Die Prinzipien der Kriegspropaganda. Anne Morelli

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Die Prinzipien der Kriegspropaganda - Anne Morelli


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hier nicht darum, die guten oder bösen Absichten der unterschiedlichen Kriegsparteien zu sondieren. Ich will nicht herausfinden, welche Partei Lügen und welche die Wahrheit propagiert, welche in gutem Glauben handelt und welche nicht. Mein Ziel war einzig und allein, die Prinzipien der Kriegspropaganda, die von allen Konfliktparteien in gleicher Weise verwendet werden, anschaulich zu beschreiben und ihre Mechanismen zu verdeutlichen. Die klassischen Prinzipien Ponsonbys, das sei noch gesagt, lassen sich zwar am Beispiel »heißer« Kriege am einfachsten demonstrieren. Sie werden in »kalten« oder »lauwarmen« Kriegen aber mit ebenso viel Erfolg angewendet.

      In der neueren Geschichte, so hatte bereits Arthur Ponsonby festgestellt, wird von den Staatsmännern aller Länder vor der Kriegserklärung oder in der Kriegserklärung stets beteuert, gegen den Krieg zu sein. Da Krieg und seine grauenhaften Begleiterscheinungen nur selten populär sind, können Regierende gar nicht umhin, sich vorab als Friedensfürsten darzustellen.

      Als die französische Regierung 1914 mobil machte, erklärte sie denn auch sofort, daß eine Mobilmachung ja noch kein Krieg sei, sondern im Gegenteil das beste Mittel zur Aufrechterhaltung des Friedens. Am 19. August 1915 beteuerte der deutsche Reichskanzler, Deutschland habe den Krieg nicht gewollt, da der Wohlstand des Landes doch seit Gründung des Kaiserreichs mit jedem weiteren Friedensjahr gewachsen sei.

      Bei den Abrüstungsverhandlungen in Washington im November 1921 ließ sich Aristide Briand, der die französischen Kolonialkriege von Napoleon bis zurück zu Ludwig XIV. und auch die französischen Forderungen im Vertrag von Versailles offensichtlich vergessen hatte, zu der Behauptung hinreißen: »Nie während seiner ganzen Geschichte ist das französische Volk imperialistisch oder militaristisch gewesen, und keine andere Siegernation hätte sich mit so bescheidenen Forderungen zufriedengegeben wie wir Franzosen«.

      Im Zweiten Weltkrieg war es nicht anders. Daß die Alliierten ihre Friedensliebe beteuerten, mag nicht verwundern, doch verblüffenderweise behaupteten die Achsenmächte das Gleiche von sich. In alten Wochenschauen kann man sehen, daß der japanische Admiral Tojo und der amerikanische Präsident Roosevelt nach der Kriegserklärung der USA an Japan im Dezember 1941 fast wortwörtlich dieselben Floskeln benutzten. Beide bezeichneten sich als pazifistisch und betonten, sie seien gegen den Krieg.

      In den Reden Franklin D. Roosevelts taucht dieses Thema häufig auf. Am 16. Mai und am 10. Juli 1940 etwa versicherte er dem Kongreß, der die Kriegskredite für den Aufbau einer größeren und schlagkräftigeren Armee bewilligen mußte: »Nicht nur jeder amerikanische Bürger, sondern jede Regierung auf der Welt weiß, daß wir keinen Krieg wollen. Wir werden unsere Waffen nicht in einem Aggressionskrieg zum Einsatz bringen; wir werden unsere Soldaten nicht in europäische Kriege schicken. Aber wir werden jeden Angriff gegen die Vereinigten Staaten oder die westliche Welt abwehren.«6 Selbst Hitler, Göring und v. Ribbentrop kehrten 1939 ihren Friedenswillen heraus, genauso wie der französische Ministerpräsident Edouard Daladier, der allerdings wirklich mit aufrichtigem Bemühen versucht hat, den drohenden Krieg zu vermeiden. Die von der französischen Regierung zugänglich gemachten diplomatischen Akten7 aus der Zeit unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs dokumentieren jedoch zahlreiche einander widersprechende Beispiele dieses »Friedenswillens«.

      Schon im deutsch-österreichischen Freundschaftsvertrag von 1936 erklärten die Regierungen des Reichs und des Bundesstaates Österreich, ihre Beziehungen verändern zu wollen, aus ihrer Überzeugung heraus, damit einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Friedensentwicklung in Europa zu leisten. Als sich die Krise zuspitzte, die dann zur Zerschlagung der Tschechoslowakei führte, erklärte Hitler am 26. September 1938 in der Rede im Berliner Sportpalast, er habe dem britischen Premierminister Chamberlain versichert, »daß das deutsche Volk nichts anderes will als Frieden. Allein, ich habe ihm auch erklärt, daß ich nicht hinter die Grenzen unserer Geduld zurückgehen kann«.

