Tatort Heuriger. Sabina Naber

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Tatort Heuriger - Sabina  Naber


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auf das bunte Treiben in der Kellergasse. Die Sonnenbrille hatte sie aufbehalten. Der Kren auf dem Schweinsbratenbrot der Frauen biss ihr in den Augen.

      Ihr Mann hatte sich ein Blunzngröstl von der Theke geholt. Er schob ihr den Teller hin. Sie nahm einen Bissen. Er würde ja doch keine Ruhe geben, bevor sie nicht gekostet hatte. Er schmatzte genüsslich. Es widerte sie an. Allein die Art, wie er sich das Essen ins Gesicht stopfte – sie unterdrückte den Impuls, ihn zu stoßen, damit ihm die Gabel in den Gaumen fuhr. Sie malte sich aus, wie er sich verschluckte, panisch nach Luft schnappte, blau anlief und, während sie seine Hand hielt, röchelnd sein Leben aushauchte …

      »Hast du wirklich keinen Hunger, Mausi?«

      »Nein.« Sie wandte sich ab, wollte nicht, dass er Schlüsse aus ihrer Miene zog.

      Er hatte sie zu einem Fluchtachterl überredet, nicht hier, sondern auf dem Rückweg, beim Heurigen mit der alten Weinpresse im Vorgarten, wollte er es trinken. Sie hatte zugestimmt, obwohl sie den Riesling bereits spürte. Sonst trank sie nie so viel. Auch er war schon reichlich beschwingt. Das Auto würde man oben beim Friedhof stehen lassen. »Ich muss noch kurz wohin«, ließ sie ihn wissen. Er schloss sich ihr an. Ganz Gentleman, ging er die schmale, steile Betonstiege, die zu den Toiletten führte, voraus.

      Der Wind hatte ein paar Blätter in den Abgang geweht. Sie ging vorsichtig, denn die Stufen waren feucht. Mit einem Mal verlor sie den Halt, schwankte und drohte zu stürzen. Sie griff nach dem Hemd ihres Mannes, krallte sich daran fest.

      Er fluchte, als er das Geländer zu fassen bekam. »Spinnst du?«, blaffte er sie an.

      Ihre Knie zitterten, sie stammelte eine Entschuldigung. »Ich bin ausgerutscht.«

      Sein erschrockener Ärger wich ritterlicher Besorgnis. »Ist ja noch einmal gutgegangen«, winkte er ab.

      Auch das wäre eine Möglichkeit gewesen, dachte sie, als sie sich die Hände wusch. Es war nicht einmal schwierig gewesen. Aber könnte sie es absichtlich tun? Zusehen, wie er taumelte, die Stufen hinunterkollerte und sich dabei den Hals brach? Sie spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und ließ den Strahl über die Handgelenke ­laufen.

      Das Gedränge in der Kellergasse war schlimmer geworden. Mehrmals fürchtete sie, bald endgültig festzustecken, ausharren zu müssen, bis sich die Ersten entschlossen, endlich nach Hause zu gehen. Klaustrophobische Ängste pressten ihr den Schweiß aus den Poren. Sie wandte unwirsch den Kopf, als sie das Zupfen am Ärmel spürte – hielt es im ersten Moment für die Zudringlichkeit eines Betrunkenen. Doch es war ihr Mann, der zu einem der Keller hindeutete. Er hatte Bekannte entdeckt und zog sie an der Hand zu einem begrünten Vorplatz mit Stehtischen. Sie kannte das Paar, er war ein Geschäftsfreund ihres Mannes. Die Männer organisierten Getränke. »Krixikraxi«, sagte der Geschäftsfreund, »Mahlzeit«, antwortete ihr Mann, als er sein Sturmkrügerl hob. Die Frauen hatten sich für den Gemischten Satz entschieden. Ein Riesling wäre die bessere Wahl gewesen.

      Ein paar Keller weiter spielte eine Kapelle auf. Die Unterhaltung war schon zuvor schleppend gewesen, die Blechbläser brachten sie endgültig zum Erliegen. Sie versuchte, ihrem Mann zu verstehen zu geben, dass es Zeit war, sich zu verabschieden. Doch er war abgelenkt. Am Nebentisch war ein Streit ausgebrochen. Er drohte zu eskalieren. Ihr Mann ging auf einen der Kontrahenten zu, legte ihm eine Hand auf den Arm. Was mischte er sich ein?, dachte sie, bevor sich ihre Augen weiteten. Es war vermutlich ein Weinkrügerl gewesen, das ihren Mann getroffen hatte. Wie ein blitzender Pfeil war es in seine Richtung geflogen, abgeprallt und irgendwo auf dem Wiesenfleck gelandet. Ihr Mann griff sich an den Kopf, bevor er taumelnd zu Boden sackte. Ein schrilles Lachen entfuhr ihrem Mund, schneller, als sie es mit der Hand ersticken konnte. Dieser Unfall war einfach absurd. Dann besann sie sich darauf, was man von einer Ehefrau wohl in einer solchen Situation erwartete, kniete sich zu ihrem Mann hin und barg seinen Oberkörper in ihrem Schoß. Blut tropfte von der Wunde auf ihre helle Strickjacke. Der Geschäftsfreund ­ihres Mannes beugte sich zu ihr. »Die Rettung ist gleich da«, sagte er.

