Der Flügelschlag des Zitronenfalters. Martin Scheil

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Der Flügelschlag des Zitronenfalters - Martin Scheil


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Es war ernst.

      „Herr Pfeffer, lassen Sie uns doch bitte am Konferenztisch Platz nehmen, ja? Wir möchte Ihnen etwas zeigen“, sagte Neustädter in aufrichtiger Ruhe und wandte sich zu eben jenem Konferenztisch. Auch Plaumann nahm jetzt dort Platz, so dass Pfeffer seine Position hinter fester Burg aufgeben und sich ebenfalls zu ihnen setzten musste. Bernd Neustädter begann das Gespräch.

      „Mein lieber Pfeffer, Sie können sich sicher denken, dass wir Sie nicht ohne Anliegen aufgesucht haben. Und, ja, sie erwähnten es bereits, natürlich hat auch Ihr letzter Schriftsatz seinen Teil dazu beigetragen, uns einmal in aller Form Gedanken zu machen, ob wir nicht das persönliche Gespräch mit Ihnen suchen sollten. Es gibt nämliche einige Unstimmigkeiten – gewissermaßen kompromittierender Natur – die unser beider Erscheinen zu einer, sagen wir, Notwendigkeit haben werden lassen.“

      „Ach Bernd jetzt komm’ mal auf den Punkt!“, grätschte Plaumann dazwischen und zog aus seiner Aktentasche, die schon die ganze Zeit neben dem Tisch stand, ein mehrseitiges Pamphlet heraus. Er warf es über den Tisch direkt vor Pfeffers Nase.

      „Tun Sie mir einen Gefallen, Pfeffer!“, sagte er fordernd. „Lesen Sie vor, was da steht!“

      Pfeffer nahm die zusammengehefteten Seiten auf und blickte sie an. Er sah die Buchstaben, aber er kannte sie nicht. War das russisch? Ihm wurde heiß und kalt. Nein, die kyrillische Schrift war so einmalig, die hätte er erkannt. Aber was dann? Arabisch? Griechisch? Doch ihm blieb keine Zeit, zu überlegen, denn schon wieder hielt ihn Plaumann an. Diesmal bereits etwas lauter.

      „Na Los, Pfeffer. Lesen Sie schon!“

      „Ich ...“, begann Pfeffer zu stammeln, „ich weiß nicht ... ich kenne diese Schrift nicht.“ Er legte die Seiten wieder auf den Tisch. Und dann, fast war es eine Erlösung, ein Donnerschlag, der das Gewitter einläutet, denn plötzlich fuhr Plaumann aus der Haut.

      „Sie kennen diese Schrift nicht? Nein? Na, das ist aber merkwürdig Pfeffer! Das ist die Tora, der Anfang des ersten Buch Mose. DAS IST HEBRÄISCH! Und das kennen Sie nicht? Dabei steht doch hier in Ihrem Zeugnis“, er holte ein weiteres Papier aus seiner Aktentasche, „dass Sie das Hebraicum gemacht haben. Mit einer Eins!“ Er schrie jetzt fast. „Und da erkennen Sie kein hebräisch, wenn Sie es sehen?“

      In diesem Moment sauste die Guillotine herunter und Pfeffer spürte, wie ihm der Kopf abgeschlagen und vom Rumpf getrennt wurde. Sie hatten ihn erwischt.

      „Soll ich Ihnen vielleicht auch etwas Altgriechisches vorlegen? Aber da hatten Sie ja nur eine Zwei! Da wissen Sie dann wahrscheinlich noch nicht mal, ob Sie das Papier richtig herum halten!“

      „Mein lieber Bernd“, sagte nunmehr Neustädter in seiner vornehmen Ruhe, „nun wollen wir doch sachlich bleiben. Herr Pfeffer, vorgestern, also zwei Tage nach Ihrem letzten Artikel, erreichte uns eine, ich will sagen recht beunruhigende Nachricht bezüglich Ihrer schulischen Ausbildung. Darf ich Sie fragen, ob Sie sich vorstellen können, was diese Nachricht zum Inhalt hatte?“

      Pfeffer sah keine Notwendigkeit mehr, seine kerzengerade Sitzhaltung beizubehalten und ließ sich mit dem Rücken in die Stuhllehne fallen. Alles war verloren. Aus, Ende, Berlin 45. Russe da, Führer tot. Jetzt war alles egal.

      „Ach das“, sagte er mehr zu sich selbst als zum doppelten Bernd.

      „Ja. Das.“ Sagte Neustädter, und legte seine gefalteten Hände auf den Tisch, bevor er fortfuhr.

      „Ihr Zeugnis weist gute bis sehr gute Noten in insgesamt fünf Fremdsprachen auf. Latinum Eins. Graecum Zwei. Hebraicum Eins. Englisch Zwei und Französisch Eins. Sagen Sie, und ich bitte Sie, ehrlich zu sein, beherrschen Sie auch nur eine von diesen Sprachen?“

      Stille.

      „Nein“, sagte Pfeffer dann und wie nach einem guten Stich beim Skat schlug nun Plaumann mit der Faust auf den Tisch.

