Der Flügelschlag des Zitronenfalters. Martin Scheil

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Der Flügelschlag des Zitronenfalters - Martin Scheil


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im Büro in der Klinik. Anders natürlich. Eher rustikal. Klassisches Ambiente. Landhausstil. Am ehesten. Der Fußboden des Vestibüls war mit schwarzem Granit gefliest, der Rest der Pfeffer durch Blick zugänglichen Wohnräume mit nicht zu dunklem Kassettenparkett ausgelegt. An den Wänden massive Eichenschränke und –anrichten, zumeist Biedermeier. Bisschen zu barock vielleicht. Was war eigentlich Barock? Egal, weiter geschaut. Vereinzelt ein paar Gemälde. Welche? Klimt, Sperrl, Rembrandt. Konnte Pfeffer zwar nicht wissen, Bartholdy – oh Verzeihung – Briefke aber schon. „Alles Drucke.“ Sagte dieser. Klar, Fälschungen waren eher Briefkes Ding. Nicht die Originale. Dann das Wohnzimmer, genannt Salon! Und auch hier: dominantes Bücherregal, vollgestopft mit Ledereinbänden und Leinenbeschlag. Dieses Mal jedoch machte sich Pfeffer nicht die Mühe, es nach ihm bekannten Werken abzusuchen sondern nahm gleich auf einem der Clubsessel Platz, zu denen sich beide, von Briefke geführt, mittlerweile begeben hatte. Immerhin: hier nun echte Clubsessel. Ohne mobiliare Hierarchie! Das war auch schon mal was. Auf einem Beistelltisch stand dort auch schon der angekündigte Dekanter mit Rotwein nebst zwei Gläsern, die Briefke nunmehr gekonnt füllte. Seine Versuche, das Gespräch zu eröffnen wirkten etwas umständlich.

      „Setz Dich ruhig Richard. Na, da hast Du mir ja heute einen schönen Schrecken eingejagt.“ Briefke spielte in der rechten Hand mit einer Pfeife. „Obwohl ich ja eigentlich auch selbst schuld bin. Normalerweise mache ich solche Routinegeschichten gar nicht mehr. Ich habe mich eher auf so psychiatrische Angelegenheiten spezialisiert, weißt Du. Mittlerweile. Gutachten schreiben. All sowas. Ich hatte gerade einen Fall abgeschlossen, ganz tragisch im Grunde. Ein junger Mann, der in die Geschlossene gesteckt werden sollte. Das ging ganz schön an die Substanz. Und ich habe mir gedacht, ich mache mal ein bisschen Klinikalltag hinterher. Und dann kommst Du, und über mir schlägt quasi die Flut in Wellen zusammen. Aber ich kann Dir sagen, so ist das eben, wenn man sich dafür entscheidet, Arzt zu werden, da weiß man nie, was morgen ist.“

      „Du bist kein Arzt, Gert“, sagte Pfeffer mit einer Ruhe und Bestimmtheit, die ihn selbst überraschte.

      „Hmm“, raunte Briefke. „Stimmt und stimmt nicht“, erwiderte Briefke. „So ist das Leben, nicht wahr? Kein Gelaber ohne Aber. Warum genau warst Du eigentlich bei mir?“

      „Ich brauchte eine Untersuchung für eine Lebensversicherung“, log Pfeffer.

      „Ja, nein, ich meine, warum warst Du bei mir? Du wohnst doch in Bremen. Warum kommst Du da extra nach Flensburg, um zum Arzt zu gehen? Du hättest doch alles in Bremen erledigen können.“

      Volltreffer. Aber Pfeffer war an diesem Abend ein gedankliches Maschinengewehr und blieb eisern bei der Geschichte, die er sich nach dem Treffen mit Oberleutnant Müller ausgedacht hatte. Zumindest teilweise. Also grob und eher so im Großen und Ganzen, aber das spielte ja zum Glück auch überhaupt keine Rolle. Denn nicht er war es, der hier auf der Anklagebank saß. Allerdings hatte Bartholdy, verdammt, Briefke eine zugegeben charmante Art an sich, und Pfeffer fiel es schwer, sachlich und vor allem besorgt zu bleiben. Trotzdem: noch war Zusammenreißen angesagt und von seinen Verbindungen zu Müller durfte Gert Briefke auf keinen Fall etwas erfahren.

      „Ich war eine Woche in Dänemark und habe ein Auto gekauft. Da lag Flensburg im Grunde auf dem Weg. Nach so einer Woche an der See, also, ich sage Dir, entspannter und frischer kann man gar nicht in so eine Untersuchung gehen. Ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste.“

      „Aber, aber“, fing Briefke an zu schmeicheln „Du bist doch topp in Schuss! Ach und übrigens, bevor ich es vergesse, ich habe ja noch etwas für Dich.“ Gert Briefke stand auf, verließ nur Sekunden den Raum und kam mit einem großen Kuvert zurück, welches er Pfeffer überreichte.

      „Hier, das hast Du heute in der ganzen Aufregung wohl vergessen.“

      „Was soll das sein?“, fragte Pfeffer, während er irritiert den Umschlag öffnete und die zusammengehefteten Seiten herauszog.

