Stimmen des Yukon. Birte-Nadine Neubauer

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Stimmen des Yukon - Birte-Nadine Neubauer


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Sie hatte wirklich keine Ahnung, was sie erwarten würde. Schließlich hatte sie sich nur aus dem Bauch heraus für eine Gegend auf einer Ranch entschieden, die sie nach kurzen Recherchen im Internet gefunden hatte. Die bisherige Kommunikation mit einer Teilhaberin der Ranch stellte sich aber so unkompliziert dar, dass Julie ein gutes Gefühl bei der Sache hatte. Wenn sie sich auf etwas verlassen konnte, dann waren es ihr Bauchgefühl und ihr Instinkt, und eine innere Stimme sagte ihr, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.

      »Macht euch keine Sorgen, ich bekomme das alles schon hin und ich bin mir sicher, dass es mir dort gut ergehen wird. Ich habe schließlich schon ganz andere Dinge in meinem Leben gemeistert. Stellt euch lieber die vielen tollen Abenteuer vor, die ich dort bestimmt erleben werde.«

      Julie hoffte, dass ihr der besänftigende Versuch, ihre Eltern endlich von den sorgenvollen Gedanken abzubringen, einigermaßen gelungen war. Vorsichtshalber wechselte sie das Gesprächsthema. Ihre Eltern wollten sich um die Tiere kümmern, solange sie weg sein würde, und daher erklärte sie ihnen zum gefühlt vierzigsten Mal, was sie bei deren Versorgung beachten sollten. Auch ihre Mutter fand noch andere Themen, über die man sprechen konnte, und so befanden sich alle am Ende des Essens in entspannter, heiterer Stimmung. Gemeinsam räumten sie das Geschirr vom Tisch und erledigten den Abwasch, während ihre Gespräche anhielten. Anschließend machte sich Julies Vater wieder an die noch nicht ganz fertigen Knödel, die es noch zu kochen galt und Julie und ihre Mutter setzten sich mit einer Tasse Kaffee erneut an den Tisch, um die morgige Fahrt zum Flughafen zu besprechen. Ihre Mutter würde Julie zum Flughafen bringen.

      »Wann startet dein Flugzeug nochmal?«

      »Um fünf vor zehn. Ich habe mir überlegt, dass wir gegen fünf Uhr losfahren. Ich hoffe, das ist in Ordnung.«

      Julie würde von Stuttgart aus fliegen und sie wollte genug Zeit haben, falls es auf der Autobahn zu einem Stau kommen sollte. Sie wollte lieber zu früh dort sein, als dass sie nachher hetzen müsste.

      »Das habe ich mir schon gedacht, dass du so früh los willst.« Der Blick, der dabei von Julies Mutter ausging, verdeutlichte, wie gut sie ihre Tochter doch kannte. »Natürlich ist das in Ordnung! Ich werde startklar sein, wenn du kommst«, äußerte sie sich nach einer kurzen Pause, wohl wissend, dass sie Julie dadurch eine große Last abnehmen würde. Als sie Julie ansah, las sie in deren Augen eine tiefe Dankbarkeit.

      »Danke! Vielen Dank für alles, Mami!« Mehr brauchte sie nicht hinzuzufügen.

      »Ich melde mich, wenn ich in Whitehorse angekommen bin. Ihr wisst, dass ich noch einen ganzen Tag nach meiner Ankunft dort sein werde, bevor mich am darauffolgenden Tag eine Person der Ranch vom Hotel abholen wird. Ansonsten werde ich mich vermutlich von der Ranch und der Hütte nicht allzu oft melden können. Wenn überhaupt. Ich könnte mir gut vorstellen, dass man dort keine Möglichkeit zum Telefonieren hat«, erklärte sie.

      »Das ist schon recht so, Julie. Du meldest dich einfach, wie es dir passt«, meinte ihre Mutter verständnisvoll.

      Julie warf einen kurzen Blick auf die Wanduhr und bemerkte, dass sie sich allmählich verabschieden sollte. Es war bereits vorangeschrittener Nachmittag und sie wollte vor dem Abend noch eine große Runde mit ihrer Hündin spazieren gehen. »Ich werde nun aufbrechen«, meinte sie, während sie aufstand. Gemeinsam mit ihrer Mutter ging sie in die Küche, wo ihr Vater schon auf sie wartete. »Vielen Dank für das leckere Essen bei euch! Deine Knödel waren mal wieder Weltklasse, Papi!«, sagte Julie, indem sie zunächst ihren Vater und dann ihre Mutter liebevoll ansah.

      Julie war jemand, der der Abschied immer sehr schwerfiel und deshalb wollte sie diesen Moment so kurz wie möglich halten.

      Herzlich schloss Julie zunächst ihre Mutter in ihre Arme. »Wir sehen uns ja dann morgen noch mal!«

      »Ja, bis morgen, Julie!«

      Anschließend wandte sie sich ihrem Vater zu. Die beiden sahen sich tief in die Augen, bevor auch sie sich fest in die Arme nahmen.

      »Pass bloß auf dich auf, hörst du!«, flüsterte er ihr ins Ohr.

      »Das werde ich!«, sagte Julie mit zittriger Stimme, die verriet, wie nahe ihr dieser Moment ging.