      „Da haben wir es!“, sagte er in einer Mischung aus Triumph und Verzweiflung. Neustädter machte eine beruhigende Geste und wandte sich abermals an Pfeffer, der immer weiter in seinem Stuhl versank.

      „Und sagen Sie, Herr Pfeffer, dieses Abiturzeugnis ist ausgestellt vom Missionsgymnasium St. Antonius in Bad Bentheim. Darf ich fragen, ob Sie jemals dort waren?“

      „Nein“, sagte Pfeffer leise. „War ich nicht.“

      „Haben Sie überhaupt ein Abitur, Herr Pfeffer?“ Neustädter sprach jetzt sehr ruhig und beinahe väterlich.

      „Volksschule.“ Pfeffer flüsterte beinahe.

      Und Neustädter: „Sie haben das alles erfunden, nicht wahr?“

      Pfeffer nickte, ohne einen der beiden anzuschauen.

      „Und Sie haben ebenso diese Zeugnisse gefälscht?“

      Wieder Nicken. Immer noch Blick nach unten auf seine Hände. Zusammengesunken auf seinem Stuhl war er jetzt nurmehr ein armes Häufchen Elend. Als Bernd Plaumann ihn so sah, tat er ihm fast schon wieder leid und doch musste er sagen, was zu sagen war.

      „Pfeffer, Sie wissen, was das bedeutet, oder?“

      „Ich bin gefeuert“, flüsterte Pfeffer.

      „Sind Sie wahnsinnig?“, entfuhr es Plaumann, „Wissen Sie wie das aussehen würde? Das hier ist ein CDU-Blatt! Wenn wir Sie jetzt feuern, wirkt das wie eine Kapitulation für die Sozis! Und vor den Sozis! Wie ein Schuldeingeständnis! Nein, nein, Sie werden schön kündigen!“

      „Ist gut.“ Wieder nickte Pfeffer. Jetzt war noch einmal der andere Bernd an der Reihe, und langsam kam es Pfeffer so vor, als würde die beiden Guter Bulle, böser Bulle mit ihm spielen, denn Neustädter legte seine Hand auf Pfeffers Unterarm, sah ihn an und sagte:

      „Herr Pfeffer, sie waren doch Pressesprecher bei der Polizei, bevor Sie nach Bremen kamen. War das auch alles gelogen?“

      „Nein, das nicht.“ Und das war es wirklich nicht.

      „Und Ihre Stellen als Pressesprecher bei den Unternehmen, die Sie in Ihrem Lebenslauf angegeben haben - wenn wir da nachfragen, was werden die uns Ihrer Meinung nach erzählen?“

      „Gar nichts. Die werden das wohl bestätigen, was da steht“, sagte Pfeffer, und auch das war nicht gelogen. Zumindest nicht so richtig. Denn die erste Stelle hatte er tatsächlich angetreten und dort auch als Pressesprecher gearbeitet. Das Zeugnis war ebenfalls gut. Weil ihm eine einzige Stelle in der Wirtschaft für einen Lebenslauf aber viel zu wenig erschien, hatte er sich außerdem noch zwei Firmen ausgedacht, inklusive Pressestelle und einer Anstellung für Richard genannt Rick Pfeffer. Die Zeugnisse hatte er dann höchstselbst nachgeliefert. Aber wenn Sie dort anriefen, würden Sie in der Tat nichts Gegenteiliges erfahren, da die genannten Telefonnummern natürlich nie wirklich existiert hatten. Aber das war jetzt nicht kriegsentscheidend, und auch Neustädter sagte, die Hand noch immer auf Pfeffers Arm: „In Ordnung. Ich glaube Ihnen. Aber sehen Sie Pfeffer“, und nun ließ er seinen Arm los, faltete erneut die Hände und legte sie auf den Tisch „Sie waren dann auch bei uns Pressesprecher. In der CDU-Fraktion. Bevor Sie hier beim Blatt angefangen haben. Und auch diese Zeitung ist im Grunde ja nicht viel mehr als ein Parteiorgan. Wenn nun bekannt wird, dass die Bremer CDU all die Jahre einen Hochstapler beschäftigt hat“, er machte eine kurze bedeutungsschwere Pause, „glauben Sie, das wäre gut für unsere Position?“

      Pfeffer schüttelte den Kopf.

      Nun ergriff Plaumann wieder das Wort. „Es ist ja nicht nur das, Pfeffer. Wären Sie irgendeiner von diesen Schreiberlingen“, er deutete mit dem Daumen über seine Schulter zur Bürotür, „dann würden wir hier nicht sitzen. Aber Sie sind hier der Chefredakteur. Und außerdem haben Sie sich in den vergangenen Jahren mächtig exponiert. Mehr als uns je lieb gewesen ist, das möchte ich hinzufügen! Und das sage ich! Ich! Der auch kein Kind von Traurigkeit ist, wenn es um die Sache geht. Jeder gute General muss halt mal eine Division ins russische Feuer geschickt haben, um zu wissen, wie sich das anfühlt. Und ein Journalist, der nie verklagt wird oder der nie eine Gegendarstellung bringen muss, der macht seinen Job nicht richtig. Aber das


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