Kreta Reiseführer Michael Müller Verlag. Eberhard Fohrer

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Kreta Reiseführer Michael Müller Verlag - Eberhard Fohrer


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Tíryns das Vorhanden­sein einer glänzenden Kul­tur lan­ge vor der Zeit des „Klassischen“ Hellas bewies.

      Schliemann war es schließlich auch, der dem Palast von Knossós auf der Spur war. Auf dem Hügel von Kephála, nahe bei Irák­lion, sollte Knossós auf Grund der Über­lie­fe­rung liegen. Hier waren auch schon eine Men­ge Funde gemacht worden - der Be­sit­zer des Ge­län­des, der kretische Kauf­mann Minos Kalokairinos, hatte schon seit 1878 Pro­begrabungen vorgenommen und da­bei mächtige Tonpithoi und Steine mit Stein­metz­zeic­hen entdeckt. Aber die da­ma­li­gen tür­ki­schen Behör­den unter­banden die Aus­gra­bungen. 1886 kam Schliemann nach Iráklion und wollte das ganze Gelände kau­fen. Der gefor­derte Kaufpreis er­schien ihm jedoch zu hoch, zumal er skep­tisch war, was den Fund­ort anging. Da er au­ßer­dem alle Funde den grie­chi­schen Be­hör­den hätte ab­liefern müs­sen, reiste er ab - und beging damit den größten Fehler sei­ner Lauf­bahn!

      1894 kam Arthur Evans nach Knos­sós. Er war der Sohn eines ver­mö­gen­den Al­ter­tums­liebhabers, finanziell un­ab­hängig und ein be­geisterter Hobby-Ar­chäo­lo­ge. Sein besonderes Interesse galt eigenartigen Siegel­stei­nen mit merk­wür­digen, nie ge­se­henen Schrift­zei­chen, die er bei ei­nem Anti­qui­täten­händler in Athen ent­deckt hatte. Auf die Frage, woher er die­se Stei­ne habe, ant­wortete ihm der Händ­ler: „Aus Kreta.“ Auf Kreta an­ge­langt, ent­deckte Evans die rätselhaften Schrift­zei­chen auf den ver­schie­densten Zu­falls­funden auf der ganzen Insel. Vor al­lem aber be­merkte er, dass viele Frau­en in länd­lichen Gegenden diese ur­al­ten, durch­lochten Sie­gel­stei­ne um den Hals tru­gen. Jetzt war sein Inte­resse gänz­lich ge­weckt. Als er sah, was auf dem Hügel Kephá­la gefunden wor­den war, witterte er seine Chance. Er er­warb einen Teil des Geländes und si­cherte sich damit das Recht, ein Veto ge­gen jegliche Aus­gra­bungen von an­de­rer Seite ein­zu­le­gen. Vier Jahre später ver­ließen die Tür­ken Kreta und er konn­te das ge­sam­te Ge­lände kaufen.

      Im März 1900 begannen die Aus­gra­bun­gen. Noch im selben Monat wurde ihm klar, dass ein ganzes System von Ge­bäuden unter der Hügelkuppe ru­hen muss­te. In sei­nem Tagebuch no­tier­te er: „Nichts Griechisches, nichts Rö­mi­sches finden wir hier - viel­leicht eine ein­zige Scherbe unter zehntau­sen­den Bruch­stü­cken viel älterer Kera­mik. Nicht einmal Vasen­fragmente aus der geo­me­tri­schen Zeit (7. Jh. v. Chr.) - ein blü­hen­des Knossós muss hier minde­stens in früh­my­ke­ni­schen Zeiten existiert ha­ben!“

      Am 5. April die erste Sensation - zwei Stücke eines Kalkfreskos kommen zum Vor­schein. Der erste „Minoer“ ist ent­deckt: bronzefarbene Schultern, dich­tes, schwarz ge­locktes Haar, unna­türlich enge Taille - der „Rhytonträger“ aus dem Pro­zessi­ons­kor­ri­dor ist heute im Archäologischen Museum von Irák­lion zu sehen. Am 13. April die nächs­te Über­ra­schung: Ein an­fangs als „Bade­zim­mer“ angese­hener Raum ent­puppt sich als gro­ßes Kultbad. Daneben wird ein großer rechteckiger Raum entdeckt, der an drei Sei­ten von stei­ner­nen Bänken und kunstvollen Farb­fres­ken ein­gerahmt ist. Vor al­lem aber steht hier ein kunst­voll ge­fer­tigter Thron aus Ala­baster - 2000 Jahre älter als jeder andere Thron Europas! Kein Zweifel: Der Thron­saal des Mínos und sei­ner Nachfolger ist ent­deckt, das in­ners­te Zentrum des Palastes!