      Während sie die Umarmung lösten, hielt Julie die Augen geschlossen, damit sie die aufkommenden Tränen besser zurückhalten konnte. Sie benötigte einen kurzen Moment, um sich zu sammeln. »Und ihr passt mir auf euch auf, ja?« Daraufhin sah sie beide noch einmal kurz an. Zügig ging sie schließlich in Richtung Eingangstüre, drehte sich mit dem Griff in der Hand noch einmal um und hob ihre andere Hand zum Abschied. Dann war sie auch schon aus der Türe getreten.

      Die Sonne ging bereits unter, als Julie gemeinsam mit ihrer Hündin und ihrer Katze das Haus betrat. Zuvor hatte sie in Begleitung der beiden die Pferde gefüttert und sich von ihnen verabschiedet, als würde sie am nächsten Morgen wiederkommen, um sie wie gewohnt zu versorgen. Sie zog ihre Schuhe aus und gab Tipsy und Joky deren Futter, ehe sie an sich dachte. Die beiden zufrieden bei ihrem genüsslichen Mahl betrachtend, überlegte Julie, was sie selbst noch zum Abendessen hatte. Schließlich hatte sie fast alles in ihrem Kühlschrank zu Neige gehen lassen. Sie belegte sich ein Brot mit den restlichen Käsescheiben, biss hinein und ging mit dem Brot in der Hand ins Bad. Dort drehte sie den Wasserhahn auf, um sich ein Bad einzulassen, und setzte sich dann kauend auf den Rand der Badewanne. Julie ließ in Gedanken den verlebten Tag Revue passieren und stellte fest, dass er an sich perfekt gewesen war. Sie hatte sich von allen so verabschieden können, wie sie es sich vorgestellt hatte und es verlief weniger dramatisch, als es hätte sein können. Nachdem sie den letzten Bissen gegessen hatte, entkleidete sie sich und ließ sich entspannt in das wohlige Nass gleiten. »Wie gut das tut!«, dachte sie. Dabei überlegte sie, dass sie Morgen um diese Zeit noch im Flugzeug sitzen würde und wie froh sie war, dass sie bei ihrem Flug von Stuttgart nach Whitehorse nur einen Zwischenstopp in Vancouver in Kauf nehmen musste.

      Nach einer Weile des Entspannens bemerkte Julie, wie ihr die Augenlieder allmählich schwer wurden und sie erhob sich aus der Wanne. Sie trocknete sich ab und zog sich ein langes T-Shirt über. In der Küche lief ihr Joky entgegen, die ihr zu verstehen gab, dass sie hinaus wollte. Julie streichelte die Katze vom Kopf bis über den Rücken, öffnete die Türe und sah ihr nach, wie sie aus dem Licht, das durch die Eingangstüre drang, in die mondlichthelle Nacht verschwand. »Bis morgen meine kleine große Jägerin!«, gab sie ihr noch mit auf den Weg. Sie schloss die Türe und wandte sich Tipsy zu, die mitten in der Wohnung auf einem Teppich lag und mit angehobenem Kopf verfolgte, was Julie wohl als Nächstes tun würde. »So, Tipsy, da haben wir heute aber einen tollen Tag gehabt!« Währenddessen ging sie auf die Hündin zu. Sie setzte sich neben sie und kraulte ihr den Nacken. Die Hündin legte sich zufrieden und entspannt auf die Seite und genoss sichtlich die Streicheleinheiten. Julie wusste, dass ihr am Morgen einfach keine Zeit mehr bleiben würde, um sich in Ruhe von ihr zu verabschieden. War die kleine Hündin doch scheinbar die Sensibelste und forderte am ehesten die ihr gebührende Aufmerksamkeit. So verharrte Julie eine Zeitlang, bis sie völlig von Müdigkeit übermannt wurde. Sie flüsterte der Hündin noch ins Ohr, dass sie sie sehr lieb habe, stand dann unter gähnen auf und begab sich anschließend schlaftrunken in ihr Schlafzimmer, wo sie sich wie ein Stein aufs Bett fallen ließ. Es dauerte nicht lange und sie befand sich auf dem Weg zu ihren Träumen.

       AUFBRUCH

      Trotz der frühen Morgenstunde verlief die einstündige Fahrt zum Flughafen sehr gesprächig und unterhaltsam zwischen Julie und ihrer Mutter. Die orangegelb strahlende Sonne ging gerade auf, als die beiden auf die Straße zum Abflugterminal einbogen. Sie hatten Glück und konnten direkt vor dem Eingang parken. Nachdem sie ausgestiegen waren, öffnete Julie den Kofferraum, um ihre Taschen herauszunehmen. Sie legte die Jacke um ihre Hüfte, schnallte ihre Bauchtasche um und setzte den Rucksack auf den Rücken. Dann wandte sie sich ihrer Mutter zu, die bereits auf dem Gehsteig wartete. Für einen Moment standen sich die beiden schweigend gegenüber, bevor sie sich fest in die Arme nahmen.

      »Viel Spaß und alles Gute wünsche ich dir, Julie! Melde dich kurz, wenn du angekommen bist!«, bat die Mutter, während sie ihre Umarmung lösten.

      »Danke!


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