Stimmen des Yukon. Birte-Nadine Neubauer
Читать онлайн книгу.dachte gerade daran, wie wunderbar es wohl sein musste, eigens einen Hundeschlitten zu führen. Sie war bisher erst einmal in den Genuss einer Hundeschlittenfahrt gekommen, als sie in Whistler eine zweistündige Tour mitgemacht hatte. Allerdings saß sie da im Schlitten und wurde von einem Musher, der hinten auf den Kufen stand, durch die Winterlandschaft gefahren. Sie war damals so überwältigt und fasziniert gewesen, dass sie dies eines Tages unbedingt selbst machen wollte. Den eigenen Hundeschlitten führen! Hier also im Yukon sollte ein weiterer ihrer Träume in Erfüllung gehen.
»Ich habe unten am Hundeplatz einen jungen Mann gesehen, der Futter für die Hunde gehackt hat. Ich wollte ihn nicht stören. Ist er auch ein Musher?«, fragte Julie neugierig.
»Das wird wohl Adam gewesen sein. Er kommt eigentlich aus dem Osten Kanadas und ist dort Musher. Er kam hierher, um zu sehen und zu überlegen, ob die Arbeit mit den Pferden etwas für ihn sein könnte. Aber seine Leidenschaft sind eben die Hunde und so kümmert er sich auch um sie. Er ist sehr einfühlsam und macht einen guten Job. Ich hoffe, er wird sich entscheiden hier zu bleiben. Er wird Ian und dich gelegentlich mit den Pferden begleiten, da er die Gegend auch noch besser kennenlernen möchte.«
In dem Moment, als Trudy fertig gesprochen hatte, sah Julie wie ein sehr großer Mann um die Lodge ging, die Veranda betrat und dann zur Türe hereinkam. »Das muss er sein!«, schoss es ihr in den Sinn.
Trudy schloss sogleich jeglichen Zweifel aus: »Hey Ian, da bist du ja. Wir haben uns schon Tee eingeschenkt. Das hier ist Julie.«
Julie stand auf und trat Ian entgegen. »Meine Güte, was für ein Bär von Mann!«, waren ihre ersten Gedanken. Ian war locker zwei Köpfe größer als sie. Sie zählte zwar nicht gerade zu den kleinsten Frauen, aber im Vergleich zu ihm kam sie sich nun doch ziemlich schmächtig und klein vor. »Hallo Ian, es freut mich sehr, dich kennenzulernen!«
Ein kurzes »Hey, mich auch!« war seine Antwort. Dabei lag ein so sympathisches Lächeln auf seinen Lippen, dass Julie ihn sofort ins Herz schloss. Es schien, als könne sie auf Anhieb die Sanftmut, die Warmherzigkeit und die Güte, welche seine leuchtend blauen Augen wiederspiegelten, in ihm erkennen. Außerdem rief sein Auftreten im Gesamten bei Julie sofort Sympathie hervor.
Als Ian die Lodge betreten hatte, hatte er als erstes seine Mütze abgenommen. Darunter kam sein halblanges dunkelblondes Haar, das nun völlig zerzaust in sämtliche Richtungen stand, hervor. Dies allerdings schien ihn nicht im Geringsten zu interessieren. Während er nun nach der Begrüßung zum Küchenschrank ging, um sich eine Tasse herauszunehmen, fiel Julie sein schlurfender Gang auf. Etwas schwerfällig und mit einer Gemütsruhe durchquerte er den Raum. Dabei spitzte er beim Atmen hochkonzentriert seine Lippen, so dass es den Anschein machte, als würde er auf eine Art Pfeifen.
»Hast du die Pferde geholt?«, fragte ihn Trudy.
»Ja, das habe ich.«
»Waren sie unten auf der großen Weide?«
»Ja.« Und wieder nur eine kurze Antwort seinerseits.
Es kam Julie so vor, als ob Ian kein Mann vieler Worte war und dennoch ließ ihn das nicht weniger liebenswert erscheinen. Im Gegenteil. Auch dies gefiel Julie gleich an ihm. Sie wusste, dass es genug Menschen gab, die mit vielen imposanten Worten viel heiße Luft um nichts machen konnten, und so war ihr Ian auf jeden Fall lieber.
Ian setzte sich zu den beiden an den Tisch, goss sich ebenso dampfenden Tee in seine Tasse und nahm sich einen Cookie, in den er herzhaft hineinbiss. In den Tee gab er Zucker. Eine Menge Zucker. Er sah Julie kurz an, während er mit seinem Tee beschäftigt war. »Nun, du wirst also für die nächste Zeit hier bei uns bleiben?«
Obwohl er dies sehr ruhig und auch eher langsam sagte, hatte Julie Probleme, Ian richtig zu verstehen. Dies lag weniger an seinem Dialekt, als vielmehr daran, dass er in seinen nicht vorhandenen Bart nuschelte. Aber dennoch, nachdem sie ein paar Sekunden verstreichen ließ, konnte sie sich den Satz zusammenreimen und gab ihm eine kurze Antwort: »Jep!«
Ian erwiderte ihre Fröhlichkeit mit einem feinen Lächeln, kurz hochgezogenen Augenbrauen und einem leichten Nicken. Danach war alles gesagt. Sie mochten sich beide auf Anhieb.
Gemeinsam am Tisch aßen sie eine Kleinigkeit und besprachen nun alles, was für Julie wesentlich war. Angefangen von den bevorstehenden Einkäufen, den finanziellen Dingen, der Unterbringung, bis hin zu geplanten Ausflügen, die zur Erkundung und Zurechtfindung für Julie gedacht waren. Eigentlich war es viel mehr ein Dialog zwischen Trudy und Julie. Ian hörte sich alles an. Es machte ab und zu den Anschein, als sei er gelegentlich geistesabwesend, aber dennoch entging ihm nichts.
Julie stellte fest, dass sich Trudy einige Gedanken um sie gemacht hatte. Alles in allem hörte sich das Ganze dadurch äußerst unkompliziert und wohl organisiert an. Sie war wirklich froh darüber, dass sie zuhause alle beruhigen konnte.
»Nun …«, meinte Trudy, »jetzt haben wir doch schon vor dem Abendessen und ohne die anderen alles durchgesprochen. Aber durch den kurzfristigen Besuch der beiden Journalistinnen hat sich der eigentliche Plan nun eben etwas geändert. Wir werden dann erst später zu Abend essen und können uns dabei besser kennenlernen.«
Nachdem Julie ihren letzten Schluck Tee getrunken hatte, nickte sie Trudy zu. »Darauf freue ich mich jetzt schon!«
Ian stand währenddessen auf. Er räusperte sich nun und sagte in ruhigem Tonfall: »Okay, dann werde ich jetzt die Pferde satteln gehen. Ungefähr in einer halben Stunde werden die beiden da sein. Du kannst nachkommen, sobald du startklar bist.« Dabei sah er kurz zu Julie hinüber.
»Oh, prima! Ja, ich komme dann gleich nach!«, entgegnete sie ihm in freudiger Erwartung.
Ian nahm anschließend seine Tasse vom Tisch, um sie in der Spüle abzustellen. Danach zog er seine Schuhe und seine Jacke an und verließ kurz darauf die Lodge.
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