Der Flügelschlag des Zitronenfalters. Martin Scheil
Читать онлайн книгу.Joseph Rebschlägers von ihm trennen müsse. Es tue ihm leid, aber sicher verstehe Pfeffer, dass gerade in einer emotional so intensiv aufgeladenen Branche ein solches Vorgehen nicht entschuldbar war. Wieder stellte der Inhaber keine unangenehmen Fragen und teilte Pfeffer alles in sachlichem und teilnahmslosem Duktus mit. Dann legte er auf. Pfeffer war nun auf einmal doch ziemlich konsterniert. Der Job war ihm völlig egal, aber was würde Müller machen, wenn er davon erfahren würde. Und er würde davon erfahren, da war sich Pfeffer ganz sicher. Wenn ein Geheimdienst eine Sache konnte, dann Dinge erfahren. Da machte denen keiner was vor. Und dann? Was wäre dann? Müsste er das Geld zurückzahlen? Würde Müller streng zu ihm sein? Eigentlich konnte er doch gar nichts dafür. Er war hier das Opfer! Diese Frau, Michaela, hatte ihn doch quasi abgeschleppt. Und dann hatte er auch noch eins auf die Nase bekommen. Obwohl das Nasenbein dann doch nicht gebrochen war, dafür aber in schönstem grün und violett schimmerte. Zugegeben, er hatte sich hinreißen lassen, aber wie es aussah, war er da doch in so etwas wie eine Familienfehde reingezogen worden. Außerdem hatte der Fette ihm – wie gesagt – einen ganz schönen Schwinger verpasst. Ob man dafür eigentlich Schmerzensgeld einklagen könnte? Und überhaupt: er hatte seiner Frau deswegen eine ganz schöne Räuberpistole auftischen müssen, damit sie nicht misstrauisch wurde. Was konnte er denn schon dafür? Er hatte seinen Job wahrscheinlich einfach mal wieder viel zu gut gemacht. Genau wie damals in Bremen.
Da er ja nun frei für heute hatte, ließ er das im Hausflur stehende Telefon zurück, um erst einmal ganz in Ruhe zu frühstücken. Danach würde er dann überlegen, was zu tun war. Wahrscheinlich sollte er Müller alles ganz sachlich erzählen. Von Mann zu Mann. Der würde schon Verständnis haben. Er ging vor die Haustür zum Postkasten, um die Morgenzeitung zu holen, das Weser-Land-Blatt natürlich, welches so drastisch an Qualität verloren hatte, seit er nicht mehr das Ruder in der Hand hielt. Neben der Zeitung allerdings lag ein einzelner Zettel, auf welchem nur stand:
„Sattelschlepper, 19:00 Uhr. HEUTE! H.M.“
„Das ist nicht gut.“ Sagte Pfeffer leise. Nun wurde ihm doch ein wenig flau.
V.
Im Sattelschlepper kam er pünktlich wie der sprichwörtliche Maurer an und bestellte diesmal einen Kaffee, obwohl er sich dereinst geschworen hatte, niemals nach 15:00 Uhr noch Kaffee zu trinken. Es machte ihn unruhig, und manchmal konnte er dann die ganze Nacht nicht schlafen. Außerdem schwitzte er auch so schon genug. Da er aber ohnehin schon unruhig und völlig durchgeschwitzt war und weil er außerdem nüchtern sein wollte, wenn er sich mit Oberleutnant Müller traf, verstieß er nun ausnahmsweise gegen seine Gewohnheiten. Er trank seinen Kaffee und bemerkte, dass er zitterte. Folge der Aufregung, dachte er sich. Oder des Alkoholismus. Oder beides. Oder etwas ganz anderes, von dem er lieber nichts wissen wollte. Er hatte andere Sorgen, da musste alles weitere hinten anstehen. Was würde er Müller sagen? Oder würde der ihn gar nicht reden lassen? Würde er wütend sein? Bestimmt würde er wütend sein! Es war noch gar nichts passiert und Pfeffer hatte schon die allererste Geschichte voll in den Sand gesetzt, weil er einfach nicht die Hose zulassen konnte. Oh Mann. Müller allerdings ließ erst einmal auf sich warten, was wiederum die Anspannung in Pfeffer noch vergrößerte. Tick-Tack-Tick-Tack machten die Zeiger seiner Armbanduhr und es kam ihm vor als würde sie bereits anfangen, rückwärts zu gehen, da kam der verspätete Agent endlich durch die Tür. Zwanzig Minuten nach der Zeit, das hätte er sich mal erlauben sollen. Pah. Und sowas ist ein Staatsdiener. Wahrscheinlich A13 oder sogar höher, dieser ... Pfeffer ärgerte sich, da fiel ihm ein, dass er gerade eben noch eher ängstlich gewesen war. Wieso noch gleich? Ach ja, wegen dieser anderen Sache. Also die Flak wieder heruntergekurbelt und Hundeblick aufgesetzt. Mit diesem sah er nun Oberleutnant Hans Müller zu, wie er sich langsam dem Tisch näherte und – Überraschung, Überraschung – so gar nicht aufgebracht oder missgünstig wirkte. Er lächelte sogar. Freundlich? Ja, ja, freundlich. Ganz der Konfident trug er exakt dieselbe Kleidung wie bei ihrem vorherigen Treffen, als er zu Pfeffer an den Tisch trat (das war ebenfalls derselbe wie beim letzten Mal), Mantel und Hut ablegte und sich zu ihm setzte. Keine Begrüßung, kein Händeschütteln. Gleich in die Vollen.
