Karl -ausgeliefert. Bernhard Giersche
Читать онлайн книгу.war es nun, die Trümmer, die von »Dickens-Transport« übrig geblieben waren, zusammenzukehren, die Pressearbeit zu veranlassen und neue Verträge zu formulieren, mit denen der Finanzorganismus des Grothner-Imperiums weitere Facetten erhielt. Karl Grothner saß im Fond des Fahrzeuges und sah aus dem Fenster. Er hatte die Oberlippe leicht hochgezogen und seine schneeweißen Zähne blitzten zwischen den schmalen Lippen hervor. Seine Mundwinkel wiesen dabei nach unten, was seinem Gesicht etwas Bösartiges verlieh. Einer der seltenen Momente, in denen er lächelte. Eine Stunde später hob der Learjet ab und brachte Karl Grothner und sein Team zurück nach Deutschland. Am Flughafen erwartete die Gruppe bereits die Cheflimousine und der Land Rover für die Leibwächter. Die Fahrt ging in Richtung des Wohnsitzes des Multimillionärs. Es war bereits dunkel, als die Kolonne das Anwesen erreichte.
Fünf
Marius Kleinhans hoffte, dass die Präzision, mit der sein Opfer seinen Tag strukturierte, auch nach der Dienstreise Gültigkeit besaß. Demnach würde Grothners Wagenkolonne um genau acht Uhr morgens losfahren. Der Wagen mit den Bodyguards würde ausgeschaltet werden, und wenn der Chauffeur des »Chefs« bei der Ausbildung aufgepasst hat, würde er, anstatt anzuhalten, Gas geben, um Grothner in Sicherheit zu bringen. Denn es musste ihm sofort klar werden, dass irgendetwas nicht mit rechten Dingen zuging, wenn der Land Rover so spektakulär außer Gefecht gesetzt würde. Er würde mit seinem wertvollen Passagier, so schnell es der gepanzerte Mercedes zuließ, in Richtung Stadt fahren, wahrscheinlich aber dabei einen Notruf an die Polizei absetzen. Der Mercedes würde also sehr schnell die Stelle passieren, die Marius für den letzten Akt dieses Stücks vorgesehen hatte. Er schätzte, dass er maximal fünf Minuten Zeit hatte, den Mann aus der Limousine zu ziehen, ihn in den Renault zu schaffen und mit ihm von der Bildfläche zu verschwinden, bevor es vor Polizisten wimmeln würde. Es gab nur eine einzige Sache, die Marius weder planen, noch vorhersehen konnte. Wie bekam man einen Mann aus einem gepanzerten Fahrzeug, wenn der das nicht wollte? Hier lag die vielleicht größte Unwägbarkeit in seinem Plan. Er hatte im Internet alles über gepanzerte Autos gelesen, was zu finden war, und so wusste er, dass solche Autos zumeist spezielle Sicherheitseinrichtungen besaßen, die im Falle eines Unfalls aktiviert wurden. Schließlich muss ja auch die Feuerwehr an die Fahrzeuginsassen herankommen, wenn es sich um einen normalen Verkehrsunfall handelt und nicht um ein Attentat oder einen Entführungsversuch. Diese Spezialfahrzeuge boten in erster Linie Schutz gegen Beschuss und Zugriffe von außen. Bis zu drei Tonnen schwer, glichen sie jedoch anderen Fahrzeugen bis ins Detail, auch wenn sie im Grunde nur aus Panzerstahlplatten bestanden, die man mit leichtem Blech verkleidet hatte. Alleine die Seitenscheibe eines solchen Fahrzeuges wog an die vierzig Kilogramm und hielt auch Geschosse größeren Kalibers mühelos ab. Marius setzte darauf, dass Grothner darauf bedacht war, im Falle eines Verkehrsunfalls schnellstmöglich gerettet zu werden. Da gepanzerte Limousinen nie von der Stange kamen, sondern individuell geplant und konstruiert wurden, ließ sich für Marius nur schwer einschätzen, welche technischen Kniffe Grothners Mercedes besaß.
Er hatte den Renault nun unmittelbar an die Stelle gelenkt, an der der Überfall stattfinden sollte. Marius stieg aus, ließ den Zündschlüssel stecken und begab sich in Richtung des verlassenen Bauernhofes, bei dem er den Kieslaster untergestellt und versteckt hatte. Er wusste, dass es nun um alles oder nichts ging. Es bedurfte des genauesten Timings, das äußerst kleine Zeitfenster bot keinen Raum für Überraschungen. Er hatte noch einige Stunden Zeit und machte es sich im Führerhaus des Lasters so bequem wie möglich, um wenigstens einige Minuten zu schlafen, doch das Adrenalin in seinen Adern ließ ihn immer wieder aufschrecken und er fand sich damit ab, bis um kurz nach acht einfach wach zu bleiben. Er hatte die Weckfunktion seines Handys auf kurz nach sieben programmiert. Sollte er doch einschlafen, würde er noch genug Zeit haben, die letzten Vorbereitungen zu treffen.
