Totensteige. Christine Lehmann

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Totensteige - Christine Lehmann


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sonst wird das nichts. Aber Facebook hatte noch Nachrichten für mich. Meine FreundInnen hatten die Kommentarliste unter meiner Rätselfrage nach der Leiche im geschlossenen Raum verlängert.

      Steffi Pelzer-Bartosch: Wie ist das mit dem Paranuss-Psychologen, der da in dem hermetisch verschlossenen Zimmer vor sich hin gammelt? Muss ich bei Conan Doyle nachlesen? (Dir, Dora Asemwald, Axel Starke und 15 weiteren gefällt das.)

      Lisa Nerz: Ihr nehmt mich nicht ernst! (Dora Asemwald, Steffi Pelzer-Bartosch, Maria Lehmann, Berufsdemonstrant Schroeder und 3 weiteren gefällt das.)

      Dora Asemwald: Und wie! Die Paranuss war hier. (Peter Schlegel gefällt das.)

      Dem Kommentar hatte Dora einen Link angehängt zu einem Artikel der Allgäuer Zeitung vom 7. Januar mit dem Titel: »Geisterjäger in Neuschwanstein. Auch Prof. Rosenfeld kann das Phänomen des schwingenden Leuchters nicht erklären.« Das Foto zeigte Gabriel Rosenfeld in roter Trekkingjacke vor grauen Türmen. Dem Artikel zufolge sahen immer wieder mal Touristen den Kronleuchter im Thronsaal von Neuschwanstein schwingen. Ingenieure und Mechaniker waren dem Phänomen bisher nicht auf die Spur gekommen, so hatte man den Geisterexperten Rosenfeld geholt. Oder er hatte sich von sich aus angeboten. Da legte sich der Reporter nicht so genau fest. Das fiel unter die journalistische Unschärferelation, die da lautet: Wenn etwas gut klingt, dann suche nicht nach der Wahrheit.

      Natürlich hatte der Kronleuchter sich nicht bewegt, als Rosenfeld dort war. Er habe es auch nicht erwartet, hatte er hinterher gesagt, Spuk sei elusiv, er sei scheu und schwer fassbar. Man dürfe ihn sich nicht als Geisterhand denken, sondern man müsse ihn sich als den Ausschlag eines komplexen, in sich geschlossenen Systems ins Unerwartete vorstellen. Dies hatte der Journalist nicht weiter zu ergründen versucht. Der Artikel verriet auch nicht, wann genau Rosenfeld seine Feldstudien im Schloss gemacht hatte. Da er nach Dreikönig erschienen war, konnte es gut sein, dass er schon lange für die Zeit nach den Feiertagen herumgelegen hatte.

      Mir klopfte das Herz. So ganz verstand ich nicht, warum. Waren es die offenen Augen in Rosenfelds freundlichem Wissenschaftlergesicht, die sein Mörder mit Paketband zugeklebt hatte? Ein heller und verhaltener Blick. Oder war es, weil Neuschwanstein schon wieder aufstieg aus der Kommunikationssoße? Dora Asemwald war ein Phantom der Facebook-Welt und definitiv nicht dabei gewesen, als Neuschwanstein beim Tischrücken auf der nächtlichen Terrasse von Monrepos zu erscheinen im Begriff gewesen war. Als ob ich in eine bestimmte Richtung geschoben werden sollte. So kam es mir vor.

      Ich beschloss, Gespenst zu werden und den Schwingungen zu folgen.

      Zuerst rief ich in der Redaktion der Allgäuer Zeitung an. Der Autor klang jung, schimpfte aber schon wie ein alter. Er habe nur zufällig von dem Termin erfahren, von seiner Freundin, die im Schloss Führungen mache. Irgendwann kurz nach Neujahr. Man habe die Presse offenbar nicht dabeihaben wollen. Eine Pressekonferenz sei nicht geplant gewesen. Er habe auch nicht mit hineindürfen. Eine komische Aktion. Ihm sei auch bis dato nichts von einem schwingenden Kronleuchter bekannt gewesen. Ach, der Professor sei tot, ermordet? Ja, da schau her.

      Man überschätzt leicht den Wissensdurst von Journalisten.

      »Rosenfeld war doch sicher in Begleitung?«, stocherte ich.

      »Ja, soweit ich mich erinnere, waren es vier oder fünf Leute. Techniker, hieß es.« Nein, Fotos von der Gruppe habe er nicht gemacht, soweit er sich erinnere. Er habe ja geglaubt, er könne es dann im Schloss tun. Er könne aber noch mal nachschauen.

      Die bessere Quelle für Rosenfelds Reisen war wohl Dr. Barzani in Holzgerlingen. Desirée leierte den Satz »Institut für Grenzwissenschaften und Parapsychologie, guten Tag, Sie sprechen mit Frau Motzer, was kann ich für Sie tuuuuun?« herunter.

