Hochsensibel ist mehr als zartbesaitet. Sylvia Harke

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Hochsensibel ist mehr als zartbesaitet - Sylvia Harke


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usw. Überall finden wir Menschen mit unterschiedlichen Ausprägungen. Dasselbe trifft auf die Hochsensibilität zu. Nicht jeder Mensch ist hochsensibel! Im Gegenteil, die Hirnforschung bewies bereits, dass es Menschen gibt, die im Hirnareal für Mitgefühl fast keine Regung zeigen, wenn man ihnen Bilder von Gewalt oder Not präsentiert. Ganz anders bei Menschen mit normaler oder hoher Sensibilität. Die Reaktion bestimmter Hirnareale auf solche Bilder ist bei HSPs aufgrund ihrer ausgeprägten Empathie stark erhöht. Es geht nicht darum, anderen Menschen Gefühle abzusprechen, sondern anzuerkennen, dass Hochsensible über ein besonders intensives Gefühls- und Wahrnehmungsvermögen verfügen. In der Stressforschung konnte man bereits nachweisen, dass hochsensible Kinder dauerhaft erhöhte Cortisolspiegel aufweisen. Hochsensible lassen sich klar von „Normalsensiblen“ unterscheiden.

       Nicht alle Menschen sind gleich, jedoch alle sind wertvoll

      Hinter der Vermutung, dass alle Menschen hochsensibel seien, könnte sich eine hochsensible Wahrnehmung verbergen. Wir können uns nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die emotional weniger empfindungsfähig sind und vielleicht sogar skrupellos. Wir möchten nicht, dass andere benachteiligt zu sein scheinen. Wir wünschen uns, normal zu sein. Hochsensibilität sollte normal sein! Alles sollte (gleich) gerecht verteilt sein. Wir gehen einfach von unserem Weltbild aus und glauben, dass die anderen genauso empfinden, denken und handeln wie wir selbst. Doch das ist eine Illusion! In vielen Gesprächen mit meinen Coachingklienten war die Erkenntnis, dass andere eben nicht genau gleich sind, der Schlüssel, um Missverständnisse und Konflikte mit nicht hochsensiblen Partnern und Freunden besser zu verstehen. Die Anerkennung der eigenen Veranlagung hilft uns, genau den Platz im Leben zu finden, der zu uns passt. Wir lernen, zu unterscheiden, ohne zu bewerten. Hochsensible sind nicht besser oder schlechter als der Rest, sondern einfach anders.

      Im Oktober 2014 erschien ein interessanter Artikel im Magazin „natur & heilen“: „Beseelte Medizin für jedes Temperament“ (1). Darin fand ich wertvolle Hinweise auf eine jahrtausendealte Tradition. Philosophen, Ärzte und Heiler haben in allen Ecken der Welt Menschen in verschiedene Typen eingeteilt, um sie dadurch besser therapieren zu können. Der Wiener Theologe und Philosoph Dr. Karl Steinmetz belebte das alte europäische Wissen der Temperamentenlehre neu und veröffentlichte das Buch „Medizin der Temperamentenlehre“ (2) im Jahr 2012. Darin beschreibt er die traditionelle europäische Medizin (TEM), die ihre Wurzeln in Griechenland, Italien, Ägypten und aus den keltischen Kulturen bezieht. Die Temperamentenlehre wurde erstmals von Hippokrates von Kos (460 bis 370 v. Chr.) formuliert. Er unterteilte, ähnlich wie in der Ayurvedaheilkunde aus Indien, vier Temperamente in Verbindung mit Körpersäften: 1. sanguis (Blut), 2. cholé (Gelbgalle), 3. melancholé (Schwarzgalle), 4. phlegma (Schleim). Bei dieser Einteilung handelt es sich um die sogenannte 4-Säftelehre, die noch bis zum 19. Jahrhundert in der europäischen Ganzheitsmedizin gelehrt wurde. Daraus entstand die Klassifizierung für vier Charaktertypen, die bis heute namentlich bekannt sind:

       der Sanguiniker,

       der Choleriker,

       der Melancholiker und

       der Phlegmatiker.

