Hilfskreuzer „Chamäleon“ auf Kaperfahrt in ferne Meere. Heinz-Dietmar Lütje

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Hilfskreuzer „Chamäleon“ auf Kaperfahrt in ferne Meere - Heinz-Dietmar Lütje


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      „Passen Sie auf, Spaß und Sie selbstverständlich auch, Schütze. Nach Lloyds Register handelt es sich um die immerhin 20.800 Bruttoregistertonnen große „ Yvonne La Porte.“ Dieser Riesenpott ist uns möglicherweise an Geschwindigkeit überlegen oder zumindest gleichschnell. Sie bleiben aus der Sichtweite des Schiffes, bis wir mit äußerster Kraft herangestaffelt sind. Wenn die Gegnerfahrt wie gemessen bei 12 Seemeilen liegt, sollten wir in drei Stunden auf Schussentfernung heran sein, um nötigenfalls auch Wirkungsfeuer schießen zu können. Wenn Sie uns in entsprechender Entfernung ausmachen können, treten Sie in Aktion – aber erst dann, verstanden! Nachdem Sie die Antennen hoffentlich so gut wie bei der Generalprobe geslipt haben, sorgen Sie dafür, dass der Abwurfbeutel auf Deck trifft. Sollte spätestens 5 Minuten danach die Fahrt nicht wesentlich verlangsamt werden, werfen Sie die erste Sprengbombe unmittelbar vor den Bug des Gegners. Nützt dieses noch nichts, platzieren Sie die zweite mitten vor die Brücke, aber dann im Anflug von vorn.“

      „Jawohl, Herr Kaptän“, meldeten sich Spaß und Schütze ab. Das deutsche Kriegsschiff hatte zwischenzeitlich gestoppt. Das neu vollgetankte, mit Bomben versehene und auch hinsichtlich der eingebauten 7,9 mm Maschinengewehre aufmunitionierte, Bordflugzeug startete und die Maschinen des Hilfskreuzers gingen auf volle Fahrt.

      Weiter nach Backbord ausholend staffelte „Chamäleon“ an den Franzosen heran.

      Auf dem erst 1936 in Dienst gestellten kombinierten Fracht- und Passagierschiff „ Yvonne La Porte“ wurde im Speisesaal für die wachfreien Offiziere, einschließlich Kapitän und die an Bord befindlichen immerhin 56 Passagiere das Essen aufgetragen. Der Kapitän, ein kleiner aber dafür umso agiler wirkender, schwarzhaariger Südfranzose mit Menjoubärtchen, Captaine Jacques Chirace, hatte sich gerade erhoben, um mit einem Glas Rotwein in der Hand allen, vornehmlich aber den bevorzugt an den Kapitänstisch gebetenen mitreisenden jüngeren Damen, einen guten Appetit zu wünschen, als der weiß gekleidete Obersteward auf ihn zu eilte. Dieser beugte sich zum Kapitän hinab und flüsterte ihm etwas ins Ohr, worauf der kleine Franzose mit einem bedauernden Lächeln bat ihn zu entschuldigen, aber er werde auf der Brücke benötigt. Wie es kleine Männer so an sich haben, stolzierte er, im Versuch größer zu wirken, mit wichtigem Gesichtsausdruck aus dem Speisesaal, um über die Innentreppe die 3 Decks höher gelegene Schiffsbrücke zu erreichen. Suzanne Maigret, eine lebhafte, schlanke, dunkelhaarige Südfranzösin stieß ihre Freundin Judith leicht mit dem Ellenbogen an: „Hörst Du das auch? Hört sich fast wie ein Flugzeug an.“

      „Dita“, wie Judith Silbermann von Eltern, Geschwistern und auch ihren in Frankreich neu gewonnenen Freunden meist genannt wurde, hatte noch amüsiert dem kleinen Kapitän hinterher geblickt, weil sie es immer wieder schreiend komisch fand, wie dieser sich alle Mühe gab, einige Zentimeter größer zu wirken.

      „Was meinst Du … oh ja, jetzt höre ich es auch. Wo soll denn hier mitten auf dem Ozean ein Flugzeug herkommen?“ Mittlerweile waren auch die anderen Gäste aufmerksam geworden, hatten sie doch alle das Motorengeräusch des Flugzeugs vernommen, das nun deutlich die Eigengeräusche des in Fahrt befindlichen Schiffes übertönte.

      „Mademoiselle, sehen Sie dort“, deutete ein älterer Mitreisender auf die großen Bullaugen des Speisesaals an der Backbordseite, „da ist auch ein Schiff. Da, sehen Sie!“

      Jetzt hielt es die Leute nicht mehr an ihren Tischen, hatten sie doch seit Tagen nur Wasser und sonst nichts mehr in Anblick bekommen – und jetzt erst ein Flugzeug und nun gleichzeitig auch noch ein anderes Schiff. Die Stimmen schwirrten durcheinander. Auch Dita und ihre Freundin Suzanne hatten sich den Platz an einer der großen runden Scheiben gesichert und blickten interessiert auf das, fast auf gleicher Höhe aufkommende, fremde Schiff.

