Das große Geschäft. Johann-Günther König

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Das große Geschäft - Johann-Günther König


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Diarrhöe. Vom Volksmund wird dieses Syndrom »falscher Freund« genannt.

      Wie sehr verpönt, störend, erwünscht, erheiternd und bejubelt (ich sage nur: abwarten) der die Menschheit von Beginn an treu begleitende Flatus auch immer war und ist – seit dem Aufkommen der Schrift hat er sich einen festen Platz in Texten aller Art erobert. Schon in den Überlieferungen des Altertums sind zahlreiche Anmerkungen zu den Leibwinden und ihren Auswirkungen zu finden – etwa von Aristophanes, Horaz, Martial und Sokrates. Von dem griechischen Philosophen Metrokles (400 – 300 v. u. Z.) wird erzählt, er habe sich in der Öffentlichkeit nicht mehr blicken lassen, nachdem ihm ein wohl gut hörbarer Furz entfahren war. Der römische Lexikograf und Grammatiker (des 2. Jahrhunderts) Sextus Pompeius Festus soll befunden haben, abgelebt sei der Mensch, der wegen des hohen Alters sich nicht bewegen, noch einen Furz lassen kann; der christliche Theologe Origenes (185–ca. 254) spottete über die Windverehrung der Alten und so weiter.

      Fest steht, dass schon frühzeitig viele von Winden überraschte Individuen auf die Idee verfielen, aus der Not einfach eine Tugend zu machen. Darmwinde reinigen den Körper, hieß es prompt, sie stärken die Gesundheit und sorgen für Frohsinn. Im frühen Mittelalter hatte sich der Flatus auch in deutschen Landen insoweit emanzipiert, dass er Eingang in die Literatur finden konnte. Die Kanonisse und große Dichterin Hrotsvitha bzw. Roswitha (ca. 935 – 973), die im Kloster Gandersheim lebte, neigte zwar einem strengen Keuschheitsideal zu. Was sie während ihres Lebens in der stillen Studierstube in lateinischer Sprache etwa über Liebeskonflikte notierte, beinhaltete aber durchaus so einiges Verfängliches. In ihrer Legende Passio St. Gongolfi martyris kommt zudem ein nicht gerade atemfrischer Hauch zur Sprache. Eine Ehebrecherin, die ihren Gemahl (Gangolf) hatte ermorden lassen, bezweifelt wortreich Berichte, an seinem Grabe gäbe es wunderliche Vorgänge. Und die Erzählerin verdeutlicht, dass sie das nicht nur mit dem Mund tat:

      Kaum war entfahren ihr das Wort,

      So folgt ein Zeichen nach,

      Wie es der Art entsprach

      Des angeführten Körperteils:

      Sie ließ in schändlichem Getön

      Vernehmen einen Laut,

      Den anzugeben graut

      Dem schamhaft stummen Munde mein,

      Und brachte fernerhin, so oft

      Sie nur ein Wort verlor,

      Auch dabei wieder vor

      Unfehlbar diesen garst’gen Ton,

      Auf daß sie, die nicht nach Gebühr

      Die Scham bewahren wollte,

      Zum Anlaß werden sollte

      Unmäß’gen Lachens überall,

      Indem sie ihre Lebenszeit

      Bis hin zu ihrem Tod

      An sich zu merken bot

      Die Strafe ihres Lästermauls.41

      Soweit die Moral der »schändlich« tönenden Geschicht’. Hrotsvitha von Gandersheim hatte der Sage von Gangolf und seiner bösen Frau wahrlich eine besondere Note hinzugefügt. Wobei der Hinweis auf den »schamhaft stummen Munde« insoweit für sich spricht, als er verdeutlicht, dass bereits im 10. Jahrhundert Peinlichkeitsschwellen auslagen. Die mittelhochdeutsche Literatur glänzt besonders durch das episch-didaktische Werk Der Ring von Heinrich Wittenwiler. Von ihm selbst ist wenig bekannt, höchstwahrscheinlich wirkte er Ende des 14. Jahrhunderts als adeliger Advokat und Hofmeister am Hof des Bischofs von Konstanz. Er beschreibt sehr sprachkräftig eine Bauernhochzeit, bei der gegen die gängige höfische Tischsitte nach allen Regeln der Kunst verstoßen wird. Fastnachtspiele und Schwänke, in denen Fressgier und Trunksucht der Bauern verspottet werden, hatten damals Hochkonjunktur. Und zwar obwohl bzw. weil die Ernährungssituation der meisten Bauern mehr als bescheiden war – und bei den häufig schlechten Ernten eher das Darben denn die Völlerei den Alltag bestimmte. Ein Auszug aus der »ungeheuerlichen Schlacht des Hochzeitsmahls« in der Übertragung von Rolf Bräuner lässt nun bestimmt keinen Wind verwehen:

      Da sagte sich jeder: Eh ich sterbe

      vor Hunger, so will ich vergessen

      den Dreck, den Kot und die Reste fressen,

      und wär es noch übler beschissen,

      es bliebe nicht ein einziger Bissen! […]

      Zur gleichen Zeit war Frau Hürel verwirrt,

      ein Flöhlein hatte sich verirrt,

      ausgerechnet zwischen den Beinen

      und biß sie so, daß sie anfing zu greinen.

      Da wollte sie sich niederbücken,

      um das Flöhlein totzudrücken,

      doch seht, die Haut war ihr zu kurz,

      und ihr entfuhr ein gewaltiger Furz!

      Um nicht die Schande zu offenbaren,

      begann sie laut mit den Füßen scharren,

      um die andern glauben zu machen,

      daß ihre Füße so seltsam krachen.

      Doch Henritze war viel zu schlau

      und sprach: ›Das ist unpassend, gute Frau,

      ihr kennt doch wohl das schöne Gedicht:

      Kratzen und Furzen gleichen sich nicht.‹

      Hüreln schmerzte der Spott im Ohr,

      sie ließ einen großen Furz wie nie zuvor,

      und dann noch drei, so warn’s schon vier,

      den Schreiber brüllte sie an wie ein Stier …«42

      Ich springe nun direkt ins Zeitalter der Reformation. Und schon scheint es auf, das berühmte Zitat: »Was rülpset und furzet ihr nicht, hat es euch nicht geschmacket?« Der deftige Tischspruch wird gemeinhin Martin Luther (1483 – 1546) untergeschoben, das Dumme ist nur, dass es dafür keinen Nachweis gibt. Aus seinem Munde kam er mit ziemlicher Gewissheit nicht. Wäre der Reformator und sprachmächtige Bibelübersetzer noch mit von der Partie, würde er wohl eher zu verstehen geben: »Wenn ich hier einen Furz lasse, dann riecht man das in Rom.«43 Nicht zu vergessen eine zielsichere Stelle aus einer seiner Auslegungen: »Aber jetzt haben wir Erkenntnis. Käm mich der Geist an, daß ich zum Grimmental laufen wollte, wollt ich einen Furz tun. Das ist Klugheit! Ich bin ein Mann, in Gottes Namen getauft. Ich will ein Mann bleiben.«44

      Wenn nicht alles täuscht, lebt der in vielen Schriften vermittelte Eindruck, zu Zeiten Martin Luthers wäre es nachgerade ein Gebot der Höflichkeit gewesen, bei Tisch zu rülpsen und zu furzen, um damit zu hörbar zu bekunden, wie gut das Mahl gemundet hätte, munter fort. Spätestens seit dem Vorliegen von Hans Peter Duerrs materialreicher Studie Der Mythos vom Zivilisationsprozeß lässt sich diese Auffassung freilich nicht länger aufrechterhalten. In seiner (umstrittenen) Auseinandersetzung mit der Zivilisationstheorie von Norbert Elias (Über den Prozeß der Zivilisation) betont der Ethnologe: »Daß man zur Zeit der Reformation in Mitteleuropa ungehemmt furzen konnte, ist ganz und gar unwahrscheinlich.«45

      Die Wissenschaft vom Darmwind kann rein historisch davon ausgehen, dass der Flatus schon im Mittelalter verpönt und schambehaftet war. So wurde laut der Frankfurter Zunftordnung von 1377 bestraft, wer »fruczte oder anders unhubisch (= unhöflich) were«, und in einer von Duerr zitierten spätmittelalterlichen Tischzucht heißt es: »Ist eyn gauch inn all meinn sinnen, / ​Im möchte wol eyn furtz entrinnen, / ​Es sei unden oder oben, / ​Dann es ist schamper und unreyn.«46 Selbst die Kinder hatten um 1518 ihre Winde unter Kontrolle zu halten, wie Aussagen des humanistischen Gelehrten Johannes Murmellius (1480 – 1517) nahelegen. Der nicht minder humanistische Joachim Camerarius der Ältere (1500 – 1574) stipulierte denn auch, »es sei völlig überflüssig, das Unterlassen des ›crepitus‹ pädagogisch anzumahnen, da selbst ein primitives Bauernweib eine solche Unflätigkeit bei ihrem Sohn nicht dulden würde«. Hans Peter Duerr ergänzt:


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