      Sechs Wochen später:

      Sie schob ihre neue Sonnenbrille in das frisch blondierte Haar. Die Spätherbstsonne fiel auf die bunten Gestecke und Blumenschalen, mit denen die Gräber zu Allerheiligen geschmückt worden waren. Auch ihm würde sie beim nächsten Mal gelbe Chrysanthemen oder altrosa Erika bringen. Eine Böe wirbelte Platanenblätter über den Weg. Sie zog den Mantel enger um ihr schwarzes Kostüm.

      Er hatte lange gekämpft. Nach zwei Wochen künstlichen Tiefschlafs war er langsam aus dem Koma geholt worden. Eine Sprachstörung und die Lähmung der rechten Hand blieben als Folgeschäden des Schädel-Hirn-Traumas zurück. Wer das Weinkrügerl, das an allem Schuld war, geworfen hatte, war nicht festzustellen gewesen.

      Sie witzelte, dass er im Sternzeichen bestimmt Kater war und jetzt zwei seiner sieben Leben verbraucht habe. Insgeheim jedoch war sie verzweifelt. Mit seinen Gebrechen würde er im Alltag nun noch mehr auf sie angewiesen sein. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben, sich einer solchen Zukunft zu entziehen.

      Das Schicksal meinte es gut mit ihr. Ein schwerer grippaler Infekt zwang ihn, wenige Tage nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen worden war, erneut ins Bett. Er fieberte hoch. Diesmal packte sie die Gelegenheit beim Schopf. Sie wusste, dass sich so bald keine bessere bieten würde. Sie flößte ihm ein Schlafmittel ein, zog die Daunendecke zur Seite und riss das Fenster auf. Die kalte Zugluft würde den Rest besorgen. Er starb vier Tage später an einer Lungenentzündung.

      Sie ging die Gräberreihen entlang zum schmiedeeisernen Tor. Die gut gemeinten Angebote, sie zu begleiten, hatte sie erfolgreich abgewehrt. Sie wollte noch ein wenig mit ihm allein sein, hatte sie behauptet und am offenen Grab gewartet, bis die zur Tafel geladenen Gäste vorausgegangen waren.

      Die Rolle der trauernden Witwe hatte sie überzeugend gespielt. Sie würde ihn tatsächlich vermissen, ein bisschen zumindest, hatte sie während des Requiems gedacht. Mehr als zwanzig Ehejahre hinterließen Spuren.

      Sie atmete durch, war zufrieden, fast ein wenig stolz auf sich. Sie zog das Handy aus der Tasche. Er hatte ihr eine SMS geschickt. Treffen würde sie den Zimmernachbarn ihres Mannes, den sie im Raucherraum des Krankenhauses kennengelernt hatte, erst in ein paar Tagen. Das verlangte der Anstand. Das Gerede im Freundeskreis würde sich sowieso nicht vermeiden lassen.

      Sie zog ihre Handschuhe von den Fingern und steckte sie in die Handtasche. Dabei fiel ihr Blick auf den Ehering, den sie immer noch trug. Sie beschloss, dieses Relikt aus ihrem früheren Leben abzustreifen. Am besten gleich.

      Sie mühte sich, zog und drehte, doch der Ring wollte einfach nicht von ihrem Finger gleiten. Seife würde helfen, Vaseline oder Öl, zur Not auch das Gleitmittel, das in ihrer Nachttischschublade lag. Sie betrachtete den Ring. Er blitzte in der Sonne, funkelte, als wollte er sich über sie lustig machen. Einen Moment lang meinte sie, das spöttische Lachen ihres Mannes zu hören.

      Angespornt von wachsendem Unmut, unternahm sie einen neuen Anlauf, sich der lästigen Fessel an ihr altes Leben zu entledigen. Sie ballte die Finger ein paar Mal zur Faust – sie neigte zu Ödemen –, griff dann mit Daumen und Zeigerfinger zu, ruckte und drehte, schob und zog.

      Am Tor stieß sie beinahe mit einer alten Dame zusammen, die sich schwer auf ihren Stock stützte. Sie entschuldigte sich und ließ der alten Frau den Vortritt. Gleich neben dem Komposthaufen war ein Mercedes mit einer schwarzen Nummerntafel geparkt. Die alte Dame schloss die Autotür auf und kletterte umständlich hinter das Lenkrad.

      Dass die noch einen Führerschein hat, wunderte sie sich, bevor sie sich abwandte und erneut versuchte, ihren Finger vom Ehering zu befreien. Als er endlich über das Gelenk flutschte, war sie schon nicht mehr darauf gefasst gewesen. Mit einem hellen Pling fiel er auf den Asphalt, kollerte über den Wegrand und blieb schließlich im Schotter vor der mächtigen Platane liegen. Sie fluchte leise.

      Der Motor des Mercedes brummte, als sie sich bückte, um den Ring aufzuheben. Er entglitt ihr neuerlich. Wieder glaubte sie, ihren Mann hämisch lachen zu hören. Sie spürte Unmut in sich aufsteigen. In ihrer Zukunft war kein Platz mehr für ihn.

      Sie stützte sich mit der Hand


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