiten. Zudem habe ich im Verteiler dieser Mail sämtliche Medienvertreter aufgenommen, die an dieser Information Interesse haben könnten.« Demonstrativ griff Grothner zu dem schwarzen Füllfederhalter und steckte ihn wieder ein. Dickens hatte sich aschfahl auf einen der Stühle gesetzt und betrachtete mit zitternden Händen die Papiere, die Karl Grothner auf den Tisch gelegt hatte.

      »Das ... das wusste ich nicht. Ich ... ich habe das nicht gewusst.«, stammelte der Niederländer.

      »Tja, jetzt wissen Sie es. Ich brauche gar nichts mehr zu tun. Ich drücke diesen Knopf hier und fege in drei Wochen die Scherben zusammen, die von Ihrer Spedition übrig geblieben sind. Das war es, schönen Tag noch.« Grothner stand auf.

      »Nein, warten Sie. Bitte. Bitte senden Sie das nicht ab. Wir reden, ich rede mit Ihnen. Das darf nicht ... das darf niemals ... meine Familie ... bitte, reden Sie mit mir.« Dickens Stimme zitterte und Tränen standen in seinen Augen.

      Seine Brille hatte er abgenommen und auf den Tisch gelegt, ein Zeichen völliger Resignation. Mit flehendem Blick sah er Grothner an. Dieser musterte ihn wie ein exotisches Insekt. Ohne ein Wort zu sagen, holte er erneut den Füller hervor und warf ihn Dickens zu.

      »Überall, wo ein Kreuz ist.« Daniel Dickens unterschrieb nicht sofort. Er blätterte die Seiten durch und stutzte, als er den Kaufpreis sah. Seine Spedition war mindestens das Zehnfache wert.

      »Das ist doch nicht Ihr Ernst! Die Kaufsumme ist doch nicht wirklich Ihr Ernst! Alleine der Fuhrpark ist das Doppelte wert. Ich kann Ihnen doch meine Firma nicht schenken.« Der Niederländer sah Grothner verzweifelt an.»Wenn ich hier auf diese Taste drücke, ist Ihre Firma nicht mal mehr einen Cent wert«, flüsterte Grothner und hielt den rechten Zeigefinger auf der »Enter«-Taste.

      »Ich flehe Sie an. Mit dem Kaufpreis kann ich nicht leben. Das ist viel zu wenig. Ich muss doch auch an meine Familie denken.«

      »So wie Ihr Vater an die Familien der Leute gedacht hat, die die Nazis in die Dreimuffelöfen geschoben haben? Unterschreiben Sie!« Dickens erkannte intuitiv, dass seine Karriere als Geschäftsmann jetzt und hier endete und er fügte sich in sein Schicksal.

      Eine Minute später gehörte Karl Grothner die Firma.

      »Bitte löschen Sie jetzt die Mail«, flüsterte der Geschlagene. Grothner legte seine Fingerspitzen aneinander und schaute darüber hinweg seinen ehemaligen Gegner an.

      »Wissen Sie, warum sich der Hund an den Eiern leckt?«, fragte Karl Grothner den irritiert blickenden Dickens.

      »Weil er es kann!«, sagte der neue Besitzer von »Dickens-Transport« und drückte den »Senden«-Button.

      Leichenblass saß der vernichtete Dickens an Grothners Tisch in Grothners Büro, als dieser den Raum verließ und seinem Anwalt nur kurz zunickte. Dieser nahm die Papiere vom Tisch und verstaute sie in der Aktentasche. Er klappte den Laptop zu und nahm ihn unter den Arm. Kurz blitzten seine Goldzähne auf. »Einen schönen Tag noch.«


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