Der Flügelschlag des Zitronenfalters. Martin Scheil

Читать онлайн книгу.

Der Flügelschlag des Zitronenfalters - Martin Scheil


Скачать книгу
sich hier gerade kurz zuvor abgespielt hatte! Er hatte also Recht. Natürlich hatte er das. Und dann überkam es ihn, nach und nach, aber doch unaufhaltsam, indem er dachte „Was meint der eigentlich, wer er ist! Was erlaubt der sich mit mir? Den müsste man mal ... „. Und fast hätte er dies auch laut ausgesprochen, wenn nicht in diesem Moment wieder Werner Bangemann das Wort ergriffen hatte. Diesmal klang seine Stimme eiskalt und doppelkornklar.

      „Damit wir uns richtig verstehen, Pfeffer: wenn ich sage, dass Ihre Geschichte damit wahr wäre, dann betone ich nicht ohne Grund das Wort Geschichte!“

      Er hielt jetzt wieder die Zeitung in der Hand und schwenkte damit umher. Gemeinheit. Aber Richard genannt Rick Pfeffer hatte wieder Oberwasser, das ließ sich jetzt nicht mehr rückgängig machen. Vorerst allerdings war noch eine gewisse Vorsicht geboten. Deswegen lediglich: „Aber der Ostblock-Arzt, dieser Typ da im Anzug!“, entfuhr es ihm.

      „Scheiße Pfeffer, das ist sein Alter!“ Und schon war es wieder laut.

      „Das ist der Vater von Mattis Reimann. Der hat ‘77 rübergemacht und ist ‘ne ganz arme Sau. Jeder Volltrottel im Dorf weiß das, jeder! Aber sie schreiben hier was von DDR-Arzt und geheimen Olympia-Medikamenten. Sie haben sich diese ganze Sache, diese ganze Scheiße einfach ausgedacht! Oder wollen Sie hier allen Ernstes das Gegenteil behaupten?“ Bangemann atmete tief ein und gleich wieder aus. Dann begann er wieder ruhiger.

      „Sie sind dumm wie ein Sack Schrauben, Pfeffer, und um es ganz deutlich zu sagen, neulich, ...also ich habe Sie wegen Ihrer guten Noten und Empfehlungen eingestellt. Ja, das stimmt. Alles sauber soweit. Top. Aber ich hatte auch Mitleid mit Ihnen. Als Sie da vor meinem Tisch standen und fast gewinselt haben, wie sehr Sie den Job brauchen würden mit Ihrer kranken Mutter und so, da taten Sie mir leid, und ich dachte, mit den Zeugnissen und so weiter, na ja, ist ja auch egal. Aber seit heute halte ich Sie offiziell nur noch für einen Idioten! Für einen Rosstäuscher. Sie hatten entweder unfassbares Glück mit dem Döntjes, den Sie sich da zusammengereimt haben oder aber sie verfügen über einen ganz speziellen Riecher, keine Ahnung. Falls ja, hat das wahrscheinlich der liebe Gott in seiner ganzen perversen Abartigkeit arrangiert, um mir – mir ganz persönlich – das Leben zu verkürzen. Egal, wie auch immer. Auf jeden Fall haben Sie den Kopf noch einmal aus der Schlinge gezogen, Pfeffer.“ Kurze Pause. Dann: „Ihr Glück.“

      Das mit seiner Mutter damals war natürlich gelogen. Auch egal.

      Jetzt atmete Bangemann auf einmal wieder schwerer, und als Pfeffer die Adern an der Schläfe des Redaktionsleiters pochen sah, ahnte er, dass es nun abermals laut werden würde.

      „Aber was zur Hölle sollte der Scheiß mit den Kommunisten? Mann, wir sind hier in Bremen. Hier gibt’s keine Kommunisten! Die Roten steigen mir sowieso bei jeder Kleinigkeit aufs Dach, und dann kommen Sie mit so einer Räuberpistole um die Ecke. Das ist hier nicht der Völkische Beobachter!“

      Aber Rick Pfeffer war beruhigt. Spätestens jetzt wusste er, dass er über den sprichwörtlichen Berg war, und er empfand eine tiefe Genugtuung dabei. Sogar so was wie einen ersten Anflug von Freude über die Situation.

      „Und dieses debile Grinsen, Pfeffer, das können Sie sich schenken. Was ich Ihnen sagen will ist Folgendes: wenn Sie das hier wirklich recherchiert haben“, hierbei machte er mit den Fingern Anführungszeichen in der Luft, „dann gut. Wenn nicht, auch egal. Wenn die Blutwerte von dem Bullen Ihre Story stützen, sind Sie drin, wenn nicht, sind Sie raus. Im Moment sieht es so aus, als ob Sie drin sind.“

      Und Pfeffer musste tatsächlich grinsen. Seine erste große Story, Wahnsinn! Sollten sie alle sagen, was sie wollten, er hatte den Skandal aufgedeckt, den sonst keiner gesehen hatte. Er war das. Er allein. Er hatte das gemacht. Niemand würde ihm das je wieder wegnehmen können. Der Redaktionsleiter wies ihn zum Abschluss noch einmal etwas mürrisch an, nun gehen zu können und beinahe selig steuerte Pfeffer in Richtung Bürotür.

