Das große Geschäft. Johann-Günther König

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Das große Geschäft - Johann-Günther König


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als das einer Klospülung entpuppt. Als der berühmte Regisseur und Filmemacher 1974 das aus einer lose zusammengehaltenen Folge surrealer Szenen bestehende Werk Das Gespenst der Freiheit in die Kinos entließ, wurde gleichsam Hand an Röcke, Hosenbünde und allemal das Klo-Tabu gelegt. Zwar bildet das unnachahmliche Toiletten-Dinner keine eigenständige Episode. Aber als Beispiel in einer Rede eines etwas verwirrten Professors, der an der Polizeiakademie ein Seminar über die Relativität des Gesetzes abhält, entfaltet die Szene plötzlich Wirkung. Nachdem der Professor auf Melanesien und die Forscherin Margarete Mead zu sprechen gekommen ist, fährt er fort: »Ja, die Polygamie, bei uns verboten, dort ganz normal. Oder stellen Sie sich vor, meine Frau und ich sind zum Essen eingeladen …« Prompt werden zum Dinner geladene gutbürgerliche Gäste in einem Wohnzimmer an einen Esstisch platziert, dessen Sitzgelegenheiten aus WC-Becken bestehen. Die Gäste klappen folgsam die Klodeckel hoch, ziehen Kleider hoch und Hosen runter und nehmen Platz. Die Hausangestellte reicht Toilettenpapier auf Silbertabletts. Die Spülung rauscht. Als ein Kind vom Essen spricht, folgt umgehend die Ermahnung: »Nicht bei Tisch!« Dann erhebt sich einer der Herren, und bedeutet, er müsse mal austreten. Er sucht eine kleine Kammer auf, in der Baguette und Aufschnitt angerichtet sind.

      Wofür Buñuel diese Szene dient, wird spätestens deutlich, als die sich manierlich erleichternde Gesellschaft die Übervölkerung und die vielen Tonnen Exkremente beklagt, die Menschen produzieren. (Mich erinnert diese Szene an die römischen Prachtlatrinen, auf denen die Angehörigen der Oberschicht der Überlieferung zufolge gemeinschaftlich defäkierten und dabei in jeder Hinsicht Geschäfte machten.) Nur zwei Jahre nach diesem Highlight der Filmgeschichte legte Wim Wenders quasi eine Schippe nach. In seinem Film Im Lauf der Zeit (1976) kackt der Schauspieler Rüdiger Vogler vor laufender Kamera reell in den weißen Sand.

      Toilettenräume, Pissoirs und WC-Becken dienen seit den 1960er Jahren als fast schon unverzichtbare narrative Stilmittel. Der außerhalb des Kinos als intimer Rückzugsort verstandene stille Ort wurde und wird seitdem nicht nur von cineastischen Großmeistern wie Hitchcock, Buñuel, Pier Paolo Pasolini (z. B. Die 120 Tage von Sodom; 1975), Bernardo Bertolucci (z. B. Der letzte Tango in Paris; 1972) oder Stanley Kubrick (z. B. Lolita; 1962, Uhrwerk Orange; 1971, Eyes Wide Shut; 1999) in jeder Hinsicht enttabuisiert.

      Nicht zu vergessen das skandalträchtige Werk Das große Fressen des Regisseurs Marco Ferreri. Als sein Film 1973 in die Kinos kam, liefen die derben Sex- und Fress-Szenen, Letztere begleitet von unüberhörbaren Verdauungsgeräuschen und Blähungen der Protagonisten, den damals noch üblichen Seh- und Hörgewohnheiten ziemlich zuwider. In Irland verfügten die Behörden umgehend ein Aufführungsverbot. Bemerkenswert ist vor allem die sich aus einer Fress-Szene entwickelnde Katastrophe auf der Toilette. Philipp Alexander Tschirbs vermerkt: »Nachdem sich die zügellos Speisenden abwechselnd auf dem Klo erleichtert haben, wird die Kongruenz von Nahrungsaufnahme und Ausscheidung visuell verdeutlicht: Das Klosett läuft über und die ›Scheiße‹ ergießt sich in einer Schwemme über das gesamte Badezimmer und dringt unaufhaltsam in die Wohnräume vor.«17 O-Ton des Protagonisten Ugo, als er das Badezimmer betritt und ins Becken schaut: »Hier liegt noch Scheiße drin. Nicht mal spülen können diese Schweine!«

      Sind menschliche Exkremente und die konkreten Orte, an denen diese Produkte der Verdauung ausgeschieden werden, ein Tabuthema? In der Vergangenheit schon, heute bestenfalls bedingt. Sprachliche wie auch bildliche Unantastbarkeiten gibt es so gut wie keine mehr – und einen Gesichtsverlust muss niemand befürchten, der etwa beiläufig erzählt, er habe den 2009 erschienenen Roman Feuchtgebiete von Charlotte Roche mit Interesse gelesen. Immerhin laut Der Spiegel ein »Mega-Seller« mit circa drei Millionen verkauften Exemplaren allein in Deutschland. Hier ein kleiner, nicht unbedingt feiner Auszug:

      »Hygiene wird bei mir kleingeschrieben. Mir ist irgendwann klar geworden, dass Mädchen und Jungs unterschiedlich beigebracht kriegen, ihren Intimbereich sauber zu halten. Meine Mutter hat auf meine Muschihygiene immer großen Wert gelegt, auf die Penishygiene meines Bruders aber gar nicht. Der darf sogar pinkeln ohne abwischen und den Rest in die Unterhose laufen lassen. Aus Muschiwaschen wird bei uns zu Hause eine riesenernste Wissenschaft gemacht. Es ist angeblich sehr schwierig, eine Muschi wirklich sauberzuhalten. Das ist natürlich totaler Unfug. Bisschen Wasser, bisschen Seife, schrubbel-schrubbel. Fertig. […] Eine andere Muschiregel meiner Mutter war, dass Muschis viel leichter krank werden als Penisse. Also viel anfälliger sind für Pilze und Schimmel und so. Weswegen sich Mädchen auf fremden oder öffentlichen Toiletten niemals hinsetzen sollten. Mir wurde beigebracht, in einer stehenden Hockhaltung freischwebend zu pinkeln, ohne das ganze Igittigitt-Pipi-Mobiliar überhaupt zu berühren. Ich habe schon bei vielen Dingen, die mir beigebracht wurden, festgestellt, dass die gar nicht stimmen. Also habe ich mich zu einem lebenden Muschihygieneselbstexperiment gemacht.

      Mir macht es Riesenspaß, mich nicht nur immer und überall bräsig voll auf die dreckige Klobrille zu setzen. Ich wische sie auch vor dem Hinsetzen mit meiner Muschi in einer kunstvoll geschwungenen Hüftbewegung einmal komplett im Kreis sauber. […] Das mache ich jetzt schon seit vier Jahren auf jeder Toilette. […] Und ich habe noch nie einen einzigen Pilz gehabt. Das kann mein Frauenarzt Dr. Brökert bestätigen.«18

      Zurück ins WWW. Unter Verwendung der Begriffe Toilette und Knigge verwandelt es sich unversehens in eine irreale Verbesserungsanstalt. Vorausgesetzt wird in vielen Beiträgen, wie auch immer formuliert, folgendes Szenario: »Aufreger Nummer eins in vielen Haushalten ist die Toilettenbenutzung und -hygiene. Besonders in WGs, doch auch in Familien oder bei jungen Paaren ist das Ignorieren einfachster Hygieneregeln ein ständiges Streitthema. Der offene Toilettendeckel, Spritzer rund um die Kloschüssel oder das penetrante Ignorieren der Toilettenbürste – diese Aufreger kennt wohl jeder, der sich mit anderen eine Toilette teilt. Damit das heimische WC nicht zu einer verwahrlosten Bahnhofstoilette wird, gelten auf dem stillen Örtchen bestimmte Benimmregeln. Mit nur wenigen Hygienemaßnahmen haben unschöne Hinterlassenschaften und miese Gerüche keine Chance.«19

      Und welche Benimmregeln beinhaltet im Zeitalter der Digitalisierung und Individualisierung ein selbst ernannter »WC-Knigge«? Die auf vielen Websites (und in der ausgeuferten Ratgeberliteratur) dargebotenen Winke mit dem Zaunpfahl und Tipps lesen sich in meiner Zusammenfassung, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, so:

      Die Toilette wird täglich genutzt und gebraucht. Daher sollte an diesem Ort aus Respekt vor den Mitmenschen Wert auf Sauberkeit und Hygiene gelegt werden.

      Selbst wenn sich das Urinieren, Pinkeln, Pullern oder Pissen im Stehen für den Mann anbietet, sollte er sich auch zum Urinieren hinsetzen, denn so werden unerwünschte Spritzer und Gerüche verhindert. (Tipp: Beim Aufstehen die Tropfen mit einem Stück Klopapier auffangen.)

      Nach dem großen Geschäft sollte jede und jeder die Toilettenbürste benutzen, um eventuelle Bremsspuren zu beseitigen. (Tipp: Durchgeweichtes Klopapier setzt sich in den Borsten fest und schreckt nachfolgende Toilettenbenutzer von der Benutzung ab.)

      Nach jedem Geschäft muss ordentlich gelüftet werden. Vor allem, wenn sich die Toilette im Badezimmer befindet. (Tipp: Wenn keine Entlüftung möglich ist, ein Streichholz anzünden. Dann entweicht Schwefel, der wiederum den unangenehmen Geruch bindet.)

      Nach der Säuberung mit der Klobürste wird der Toilettendeckel wieder aufgelegt. Das minimiert ebenfalls Gerüche. Auch schaut niemand gerne in den offenen Abfluss. Beim Verlassen der Toilette muss die Klotür hinter sich geschlossen werden.

      Nach jedem Toilettengang Hände waschen nicht vergessen. Gründliches Reinigen verhindert, dass Fäkalkeime im gesamten Haushalt und an andere Personen verteilt werden.

      Binden und Tampons gehören nicht in die Toilette, wo sie für Verstopfung und Überschwemmung sorgen. Auch Speiseabfälle und Essensreste haben nichts in der Kloschüssel zu suchen. Sie machen die Klärung der Abwässer schwieriger; außerdem sind nahrhafte Stoffe ein gefundenes Fressen für Ratten.

      Wer das letzte Toilettenpapier einer Rolle verbraucht, hat für Nachschub sorgen. Der nächste Benutzer würde es nach seinem Geschäft empört vermissen.

      Viele Menschen lesen gern auf der Toilette. Die Tageszeitung oder Zeitschrift auf der Toilette kann aber schnell unhygienisch werden. (Tipp: Bitte


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