„Na Pfeffer, da haben Sie aber ordentlich die Sau rausgelassen. Mann, Mann, Mann, und das auf einer Beerdigung, alle Achtung!“ Er winkte die Kellnerin heran und bestellte ein Glas Wasser ohne Sprudel.
„Ich..“ Pfeffer wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Irgendwie war sein Gesprächskonzept durch Müllers Heiterkeit völlig implodiert. „Ich ... Es tut mir leid, ich glaube, das habe ich wirklich verbockt, so wie es aussieht.“
„Machen Sie sich nicht in die Hose, Pfeffer. Wir sind deswegen nicht böse auf Sie. Wir sind ja schließlich auch alle nur Männer. Ich habe mir die Kleine übrigens angesehen, gar nicht so schlecht!“ Er zwinkerte anerkennend.
„Angesehen? Waren Sie da?“ Pfeffer war irritiert.
„Natürlich nicht, was soll ich denn auf der Beerdigung von einem völlig Fremden? Nein, Michaela Rebschläger hat eine Akte beim Verfassungsschutz. Nichts Weltbewegendes, ein bisschen roter Brigantismus. Ist einmal bei einer Demo gegen den Doppelbeschluss verhaftet worden, weil Sie einen Polizisten als Fascho-Schwein beschimpft und angespuckt hat. Ich glaube, das ist aber eher so ein familiäres Ding. Opa Rebschläger war nämlich in der Partei.“ Müller bekam jetzt sein Wasser.
„CDU?“, fragte Pfeffer ungläubig.
„NSDAP, Sie Idiot! Vierstellige Mitgliedsnummer, das will schon was heißen. Hat aber nach dem Krieg irgendwie einen Persilschein bekommen und dann, na ja, das Übliche halt.“
Pfeffer war erleichtert und überlegte, ob er jetzt nicht doch ein Bier bestellen sollte. Müller hingegen sprach weiter.
„Entschuldigen Sie übrigens, dass ich mich ein wenig verspätet habe, heute ist der Teufel los. Ich habe auch nicht allzu lange Zeit, deswegen lassen Sie uns gleich zum Punkt kommen.“ Er schlürfte einen Schluck aus dem Wasserglas und man sah im den Ärger deutlich an, als er feststellte, dass die Bedienung ihm nun doch karbonisiertes Wasser gebracht hatte.
„Also Pfeffer, das mit dem Beerdigungsinstitut ist natürlich eher unschön, aber was soll’s. Wir hätten Sie da jetzt wahrscheinlich ohnehin abgezogen. Es hat sich nämlich spontan etwas anderes ergeben.“
„Etwas anderes?“
„Etwas anderes. Genau. Ich kann Ihnen noch keine weiteren Details geben, wir sind sozusagen noch in der Planung, aber Sie sollten schon mal wissen, dass Sie sich bereit zu halten haben. Von daher war es gut, dass Sie noch mal die Sau raus gelassen haben, mein Lieber. Ab jetzt sollten Sie nämlich auf Ausfälle vorübergehend verzichten.“
„Sie sind hergekommen, um mir das zu sagen?“, beinahe war Pfeffer empört. Müller entging dies nicht und er reagierte mit väterlichem Ernst.
„Nein, ich bin hergekommen, um Ihnen dienstliche Anweisungen zu geben.“ Er machte eine kurze Pause. „Sie werden uns einen Gefallen tun. Nicht Großes, aber da Sie zum ersten Mal richtig aktiv werden, sollten Sie ein paar Dinge beachten. Erstens: Sie machen eine Woche Urlaub und erholen sich vernünftig. Allein! Kein Alkohol, keine Weibergeschichten, haben Sie das verstanden? Am besten, Sie fahren irgendwo an die Nordsee und lassen mal die Seele baumeln. Amrum soll doch schön sein. Außerdem sollten Sie zum Arzt gehen und sich einmal komplett durchchecken lassen. Blutbild, EKG, das volle Programm. Wir können niemanden gebrauchen, der mit heißem Gepäck an der Grenze einen Herzkasper bekommt. Drittens ...“
Einen Moment mal. Hatte er gerade? Ja, er hatte gerade!
„Wie, was? An der Grenze? An welcher Grenze? Was soll das heißen?“ Pfeffer war sichtlich erschrocken.
„Grenze?“, fragte Müller streng, „kein Mensch hat hier was von Grenze gesagt, Pfeffer. Also, drittens: Sie kaufen sich einen vernünftigen Anzug und ein anderes Auto. Und dann sehen wir uns in anderthalb Wochen wieder. Aber nicht hier, wir waren jetzt schon zu oft hier.“
Und Schwups war das Wort Grenze von seinem Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis gewandert und dort geendlagert. Auto? Neu? Was für eine Unverschämtheit!
„Wieso denn ein anderes Auto? Was ist denn mit meinem nicht