      Während die Passagiere der „ Yvonne La Porte“ noch, eigentlich ganz erfreut, ob der Abwechslung im Tagesablauf durch das gleichzeitig aufgetauchte Flugzeug und des Schiffes, rätselten, was dieses zu bedeuten hatte – an ein deutsches Schiff und ein deutsches Flugzeug glaubte trotz des Kriegsausbruchs hier selbstverständlich niemand – sah Kapitän Chirace schon klarer. Nachdem das deutsche Bordflugzeug die einzige Funkantenne locker wie bei der Probe aus ihrer Befestigung gerissen hatte, hatte der Flugzeugführer bereits die Arado eine enge Kurve fliegen lassen und auch den Leinenbeutel mit der Botschaft mitten auf dem Vordeck platziert, der jetzt gerade von einem Besatzungsmitglied dem kleinen Kapitän gereicht wurde. Er riss die Verschnürung des Beutels auf und hielt den, um ein als Beschwerung dienendes Lotblei, gewickelten Papierbogen in der Hand.

      „Merde, die Boches“, warf der Kapitän das Lotblei wütend auf den Boden seiner sauberen Brücke und stampfte mit dem Fuß auf. Auch das sich ihm nähernde deutlich als modernes Frachtschiff erkennbare Schiff war ihm selbstverständlich nicht nur selbst aufgefallen, sondern gleich bei Betreten der Brücke gemeldet worden. Hitzig diskutierte der Kapitän mit seinen Offizieren, was zu tun sei. Noch bevor diese zu einer Entscheidung gekommen waren, sahen sie bereits direkt von vorn in etwa 100 Metern Höhe das Flugzeug im Anflug. Ein dunkler Gegenstand löste sich von dem Schwimmerflugzeug, das die französischen Seeleute selbstverständlich auch sofort als Bordflugzeug eines mutmaßlichen deutschen Kriegsschiffes erkannt hatten. Gut abgezirkelt, etwa eine Schiffslänge vor der „Yvonne La Porte“ hob sich eine mehrere Meter hohe wasserdurchsetzte Sprengwolke aus der ansonsten relativ unbewegten See. Zwischenzeitlich hatte der Kapitän eine Entscheidung getroffen.

      „Geben Sie Notruf“, wies er seinen ersten Offizier an. Auf der Brücke des Franzosen hatte man bisher noch gar nicht gemerkt, dass die Funkantenne zwischenzeitlich nicht mehr an ihrem Platz, sondern über Bord gewirbelt und im Meer versunken war. Eine enge Kurve fliegend wurde erneut das Bordflugzeug, dicht über die Brücke des Schiffes fliegend, sichtbar, stieg und drehte einige hundert Meter vor dem Schiff, um erneut anzufliegen. Wieder – diesmal etwas näher am Schiff – löste sich erneut ein dunkler Fleck von der kleinen Maschine und flog genau auf die Brücke zu. Kapitän, Offiziere und Brückenbesatzung ahnten was auf sie zukam und nahmen volle Deckung. Wuumm. Mit schmetterndem Schlag schlug der kleine

      50 kg Sprengkörper unmittelbar vor der Brücke auf dem Vordeck auf.

      Sich gerade wieder erhebend bemerkte Kapitän Chirace, dass das fremde Schiff zwischenzeitlich sehr nah gekommen war und Flaggensignale gesetzt hatte. Zu seinem Entsetzen sah er jetzt auch auf diesem die deutsche Kriegsflagge auswehen.

      „Monsieur le Capitaine, er fordert uns auf zu stoppen“, meldete sich der neben dem Rudergänger stehende Wachmatrose zu Wort. In diesem Moment blitzte es auf dem bis auf eine gute Meile herangekommenen deutschen Schiff auf und fast gleichzeitig stieg unmittelbar vor dem Bug des Franzosen eine jetzt deutlich höhere Wasserfontäne, aufgeworfen von der Granate des vorderen 15-Zentimeter Geschützes des deutschen Schiffs, auf und das Spritzwasser benetzte deutlich erkennbar das Vorschiff. Dieses reichte dem französischen Kapitän. Die Hecksee der „Yvonne La Porte“ erstarb mit dem Stoppen der Maschine.

      „Madames et Messieurs“, hörten daraufhin Dita, Suzanne und die anderen Passagiere und genauso die Besatzungsmitglieder, die kaum mehr wiederzuerkennende Stimme ihres Kapitäns, „wir werden von den Deutschen gekapert. Halten Sie bitte alle Ihre Papiere bereit, denken Sie an Medikamente und legen Sie vorsorglich bequeme und warme Kleidung bereit und begeben Sie sich vorsorglich zu Ihren Rettungsstationen.“

      Im Speisesaal des Franzosen war die zunächst überwiegende Freude der Passagiere, ob des Zusammentreffens mit Flugzeug und Schiff in der Weite des Ozeans, dem blanken Entsetzen gewichen, insbesondere nach dem laut vernehmlichen Krachen der kleinen Sprengbombe auf dem Vordeck des Schiffes und dem anschließenden Schuss des vorderen 15-Zentimeter Geschützes des Hilfskreuzers. Alles schrie wild gestikulierend durcheinander. Bleich geworden klammerte sich Dita an ihre Freundin Suzanne: „Mein Gott, und dafür hat Vater mich jetzt auf die weite Reise zu Tante Louisa geschickt, damit die Nazis mich jetzt hier erwischen.“ Dita merkte gar nicht, wie sie in ihrer Verzweiflung ihre Nägel in Suzannes Oberarme krallte.

      „Au, du tust mir weh!“

      „Oh, pardon, ich hab’ Angst. Die stecken mich ins Lager … oder sie schmeißen mich gleich hier über Bord … Du weißt doch, ich bin Jüdin“, brachte die nunmehr


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