»Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland. Werner Rosenzweig

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»Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland - Werner Rosenzweig


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habt ausgesucht für mich. Zu alt für mich und hässlich, hat Nase wie krumme Gurke. Immer ich soll machen, was er sagt. Sagt ich soll Kopftuch tragen. Ich bin schön und nicht will bedecken mein schönes Haar. Nicht leben wie in achtzehntes Jahrhundert, wie in Urfa.«

      »Müselüm hat recht, du nicht gekleidet wie türkisches Mädchen«, brüllte sie ihr Bruder an, »Hose an Arsch zu eng und Bluse zu durchsichtig. Kann jeder sehen deine Unterwäsche durch Stoff. Kann nicht glauben, dass deutscher Freund da nicht schon hat hingelangt. Vielleicht auch schon anderswo? Vielleicht du bist schon geöffnet und keine Jungfrau mehr? Müssen gehen zu Arzt und feststellen.«

      »Nein«, kreischte Akgül verzweifelt, »das nicht stimmen, was du sagen. Du bist türkisches Männer-Arschloch. Macho.«

      Sie reagierte zu spät, als ihr Bruder, wie von der Tarantel gestochen, über den kleinen Couchtisch hechtete, sein Glas, gefüllt mit aromatischem Apfeltee, verschüttete, und ihr einen kräftigen Faustschlag auf die rechte Wange hieb. Sein schwerer Metallring, den er am rechten Mittelfinger trug, riss ihre feine bronzefarbene Gesichtshaut auf, und augenblicklich war ihre weiße Bluse mit dicken Bluttropfen besprenkelt. Akgül schrie vor Schmerzen auf, und ihre Mutter stürzte aus der Küche herbei, um ihre Tochter in die Arme zu nehmen und sie vor weiteren Angriffen zu schützen.

      »Weib, geh in Küche, hier kein Platz für dich!«, herrschte sie ihr Ehemann an.

       6

      Doris Kunstmann lebte noch zuhause bei ihren Eltern, in Röttenbach, in der Weiherstraße. Die achtzehnjährige Blondine, mit den himmelblauen Augen und der kräftigen Oberweite bereitete sich auf das Abitur vor, welches sie im kommenden Jahr mit Bravour bestehen wollte. Im Moment stand ihr der Sinn allerdings nicht nach Lernen, und ihr Interesse an der Schule war gerade in weite Ferne gerückt. Ausgerechnet ihre Intimfeindin, diese flachbrüstige, krummbeinige Hannelore Adam – wie konnte man nur Hannelore heißen? – hatte ihr mit höchster Schadenfreude die neueste Nachricht verkündet, welche sie noch immer nicht so recht glauben wollte: Ihr Walter solle angeblich seit Neuestem mit dieser türkischen Schlampe aus der Amselstraße liiert sein, diesem geilen Miststück. Wie hieß sie doch noch gleich? Akgül! Da war ja sogar Hannelore ein schönerer Name. Im fernen Coburg hat man die beiden gesehen, wie sie innig miteinander knutschten. Sie glaubte kein Wort davon. Sie musste sich selbst Sicherheit verschaffen. Jetzt, sofort. Ihre Gedanken kreisten hin und her. Walter hatte ihr doch immer wieder seine Liebe erklärt. Erst kürzlich. Vor zwei Wochen. Aber was besagt das? Es stimmt schon, in letzter Zeit hatte er sich immer rarer gemacht.

      »Wenn du im Moment keine Zeit net hast, ist‘s net so schlimm«, waren seine Worte. »Die Matheschulaufgab ist im Moment wichtiger für dich. Nimm dir nur Zeit zum Lerna. Wir treffn uns halt danach wieder.«

      Sie erinnerte sich an diesen Satz aus seinem Mund, und wieder wurde sie von heftigen Zweifeln geplagt. Die ganze unschöne Angelegenheit wühlte sie innerlich auf. Schlechte Nachrichten schlugen bei ihr immer auf das vegetative Nervensystem. Dann bekam sie meist Schwierigkeiten mit der Atmung, manchmal auch mit der Verdauung und dem Stoffwechsel. War das alles nur Süßholzraspeln, was Walter ihr kürzlich ins Ohr flüsterte? Nur leere Worte? Dachte er dabei bereits an das nächste Wiedersehen mit dieser türkischen Nutte? Nein, das konnte nicht sein. Ihr Walter war anders als die anderen jungen Männer. Er las ihr doch immer jeden Wunsch von den Augen ab, und er konnte so zärtlich sein, wenn er sie in die Arme nahm. Nein, Walter ging nicht fremd. Aber wer weiß, vielleicht hatte ihm dieses türkische Satansweib doch schöne Augen gemacht, und er ist auf sie hereingefallen? Sie sah ja extrem gut aus. So exotisch. Das musste man ihr lassen. Der Teufel in Person. Falls …, na dann konnte die was erleben. Sie würde ihr ihre schwarzen Glubschaugen auskratzen. Sie würde ihr ihren türkischen Arsch bis zum Gehtnichtmehr aufreißen. So ein Luder. Doris Kunstmann nahm ihr iPhone zur Hand und wählte die eingespeicherte Nummer von Norbert Amon. Norbert war Walters bester Freund. Die beiden steckten doch ständig zusammen. Wenn jemand Bescheid wusste, dann Norbert. Das Mobiltelefon tickerte. Besetzt. Die beiden quatschten bestimmt gerade miteinander. Sie würde es später noch einmal probieren und wehe, an der Sache war was dran, dann würde sie nicht nur dieser türkischen Amazone den Arsch aufreißen. Dann war auch Walter dran, aber daran mochte sie im Moment noch gar nicht denken. Und wenn doch? Auf jeden Fall ließ sie sich nicht vor dem ganzen Dorf lächerlich machen. Das stand außer Zweifel.