Der monumentale Südeingang des Palastes

      Der monumentale Südeingang des Palastes

      Weitere spektakuläre Funde folgen - das gro­ße Treppenhaus im Ostflügel, anschlie­ßend die weiträumigen Königs­suiten, der ge­pflasterte Zentralhof und immer wieder präch­tige Fresken. Vor allem aber stoßen Evans und seine Mit­ar­beiter ständig auf Stier­abbil­dun­gen auf Fresken, auf Siegel­stei­nen, als Skulpturen. Am bedeutendsten ist das großartige Stierspringer-Fresko, das einen jungen Mann beim Salto über einen an­stür­menden Stier zeigt (Arch. Mu­se­um von Irák­lion). Der rätsel­haf­te Stier­kult rückt da­mit in den Mittel­punkt des In­te­res­ses. Wa­ren die­se todes­mutigen Sprin­ger viel­lei­cht die athe­nischen jungen Män­ner und Frau­en, die dem Minotaúros je­des Jahr zum Fraß vor­ge­worfen wurden? Oder wa­ren es Ak­ro­ba­ten, die hier zirkusähnliche Schau­spie­le vor ver­sam­meltem Hof­staat vor­führ­ten? Hing der Stier­mythos mit den häufigen Erd­be­ben der Region zusammen, ver­such­ten die Mi­noer mit den Spielen, die un­ter­ir­dische Gott­heit, die Erdmutter, zu be­sänftigen? Fra­gen über Fragen, die bis heu­te nicht geklärt sind ...

      Allmählich erkennt Evans, was hier auf ihn wartet, nämlich die voll­stän­dige Aus­gra­bung und Rekonstruk­tion eines der bedeutendsten Paläste der Früh­ge­schichte. Da­zu kommen die Re­gis­trierung der Funde sowie die Erfor­schung und Datie­rung der bisher fast unbekannten minoischen Kultur. Über 30 Jahre ver­bringt Evans mit diesen gewaltigen Aufgaben - und ver­wendet einen Gutteil seines Vermögens da­für. Ob archäologische Gesellschaf­ten oder der eng­lische Staat so viel Mittel und En­thusiasmus aufgebracht hätten, mag be­zweifelt wer­den. Archi­tek­tonisch ent­puppt sich der Palast als Juwel, denn über 1200 Räume le­gen Evans und seine Leute im Lauf der Jahre frei. Ein Höhepunkt wird die Ent­de­ckung des schon erwähnten groß­artigen Trep­pen­hauses, das zu den Königs­ge­mä­chern hinun­terführt.

      Aber mit der Freilegung der Mauern, die Jahr­tausende unter Erdmassen ver­borgen wa­ren, kommen erst die eigent­lichen Pro­b­le­me. Zur Kon­struktion des Palastes von Mi­nos war nämlich viel Holz verwendet wor­den. Schwere Bal­ken hatten große Mau­er­mas­sen getra­gen, teilweise dem heu­tigen Fach­werk ähnlich. Dazu kamen die zahllosen Säu­len, die ebenfalls aus Holz wa­ren - Zy­pres­senstämme, mit der Wur­zel nach oben, nach unten sich ver­jün­gend. Al­le diese Holzteile waren im Feu­er­sturm von 1450 v. Chr. verbrannt worden. Die spär­li­chen Reste waren durch Feuch­tig­keit und Luft längst ver­fault. Kurz, der gan­ze Bau droh­te zu­sam­menzustürzen und die zahl­lo­sen Wun­der der Minoer un­ter sich zu begra­ben.

      Evans und sein Architekt ver­suchen alles - erst nehmen sie hölzerne Pfos­ten und Bal­ken, aber diese verfaulen viel zu schnell. Dann versuchen sie es mit Back­stein­mau­ern und sorgfältig ein­gepassten Steinsäulen - aber das wie­derum ist zu teuer (so­gar für Evans). In den 20er Jahren wird schließ­lich der Stahl­beton er­funden - er ist dauerhaft und stark und man kann ihn pro­blemlos in alle Fugen und Hohl­räu­me ein­füllen. Er scheint das ideale Restaurie­rungsmittel zu sein. So erset­zen die Aus­gräber alle ehemaligen Holz­teile durch Beton und be­malen ihn noch dazu hell­braun, um das Holz zu imitie­ren. An vielen Stellen im Palast sieht man noch heute die­se Beton­fas­sun­gen.

      Am schwierigsten wird die Rettung des großen Treppenhauses. Um den drohen­den Zu­sammensturz zu ver­mei­den, müssen die unteren Stock­wer­ke mit soliden Beton­fun­damenten ab­ge­stützt werden, dazu muss noch eine ganze Wand aus der Schräg­la­ge wieder in die Senkrechte gerückt werden.

      Aber Evans will mehr: eine an­schau­liche, für das Auge interes­sante Rekon­struk­tion der ganzen An­lage. Keinen Trümmerhaufen, sondern das schaf­fen, was man sonst mit Fanta­sie dazu­den­ken muss. So geht er daran, die Räume wieder mit De­cken zu ver­sehen, er lässt auf Grund der Original­frag­mente groß­flächige Wand­ge­mälde mit leuch­ten­den Farben herstellen, lässt die Schäfte der einge­fügten Be­tonsäulen rot, die Kapitelle und Sockel schwarz bemalen u. Ä. Das „Dis­ney­land für Archäolo­gen“, wie es Spötter gerne nennen, nimmt seinen An­fang ...

      Knossós liegt auf einer kleinen Anhöhe im weiten Tal des Kaíratos, gleich links neben der Straße, wenn man von Iráklion kommt. Vorbei an Tavernen und Souvenirshops gelangt man zum Ein­gang der Anlage, die man von der Westfront her betritt. Ein dichter Gürtel von Alep­pokiefern ver­sperrt den Blick auf den Palast, der mit 22.000 m2 Ge­samtfläche, weit über tau­send Räu­men und bis zu vier Stockwerken bei wei­tem der größte der mi­noi­schen Paläste auf


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