      „Das ist der ärztliche Untersuchungsbericht, den Du brauchst. Und wie gesagt: Du bist absolut topp in Schuss. Das wusste ich doch gleich, als ich Dich gesehen habe, alter Jogging-Kamerad. Auch Deine Blutwerte: alle hervorragend.“

      „Aber Du hast mich doch gar nicht untersucht.“ Das gedankliche Maschinengewehr hatte offenbar Ladehemmungen bekommen, und Gert Briefke quittierte dies mit einem süffisanten Blick.

      „Ahh, verstehe“, sagte Pfeffer, schob die Seiten wieder in den Umschlag und verstand tatsächlich. „Das ändert aber nichts daran, dass Du kein Arzt bist, Gert. Ich bin Journalist. Ich bin der Wahrheit verpflichtet. Mich kann man nicht mit einem gefälschten Gutachten bestechen!“ Sein Ton hatte jetzt wieder die ruhige Bestimmtheit. Innerlich spürte er das Eis allerdings schon brechen. Gerade in diesem Moment knackte es schon sehr angenehm, wie in einem frisch gefüllten Whiskey-Glas.

      „Journalist?“, fragte Briefke. „Ich denke, Du warst damals bei der Polizei?“

      „Ja. Also nein. Also ...“, verdammt, das hatte er ja schon ganz vergessen. „Also damals war ich bei der Polizei, als wir uns kennen gelernt haben. Ja, das stimmt. Eigentlich wollte ich auch Polizist werden. Mein Vater war ja Kripo-Chef bei uns in Lüdinghausen, ist ja auch egal, das hat irgendwie alles nicht geklappt. Ich bin da ja jetzt auch schon lange nicht mehr. Ich bin jetzt Journalist. Eigentlich. Also im Grunde bin ich eher selbständig momentan.“

      „Du bist arbeitslos“, attestierte Briefke amüsiert.

      „Ich bin nicht arbeitslos. Ich bin nur ein wenig aus der Schusslinie gegangen, weil ich in Bremen einiges umgegraben habe, und dabei sind Sachen ans Licht gekommen, die einigen Leuten nicht gefallen haben. Da bin ich zum Wohle des Verlags und zum Wohle der Partei ...“

      „Du bist rausgeflogen, weil Du erst Deine Zeugnisse und dann Deine Artikel gefälscht hast.“

      Rums Bums. Einschlag. Das Maschinengewehr hatte einen Volltreffer kassiert. Pfeffer war so bass erstaunt und peinlich berührt, dass er nicht wusste, was er sagen sollte. Das übernahm nun allerdings Briefke, der dies sichtlich genoss.

      „Ich bin auch aus Bremen, schon vergessen? Ich habe noch immer sehr gute Kontakte dort, außerdem hat man als Amtsarzt so seine Möglichkeiten. Ärzte unter sich nehmen das mit der Schweigepflicht nicht ganz so genau. Und dann, na, Du weißt ja wie das läuft. Der kennt den, und der spielt mit einem Parteichef Golf, und so weiter.“

      Es machte keinen Sinn mehr, jetzt noch weiter an der Fassade zu mauern, also beschloss Pfeffer, mit offenen Karten zu spielen. Was konnte ihm schon passieren? Man hatte ihn vielleicht rausgeschmissen, obwohl auch das nicht so richtig stimmte, da er ja freiwillig gegangen war. Zumindest offiziell. Vielleicht hatte er es auch mit der Wahrheit nicht immer so genau genommen. Aber sein Gegenüber war schließlich ein Briefträger, der sich als Arzt ausgab, und somit hatte Pfeffer ihn in der Hand. Er war sich sicher, dass Briefke keine Gefahr für ihn darstellte. Und wenn doch, dann musste man halt mal mit einem Oberleutnant Müller sprechen. Der wüsste schon, wie man mit so jemanden fertig werden würde. Also Offensive. Wirkung vor Deckung. Pfeffer schickte die Sturmtruppen los.

      „Ja, Du hast Recht, tut mir leid. Eigentlich lief es gut, es war alles in Ordnung, Ich war Chefredakteur. Ich habe die Auflage verzehnfacht, die Werbeanzeigen etatmäßig verfünffacht, da war es immer egal, ob alles haarklein stimmte, was auf der Titelseite stand. Und das mit den Zeugnissen ist auch erst aufgefallen, als ich diese Schlampe von den Sozis fertiggemacht habe.“

      „Fertig gemacht?“

      „Prozess läuft noch. Man wird sehen.“

      Beide nahmen einen Schluck Wein.

      Dann fragte Briefke: „Welche Methode hast Du benutzt?“

      „Methode?“

      „Na welche Methode? Als Du die Zeugnisse gefälscht hast. Welche Methode hast Du da benutzt? Hast Du Dir einen Kartoffelstempel geschnitzt oder hast Du die gute alte Gekochte-Eier-Roll-Technik angewendet?“

      Pfeffer war über die Offenheit Briefkes geradezu verdutzt, antwortete aber wahrheitsgemäß.

      „Die Eier-Rolle. War alles wie im Original. Ich habe mir ein Zeugnis


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