Stimmen des Yukon. Birte-Nadine Neubauer
Читать онлайн книгу.eine kurze Pause und sah Trudy in die Augen. »Vielen Dank für alles, Trudy!«
Trudy hätte Julies Dankbarkeit auch ohne deren Worte alleine in ihren Augen lesen können und so erwiderte sie dies mit einem kurzen Lächeln. Sie nickte. »Gern geschehen, und bis später dann, Julie!«
Nachdem Julie ihre Sachen im Zimmer, in dem sich lediglich ein großes Bett, zwei kleine Schränke und eine kleine Ablagebank befanden, verstaut hatte, spähte sie aus dem Fenster. Sie entschied sich trotz des anhaltenden Regens dafür, ein wenig hinauszugehen. Sie wollte sehen, wie die Hunde und Pferde untergebracht waren und was ihr die nähere Umgebung zu bieten hatte. Sie zog ihre Regenkleidung über, eilte die Treppe hinunter und ging hinaus.
Ohne überhaupt eine Ahnung zu haben, wo sich auf der Ranch was befand, blieb Julie nach wenigen Schritten vom Haus entfernt stehen. Sie überlegte sich, in welche Richtung sie gehen wollte. Zu ihrer Linken sah sie einen Holzzaun, der einer Koppeleinfassung glich. Plötzlich drang aber heftiges Hundegebell direkt vor ihr an ihr Ohr und sie entschied sich dem Weg geradeaus zu folgen. Sie war neugierig, wie viele Hunde im Stande waren, solch einen Lärm zu verursachen.
Nach ein paar hundert Metern sah Julie auf der linken Seite einen mit lichten Fichten bewaldeten Platz, an dem die Hunde untergebracht waren. Jeder der Hunde war mit einer langen Leine an einem niedrigen Pfosten angebunden und hatte eine blaue Tonne in seiner Nähe, die als Hütte umfunktioniert war. Sie lag waagerecht auf dem Boden und hatte eine ausgeschnittene Luke als Eingang. Eine dicke Einlage Stroh diente als Mattratze. Sie hielt kurz an, um diesen Eindruck auch wirklich begreifen zu können. »Ach du meine Güte!«, staunte sie. »Das müssen hunderte sein!« Sie vermochte sie nicht zu zählen.
Je weiter sie nun dem Weg folgte, umso weiter begab sie sich zwischen die Hunde. Als sie stehen blieb, um diese genauer betrachten zu können, befand sie sich mitten in deren aufgewühlten Stimmung und das Bellen schien für kurze Zeit ihre Ohren zu betäuben. Dann sah Julie, weshalb die Hunde so aufgebracht waren.
An einer riesigen Werkbank, die sich zwischen zwei kleineren Hütten befand, verarbeitete jemand einen immensen Berg Fleisch und Knochen. Alle Hunde hofften davon ihren Teil abzubekommen. Es gab manche, die, während sie bellten, einfach nur dasaßen, andere, die Runde um Runde um ihren Platz liefen und wieder andere, die hektisch gegen ihre Leine sprangen, da sie sich erhofften, dadurch eher etwas von dem leckeren Fleisch abzubekommen.
Die Hunde, die sich in nächster Nähe zu Julie befanden, unterbrachen ihr Jaulen und hofften stattdessen auf ihre Aufmerksamkeit. Julie fiel eine aufgeweckte und wunderschöne Hündin direkt neben sich auf, die in ihrem graumelierten Fellkleid etwas Wolfsähnliches hatte. Sie trat näher an sie heran und begann sanftmütig mit ihr zu sprechen: »Na du? Du bist aber eine Hübsche!« Dabei bemerkte sie, dass auf jeder der Hundehütten der Name des jeweiligen Hundes mit dicker weißer Farbe geschrieben war. Auf der Tonne des Hundes zu ihrer Linken war der Name ›Fuzzy‹ zu lesen. »So heißt du also. Fuzzy!«
Die Hündin wedelte freudig mit ihrer Rute und war dennoch hin- und hergerissen, ob sie nun Julie oder dem entfernten Fleisch ihre volle Aufmerksamkeit schenken sollte.
Julie überschaute den Hundeplatz und bedauerte zugleich, dass sie es heute nie und nimmer schaffen würde, jeden einzelnen von ihnen zu begrüßen und zu streicheln. Stattdessen beschränkte sie sich auf die Hunde, die um sie herum waren, und ließ zumindest diese ihre Liebe für sie spüren.
Etwas wehmütig entschloss sich Julie letzten Endes, nach einem nur kurzen Besuch bei den Hunden, einmal nach den Pferden zu sehen. Da es immer noch in Strömen regnete, sollte ein kurzer Überblick daher vorerst genügen. Sie ging denselben Weg zurück den sie gekommen war, in Richtung des Weidezaunes, den sie zuvor gesehen hatte. In der gesamten Einzäunung befanden sich jedoch keine Pferde. So ging sie auf dem Weg, den sie mit dem Auto gekommen waren, weiter. Sie wollte nachsehen, ob sie in dem Paddock, den sie vorher nur aus dem linken Augenwinkel bemerkt hatte, Pferde ausfindig machen konnte.