      »Mein Sonnenscheinchen, ich komme«, sagte ich und legte auf.

      Charlotte Brontë flog über die Autobahn. Im Rückspiegel schoben sich die dunklen Autos mit Überholprestige von der linken auf die rechte Spur, aber ein bestimmtes, das mir folgte, konnte ich nicht ausmachen. Auf der Autobahn Richtung Böblingen und weiter Richtung Singen herrschte das enge Geschiebe eines Vormittags. An der Ausfahrt Holzgerlingen löste es sich auf. Wahrscheinlich, weil ich von der Autobahn runterfuhr. Als Gespenst löst man seltsame Phänomene aus und wundert sich nicht darüber.

      13

      »Und hier«, sagte Dr. Derya Barzani, »wurden die Experimente durchgeführt.« Sie hatte mir den Saal im Erdgeschoss der Burg Kalteneck aufgeschlossen. Er war bestuhlt. Erst vergangene Woche hatte hier ein Vortrag stattgefunden. An der Kopfwand stand ein Podium mit Lämpchen. Cipión schnüffelte desinteressiert. Keine Geister in der Luft.

      »Was haben sich denn da für Leute gemeldet?«

      »Wünschelrutengänger, die hatten wir viele.«

      »Mit den gegabelten Ruten, die plötzlich erigieren, wenn Wasser im Boden ist?«

      Ein Lächeln rutschte ihr in den rechten Mundwinkel. »Meistens senken sie sich.«

      »Und wenn der Wünschelrutengänger eine Wasserader unterm Schlafzimmer findet, muss man sein Bett umstellen, sonst bekommt man Krebs.«

      »Was meinen Sie wohl, wie oft unter so einem Haus gebohrt worden ist, um die Existenz der Wasserader zu beweisen?«

      »Ach so. Also Kokolores.«

      »Die Geologen wären jedenfalls glücklich, wenn das Wünschelrutengehen zuverlässig funktionierte. Es wäre die billigste Methode, Bodenschätze zu finden. Aber leider muss man auch hier jeder Erfolgsmeldung die Zahl der Fehlversuche gegenüberstellen, über die ihr von der Presse gewöhnlich eben nicht berichtet.«

      »Und wenn es keine Wünschelrutengänger waren, wer ist dann sonst noch so gekommen?«

      »Ich weiß von einem Handwerker, der meinte, er könne fühlen, ob eine Leitung Strom führt, wenn er die Hand darüber hält. Wahrscheinlich hatte er als Handwerker so viele Treffer, weil die meisten Leitungen Strom führen. Hier lag seine Trefferquote im Zufallsbereich. Ein anderer wollte lebendiges Wasser herausschmecken können.«

      »Igitt!«

      »Sie legen es auch nur auf Lacher an, was, Frau Nerz?«

      Oha, ein Anblaff! Er traf mich in argloser Stimmung. Das hasse ich. Die Frau Doktor hatte in ihrem Blick so etwas spöttisch Lächelndes, etwas Herabschauendes, obgleich sie einen Kopf kleiner war als ich, vor allem nur halb so breit. Tja, körperlich schwache Menschen fühlen sich nur stark, wenn sie andern die Stimmung einschwärzen.

      »Soso, Sie mögen’s auch nicht gern nett«, bemerkte ich.

      Das gefiel jetzt ihr nicht. Sie lächelte beiseite und brach die Konversation ab. »Aber wie ich Ihnen vorhin schon sagte: Ich war mit den Kalteneck-Experimenten nicht befasst. Sie wurden von einem Doktoranden durchgeführt.«

      »Wie komme ich an den ran?«, fragte ich.

      »Er ist Doktorand in Alicante bei der ….« Das Spanische fiel ihr schwer. »Asociación Española de Investigaciones Parapsicológicas.«

      »Warum hat er die Versuche hier durchgeführt?«

      »Weil es hier im Sommer nicht so heiß ist. Was interessiert Sie das eigentlich? Es ist nichts dabei rausgekommen, und für Wissenschaft interessiert sich die Presse doch überhaupt nicht.«

      »Ich schon. Ich bin nämlich auch als Journalistin eine Niete. Hatte McPierson damit zu tun?«

      »Wie kommen Sie darauf?«

      »Das ist der Schotte, der die Nina Kulagina gefilmt hat.«

      Ein Hauch von Anerkennung zuckte um den schönen Mund. Wahr ist: Ich fühlte mich vor der zierlichen Dame im blauen Blazer, roten Rock und Nylonstrümpfen auf Pumps wie der Glöckner von Notre-Dame. Sie machte mich zu einer Gespenstin in einer Parallelwelt.

      Und sie flüchtete, wie ich das von Richard kannte, ins Belehren. »Finley McPierson leitet die KPU, die Koestler Parapsychology Unit an der Universität Edinburgh. Eins von vier Instituten


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