       7

      Müselüm Yilmaz war höchst verärgert. Nein er war hochgradig wütend. Unruhig tigerte er in seiner Erlanger Zweizimmerwohnung auf und ab. So eine Schande. Sie hatte ihm Hörner aufgesetzt, dieses Weib. Müselüm rieb sich seinen überdimensionalen Riechkolben. Das tat er immer, wenn er in höchster Aufregung war. Seine siebzehnjährige Freundin hatte ihn gedemütigt. Vor aller Welt. Das war ihm nun klar. Sie hatte ein neunzehnjähriges dahergelaufenes Bürschlein, einen Deutschen zudem – noch grün hinter den Ohren – ihm, einen gesunden und kräftigen vierundzwanzigjährigen türkischen Mann, vorgezogen und damit gegen alle traditionellen Regeln der türkischen Lebensanschauung verstoßen. Das musste Konsequenzen haben. In beide Richtungen. Er würde sich diesen Deutschen, dem noch die Eierschalen hinter den Ohren klebten, bei nächster Gelegenheit ordentlich vornehmen. Er musste seine verletzte Würde wieder ins rechte Lot bringen. Aber auch Akgül musste bestraft werden. Da ging kein Weg daran vorbei. Sie würde schon noch lernen, den ihr versprochenen zukünftigen Ehemann zu achten und seine Anordnungen zu befolgen. Wie oft hatte er ihr schon gesagt, dass er es nicht mochte, wenn sie sich so aufreizend kleidete. Er war wohl bisher zu weich und nachsichtig mit ihr gewesen. Das war ein Fehler, doch das würde sich ab sofort fundamental ändern. Ganz sicher. Er konnte auch andere Saiten aufziehen, wenn er wollte. Da würde sie sich noch wundern. Doch Müselüms größte Sorge war, dass Akgül zwischenzeitlich keine Jungfrau mehr war. Diese deutschen Halbstarken wären die reinsten Hurenböcke, hatte er gehört. Immer wieder tauchte dieser schreckliche Gedanke im hintersten Winkel seines Gehirns auf und versetzte ihn in Panik. Er mochte gar nicht daran denken, was geschehen würde, wenn dies der Fall sein sollte. Wirklich nicht auszudenken. Er würde dem Deutschen eigenhändig den Schwanz abschneiden. Er würde ihm seine Eier einzeln ausreißen. Eine unbändige Wut stieg in ihm hoch, wenn er nur daran dachte. Der Zweifel nagte tief in ihm und ließ ihm keine Ruhe. Dann griff er, immer noch hoch erzürnt, zum Telefon und wählte Ahmet Özkans Nummer. Er wollte endlich wissen, was sein Schwiegervater in spe über Akgüls Seitensprung herausgefunden und was der Familienrat beschlossen hatte.

       8

      Auch Walter Fuchs hatte daheim Probleme mit seinen Eltern.

      »Bring uns fei bloß keine türkische Schnalln ins Haus geschleift«, musste er sich von seinem Vater, Moritz Fuchs, anhören, »und wehe du machst dieser Zigeunerin ein Kind! Ein türkischer Balg kommt mir fei net ins Haus. Sonst enterb ich dich. Merk dir das!«

      »Dass du überhaupt mit so einem Madla was anfängst«, geiferte seine Mutter Gerta, »die stinkn doch alle nach Knoblauch. Dass du dich da net ekelst! Waschn tun die sich wahrscheinlich auch net. Die hat es doch bloß auf unser Haus abgsehn. Dass du das nicht merkst! Du bist doch unser einziger Bu!«

      »Etz lasst mich doch endlich in Ruh«, geiferte der junge Mann zurück, »schließlich bin ich erwachsen und kann machen und tun, was ich will. Und dass ihr das endlich mal wisst: Auf eure Bruchbudn kann ich sowieso gern verzichtn.«

      »Da pass etz aber auf, was du sagst”, fing Vater Moritz erbost zu schreien an, »solang du deine Füß unter unsern Tisch ausstreckst, hast du herinna überhaupt nix zu sagen. Das sag ich dir! Wenn du willst, kannst du morgen scho ausziehn, und glaub bloß net, dass wir dir irgendeine Träne nachgreina!«

      »Papa«, klagte Gerta Fuchs nun ihren Mann an, »um Himmels Willn, etz sei doch nicht so streng mit unserm Bubm. So was sagt mer doch net zu seinem eigenen Fleisch und Blut.«

      »Na, weils doch wahr ist«, ließ Moritz Fuchs nicht locker. »Soll er doch schaun, wie er allein zurechtkommt, das Siebngscheiderla.


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