In der Mitte des Paddocks standen zwei große Futterplätze und es gab einen geräumigen Unterstand. Außerhalb der Einzäunung stand eine Hütte, die vermutlich als Futter- oder Sattelkammer genutzt wurde, und des Weiteren war das zuvor kurz von Julie wahrgenommene Büro schräg gegenüber zu sehen. Allerdings keine Pferde.
»Hm, etwas seltsam ist das schon …! Auf der ganzen Ranch ist weit und breit kein Pferd zu sehen«, überlegte Julie. Sie ging jedoch davon aus, dass sich dies später klären würde, wenn sie jemanden fragen konnte.
Der Regen hatte ein wenig nachgelassen und so entschied sie sich nun zu guter Letzt den ›Fish Lake‹ aufzusuchen. Sie sah den See schon von weitem in der Ferne liegen. Soweit das Auge reichte, erstreckte er sich Blauschwarz in südlicher Richtung. Der See war umgeben von Bergen, deren Gipfel bis zur Hälfte mit dicken aschgrauen Regenwolken verhangen waren. Das Ausmaß der Berge war daher nicht wirklich einzuschätzen. Die Oberfläche des Sees schien seiden weich zu sein und nur die feinen Regentropfen rissen selbige immer wieder kurz auseinander. Julie stand da und genoss für einen Augenblick die Aussicht und das sich ihr darbietende Schauspiel des reinen Elementes, bevor sie sich wieder auf den Rückweg zur Lodge machte.
Triefnass vom kurz zuvor wieder heftig einsetzenden Regen betrat Julie die Lodge, als Trudy gerade in der Küche eine große Kanne mit Tee kochte. »Hallo Julie, komm herein, du kommst gerade richtig. Ian wird auch gleich da sein und dann können wir gemeinsam einen Tee trinken.«
Julie begrüßte Trudy ebenso und erkundigte sich, ob sie denn ihre Vorbereitungen hatte alle erledigen können. Währenddessen entledigte sie sich ihrer nassen Regenkleidung.
»Ja, ich habe alles hinbekommen. Ging doch wieder zügiger, als ich gedacht habe. Ach, übrigens haben sich kurzfristig für heute Abend zwei Frauen einer Reiseagentur gemeldet, die einen Bericht für ihr Reisejournal über unsere Ranch schreiben möchten. Ian wird sie mit den Pferden auf den Berg dort drüben führen. Von dort aus hat man eine schöne Aussicht und ich denke, das wird den beiden gefallen.« Dabei zeigte sie mit dem Finger aus dem Fenster und wies in Richtung einer der nahe gelegenen Berge.
»Die Wolken hängen sehr tief«, merkte Julie an, während sie versuchte, ihre zerzauste Frisur etwas zu richten.
Gemeinsam setzten sie sich zunächst an den Tisch.
Trudy goss herrlich nach Früchten duftenden Tee in ihre Tassen. Sie wusste sofort, was Julie damit sagen wollte. »Hier kann man nie wissen, wie das Wetter wird. Regnet es in einem Moment, kann es eine Stunde später schon wieder strahlenden Sonnenschein geben. Von daher lassen wir uns einfach überraschen, was wir am Abend für ein Wetter bekommen. Ian wird dich bestimmt mitnehmen. Ich denke auch, dass er ein gutes Pferd für dich ausgesucht hat.«
Julie unterbrach Trudy: »Apropos Pferd, ich habe weit und breit um die Lodge kein Pferd gesehen. Wo sind die Pferde denn untergebracht?«
»Ah, gut, du hast dich also schon ein wenig umgesehen. Nun, wenn wir keine Gäste auf der Ranch haben, die zum Reiten hier sind, lassen wir die Pferde einfach in der gesamten Umgebung laufen. In der Nähe gibt es eine gute Weidemöglichkeit für sie. Vermutlich halten sie sich dort auf. Ansonsten holen wir die Reitpferde oder Packpferde, die wir brauchen, auf die Ranch und bringen sie auf dem Paddock und der eingezäunten Weide hier gleich ums Eck unter. Sie sollen ihre Freiheit genießen, wenn möglich, und außerdem laufen sie nie weit weg. Sie halten sich immer in einem bestimmten Radius zur Ranch auf. Sie wissen ja auch, dass sie hier ihr Heu und Kraftfutter bekommen. Ian wird, denke ich, jetzt gerade noch unterwegs sein, um die Pferde für den Ausritt am frühen Abend zu holen.«
Julie gefiel die unkomplizierte, offene Art von Trudy. Es schien, als würden sie sich schon eine ganze Weile kennen. Obwohl sie noch nicht einmal einen ganzen Tag hier war, fühle sie sich dadurch schon fast heimisch und sie war sehr erleichtert darüber.
»Warst du auch schon bei den Hunden?«, fragte Trudy nach einer kurzen Pause.
»Ja, ich habe sie schon von weitem gehört. Ich musste nur ihrem Jaulen und Bellen folgen. Ich war überwältigt, wie viele es sind. Wie viele sind es denn eigentlich?«
»Hm …«, überlegte Trudy, indem sie grüblerisch ihre Stirn in Falten legte.