      „Pfeffer!“, rief es dann doch noch einmal hinter ihm her.

      „Noch was. Sollte ich mich ausnahmsweise mal irren, und sollte das hier kein Glück gewesen sein“, er macht eine kurze Pause, „dann bringen Sie mir mehr davon. Aber vernünftig recherchiert.“ Hoppla! Das klang jetzt immerhin neutral. Und weiter: „Mit Beweisen und Zeugenaussagen und so weiter.“ Rick Pfeffer konnte sich nun doch freuen. Ganz aufrichtig und ehrlich. Er nickte und wollte schon gehen, um endlich ein paar Tiefe Züge Cherrie aus seinem silbernen Flachmann zu nehmen, da rief Bangemann ihn ein zweites Mal zurück.

      „Pfeffer?“

      „Ja?“, fragte dieser sich wendend in den Raum hinein.

      „Sie verstehen, was ich meine, oder? Lassen Sie diesen Scheiß mit dem Klassenfeind. Mit diesem ganzen Kommunisten-Quatsch, und mit dem Ostblock und diesem ganzen Mist. Verstanden? Wir sind hier in Deutschland! Diesmal haben Sie Glück gehabt, aber wer weiß. Ich hoffe Sie haben aus diesem ganzen verkorksten Zinnober etwas gelernt“.

      Ja, das hatte er.

      Er hatte gelernt, dass wenn er sich nur selbst vertraute und der Wahrheit im entscheidenden Moment den richtigen Schubs, einen nur ganz kleinen Antritt gab, dass dann so gut wie alles möglich war.

       IV.

      Und so hätte es alles sein können.

      Aber so war es leider nicht.

      Denn Richard genannt Rick Pfeffer war nicht irgendein Schreiberling des Lokalteils beim Weser-Land-Blatt, er war der leitende Chefredakteur. Und er wurde dort auch nicht angeschrieen (obschon er es wohl oft verdient hätte). Nein, dort schickte sich niemand an, in einem ungebührenden Ton mit ihm zu reden. Der einzige Mensch, der sich traute, ihm gegenüber laut zu werden, war seine Frau. Und die auch nur dann, wenn er mal wieder erheblich einen über den Durst getrunken oder zu viel Geld verspielt hatte. Oder beides. Oder überhaupt zu Hause war.

      Aber seinen Skandal, den hatte er tatsächlich gefunden. Und er hatte ihn veröffentlicht. Und auch geknallt hatte es tatsächlich in Echt und in der Wirklichkeit. Oh ja, und wie es geknallt hatte.

      Mehr durch Zufall war Pfeffer auf ein 1944 verfasstes Kampfblatt gestoßen, und was er dort las, war erst einmal nichts, was ihn hätte erschüttern können. Blut und Boden, rassische Reinheit, die Judengefahr, die Bolschewikengefahr, die Kapitalistengefahr, und immer wieder der Endsieg, der wohl nun bald kommen solle. Ganz bestimmt sogar. Doch als er den Namen des Verfassers eines dieser Artikel las, da wurde ihm auf einmal ganz schwindelig. Sollte das etwa derselbe sein wie ...

      Ja, ja, der war es, und zwar genau der.

      Ohne sich mit langer Recherche aufzuhalten veröffentlichte Pfeffer besagten Artikel direkt am nächsten Tag im Weser-Land-Blatt auf der Titelseite und nannte an prominenter Stelle den Namen des Verfassers. Ohne Kürzel, keine Anführungszeichen, einfach der Klarname und dann Bummsdiewurst.

      Hans Stefan Seifriz, im Jahre 1944 schmale 16 Lenze zählend, war mittlerweile Bausenator der Hansestadt Bremen und hatte sich als SPD-Mitglied eher nicht den Ruf eines Alt-Nazis erworben. Er war ein geachteter und erfolgreicher Politiker. Nun, zumindest bis zu diesem Tag.

      Denn der hanseatische Senator und Verfasser des Artikels – und jaja: dieser Artikel war wohl schon ziemlich antisemitisch – waren tatsächlich ein und dieselbe Person. Schnell war seitens der Sozialdemokraten eine Klageschrift sowohl gegen Pfeffer als auch gegen das Weser-Land-Blatt verfasst, doch ebenso schnell bekannte sich Seifriz ehrlich und ausführlich zu seinen Jugendsünden. Recht so!

      Seifriz war im Januar 1933, drei Tage vor Hitlers Machtübernahme gerade sechs Jahre alt geworden, und so wie viele Kinder der sogenannten Flakhelfergeneration waren wohl auch ihm all die Phrasen zu Kopf gestiegen, die er sein ganzes kurzes Leben lang von Hitler, Goebbels, Göring und all den anderen mit ordentlich Blech an der Titte gehört hatte, als er kurz vor Kriegsende eben jenen Artikel schrieb, der ihm nun, über 30 Jahre und viele Verdienste um die noch junge Republik später zum Verhängnis werden sollte. Aber für Antisemitismus gibt und gab es nun mal kein Pardon, egal wann und egal von wem geäußert. Seifriz seinerseits hatte das schnell verstanden und war aus eigenen Stücken zurückgetreten.


Скачать книгу