      In derselben Rede – ein Jahr vor dem deutschen Einmarsch in Polen – zitierte Hitler das deutsch-polnische Abkommen als Modell: »Wir alle sind überzeugt, daß dieses Abkommen eine dauernde Befriedung mit sich bringen wird. Wir sehen ein, daß hier zwei Völker sind, die nebeneinander leben müssen und von denen keines das andere beseitigen kann. […] Das Entscheidende ist, daß die beiden Staatsführungen und alle vernünftigen und einsichtigen Menschen in beiden Völkern und Ländern den festen Willen haben, das Verhältnis immer mehr zu bessern«.

      Dieser »Friedenswille« ist tatsächlich eines der Leitmotive in den Erklärungen des »Führers«. Gegenüber dem französischen Botschafter in Berlin erklärte er zum Thema deutschfranzösische Beziehungen: »Ich möchte, daß diese Beziehungen friedlich und gut sind und ich sehe keinen Grund, weshalb sie es nicht sein sollten. Es gibt keinen Grund zum Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich.«8 Das von Hitler und dem tschechischen Staatspräsidenten Dr. Hach am 15. März 1939 unterzeichnete Abkommen, das der Existenz der Tschechoslowakei ein Ende bereiten sollte, beginnt mit dem Ausdruck der »Überzeugung, daß das Ziel aller Bemühungen die Sicherung von Ruhe, Ordnung und Frieden in diesem Teil Mitteleuropas sein müsse.«9

      Außenminister v. Ribbentrop erklärte gegenüber dem slowakischen Regierungschef Tiso unter Anspielung auf die deutsch-polnischen Beziehungen: »Der Führer will keinen Krieg. Er wird sich nur mit größtem Widerwillen dazu entschließen.«10Und als Göring Anfang August 1939 vor den Arbeitern der Rheinmetall-Werke sprach, betonte auch er, daß das Reich keinen Krieg wolle, daß es gelassen und voller Vertrauen in den »Führer« dem von diesem ersehnten Frieden entgegensehe, daß es sich jedoch wehren würde, wenn man ihm diesen Frieden verweigere oder wenn jemand die Dummheit begehen sollte, ganz Europa in einen Krieg zu ziehen.11

      Hitler beteuerte in einem Brief vom 27. August 1939 an den französischen Ministerpräsidenten Edouard Daladier erneut seinen Friedenswillen. Seine Worte könnten einen zu Tränen rühren, wenn man nicht wüßte, welche tatsächlichen Absichten und Pläne sich dahinter verbargen, Pläne, die schon lange fertig in der Schublade warteten: »Als alter Frontsoldat kenne ich wie Sie die Schrecken des Krieges. Aus dieser Gesinnung und Erkenntnis heraus habe ich mich auch ehrlich bemüht, alle Konfliktstoffe zwischen unseren beiden Völkern zu beseitigen.« Und er versicherte, daß es ihm mit seinem Verzicht auf Elsaß-Lothringen vollkommen ernst sei: »Durch diesen Verzicht und durch diese Haltung glaubte ich jeden denkbaren Konfliktstoff zwischen unseren beiden Völkern ausgeschaltet zu haben, der zu einer Wiederholung der Tragik von 1914 – 1918 würde führen können […]. Wir haben auf Elsaß-Lothringen verzichtet, um ein neues Blutvergießen zu vermeiden.«

      Gleichzeitig wandte sich Hitler mit einem Schreiben an die britische Regierung, um auch sie von seinen pazifistischen Absichten zu überzeugen. Wieder brachte er »den Wunsch der Reichsregierung nach einer aufrichtigen deutsch-englischen Verständigung, Zusammenarbeit und Freundschaft« zum Ausdruck. Und als er am 1. September 1939 den Reichstag einberief, um ihn über den Einmarsch in Polen zu unterrichten, unterstrich Hitler auch diesmal seine friedlichen Absichten und seine Bemühungen um Erhaltung des Friedens: »Wie immer, so habe ich auch hier versucht, auf dem Wege friedlicher Revisionsvorschläge eine Änderung des unerträglichen Zustandes herbeizuführen. Es ist eine Lüge, wenn in der Welt behauptet wird, daß wir alle unsere Revisionen nur unter Druck durchzusetzen versuchten. […] In jedem einzelnen Fall habe ich dann von mir aus nicht einmal, sondern oftmals Vorschläge zur Revision unerträglicher Zustände gemacht […]. Sie kennen die […] endlosen Versuche, die ich zu einer friedlichen Verständigung über das Problem Österreich unternahm und später über das Problem Sudetenland, Böhmen und Mähren […]. Ich bin entschlossen, dafür zu sorgen, daß im Verhältnis Deutschlands zu Polen eine Wendung eintritt, die ein friedliches Zusammenleben sicherstellt.«

      Ganz ähnliche Worte waren – was uns weit weniger überrascht – aus dem Lager der Alliierten zu hören. Bei einem Gespräch am 15. August 1939, kurz vor Ausbruch der »drôle de guerre«, des zunächst ruhenden Krieges zwischen Deutschland und Frankreich, kennzeichnete der französische Botschafter in Berlin gegenüber dem deutschen Staatssekretär im Außenministerium sein Volk als »arbeitsam, ruhig und friedliebend, das aber für die Verteidigung seiner Ehre und seiner Position in der Welt zu allen Opfern bereit ist.« Als Edouard Daladier am 2. September 1939 das französische


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