Sechs
Karl Grothner hatte sein Müsli gegessen und den starken, ungesüßten Kaffee zu sich genommen. Die Haushälterin war bereits im Bügelzimmer und sein Chauffeur hatte die Tasche aus dem Büro geholt und im Hausflur deponiert. Wie jeden Morgen. Grothner bekam jedes Detail der Abfolge aller Handlungen mit, ohne darüber nachzudenken. Nur wenn etwas abwich, und sei es nur eine wirklich banale Kleinigkeit, löste das sofort etwas in ihm aus. Meistens Zorn, denn er hasste Dinge, die geschahen, ohne dass er es wünschte. Heute war alles richtig und er stand vom Esstisch auf, legte die Serviette neben die Müslischale und öffnete die Tür zu der großzügigen Diele, die, wie jedes Zimmer in dem Anwesen, weiß gestrichen, nach rein praktischen Erwägungen möbliert und vollkommen schmucklos war. Sein Fahrer stand vor dem kleinen, ebenfalls weißen Beistelltisch, auf dem seine Aktentasche ihren festen Platz hatte und nahm diese an sich, als er Grothner bemerkte. Ohne ein Wort zu sagen ging Grothner zur Haustür und sein Fahrer folgte ihm. Unmittelbar vor dem Eingang des Hauses stand der schwarze Mercedes. Grothner ließ sich die Tür zum Fond öffnen und stieg ein. Der Fahrer öffnete den Kofferraum und legte die Aktentasche seines Chefs hinein. Fast lautlos ließ er den Kofferraumdeckel zuklappen und setzte sich hinter das Lenkrad. Ein leises, kaum hörbares Geräusch verriet, dass sich alle Türen der Limousine verriegelt hatten, nachdem er den Motor gestartet hatte. Der Mercedes rollte auf das Tor zu, das elektrisch geöffnet wurde. Die zwei Wachleute der Frühschicht standen abseits und waren nur als Schatten zu erkennen. Der Fahrer setzte den Blinker und bog rechts auf die Straße ab und beschleunigte. Vorher hatte er sich versichert, dass der Land Rover mit den Sicherheitsleuten mit eingeschalteten Scheinwerfern und laufendem Motor an seinem Platz stand. Der Land Rover fuhr nun ebenfalls an und sollte dem Mercedes im Abstand von fünfzig Metern folgen. Grothners Fahrer sah im Rückspiegel, dass der Rover anfuhr, jedoch plötzlich, wie von Geisterhand, sehr abrupt stoppte. Das Heck des schweren Geländewagens hob sich seitlich von der Fahrbahn und das linke Vorderrad wurde abgerissen und trudelte in die Büsche am Straßenrand. Die Energie, die sich in der Sekunde entfaltete, reichte aus, den Rover umkippen zu lassen. Er stürzte auf die Beifahrerseite und blieb dort mit sich drehenden Rädern liegen. Das alles geschah innerhalb einer Sekunde und Grothners Fahrer begriff sofort, dass es sich um einen Anschlag handeln musste. Er trat das Gaspedal durch, um Grothner und sich aus der Gefahrenzone zu bringen, so wie es seine Ausbildung vorgab. Zeitgleich drückte er einen roten Knopf auf dem Armaturenbrett und sandte so ein Funksignal an die nächste Polizeidienststelle. Von dort würden sofort sämtliche verfügbaren Kräfte entsandt, um die Limousine, deren genauer Standort per GPS übermittelt wurde, zu beschützen und an einen sicheren Ort zu eskortieren. Grothners Fahrer sagte nur das Wort: »Überfall«, während er sein Fahrzeug weiter beschleunigte. Von Karl Grothner kam keine Antwort, er blickte, wie jeden Morgen, aus dem Fenster. Der Mercedes raste nun mit über einhundertdreißig Stundenkilometern auf der Landstraße Richtung Stadt, als in Höhe des kleinen Waldstücks, kurz vor dem Stadtrand, ein Lastwagen unvermittelt aus einem Seitenweg bog und ihm die Vorfahrt nahm. »Scheisseeeeeeeeeeeeee!!« Die Vollbremsung und das gleichzeitige Lenkmanöver konnten den Unfall nicht verhindern, zu schnell war der Mercedes und zu unvermittelt war der Lastwagen auf der Bildfläche erschienen. Der Fahrer versuchte noch, den Wagen links an dem Lastwagen vorbeizulenken, doch zu spät. Der Mercedes prallte mit hoher Geschwindigkeit in das Heck des Lastwagens und schob sich teilweise unter ihn. Sofort lösten die Airbags aus, die Windschutzscheibe aus Panzerglas kollidierte mit der hohen Ladekante des Lastwagens und wurde, trotz der Panzerung, nach innen gedrückt und war mit ursächlich für den sofortigen Tod des Fahrers. Im Moment des Aufpralls waren die Notsysteme der Limousine aktiviert worden. Zeitgleich mit dem Auslösen der Airbags zündeten die Sprengschnüre, die als Noteinrichtung die Seitenscheiben aus den Rahmen warfen. Karl Grothner hatte keinen Sicherheitsgurt angelegt, doch die Airbags retteten ihm das Leben. Eine Sekunde nach dem verheerenden Zusammenstoß verlor er das Bewusstsein. Sein Kopf war trotz Airbag mit starker Wucht gegen die Lehne des Beifahrersitzes geprallt. Zwei Minuten nach dem Unfall wurde Grothners Körper durch das Seitenfenster gezogen und fortgetragen. Er bekam nichts davon mit, als er unsanft in ein anderes Auto geworfen wurde, und es entzog sich seiner Wahrnehmung, dass er an Händen und Füßen mit Kabelbindern gefesselt wurde, bevor dieses Auto anfuhr, stark beschleunigte und ihn fortbrachte.
Drei Minuten später traf die Polizei mit sieben Streifenwagen an der Unfallstelle ein. Dem blauen Renault, der ihnen entgegengekommen war, hatten sie keine Beachtung geschenkt. Das kam erst später.
Marius war zuletzt doch eingeschlafen. Die Nacht war