      Jeder weiß ungefähr, was damit gemeint ist, da sich diese Archetypen in unserem kollektiven Bewusstsein bis heute gehalten haben. Im Mittelalter war es die Hl. Hildegard von Bingen, die ebenfalls mit Hilfe der Temperamentenund Säftelehre umfangreiche Behandlungspläne und Heilmaßnahmen niederschrieb. Auch der bekannte Arzt Paracelsus, der Homöopath Samuel Hahnemann, Rudolf Steiner (Begründer der Anthroposophie, der Waldorfschulen und biologisch dynamischen Landwirtschaft) und Pfarrer Sebastian Kneipp standen in der Tradition der TEM.

       Der Melancholiker als Vorläufer des Hochsensiblen

      Den introvertierten Hochsensiblen könnte man am ehesten mit dem sogenannten Melancholiker vergleichen. Hier gibt es sehr große Übereinstimmungen in der Beschreibung der Eigenschaften. Der Melancholiker wird als introvertierter Denker beschrieben. Man sagt, er habe künstlerische Begabungen, eine gute Intuition, Menschenkenntnis, einen Blick für Ästhetik und Details, er denke gewissenhaft, tiefsinnig und neige zum Grübeln. Ebenso wird der Melancholiker als (über-) empfindlich beschrieben, mit Rückzugstendenzen und Neigung zu depressiven Verstimmungen. All dies wird Ihnen bekannt vorkommen! Diese Beschreibung trifft haargenau auf die Klassifizierung eines introvertierten Hochsensiblen zu. Wie im Ayurveda geht man bei der TEM davon aus, dass jeder Mensch ein Mischtyp ist und auch Aspekte der anderen drei Typen in sich tragen kann. Dennoch hat jeder eine Grundkonstitution, die angeboren ist. Wie Sie sehen, ist das Ganze keine neue Idee, doch erst durch die moderne Wissenschaft der Psychologie und Hirnforschung lassen sich diese alten Traditionen durch Untersuchungen belegen und bestätigen. Mit den Informationen zur Hochsensibilität stehen heutige Berater und Therapeuten in einer sehr alten Tradition, die Jahrtausende zurückreicht.

       Pioniere auf dem Forschungsgebiet der Hochsensibilität in den USA

      In unserer modernen Zeit der Naturwissenschaften war es zunächst die bereits vorgestellte amerikanische Psychologin Elaine Aron, die 1997 begann, durch Interviews das Phänomen der Hochsensibilität objektiv zu untersuchen. Nach der Orientierungsphase entwickelte sie zusammen mit ihrem Ehemann und Forschungskollegen Art Aron an der Universität von Kalifornien, Santa Cruz, einen Fragebogen. Dieser wurde an einer Stichprobe von 604 Studenten getestet. Aus den 60 Fragen filterte Aron im weiteren Verlauf 27 Punkte heraus, die heute als HSP-Skala bekannt sind. Aufgrund ihrer statistisch abgesicherten Vorgehensweise bereitete Elaine Aron einen wissenschaftlich anerkannten Boden für alle weiteren Forschungsprojekte, die bis heute ihre Kreise ziehen. Der Begriff der Hochsensibilität ist auf jeden Fall in Fachkreisen der Psychologie eine wachsende Größe. In einem Interview mit Elaine Aron vom 1.3.2015 mit dem Titel „Hochsensibilität ist keine Krankheit“ berichtete „Die Welt“ (1), dass aktuell 50 Universitäten zum Thema Hochsensibilität forschen. Rechnet man die Studien über hochsensible Kinder hinzu, sind es über 100 aktuelle Forschungsprojekte.

       Untersuchungen zur Hochsensibilität in Deutschland

      In demselben Artikel nimmt Aron Bezug zu dem deutschen Forscher Max Wolf, einem Biologen, der durch Grundlagenforschung mit Computersimulationen zeigen konnte, wie sich bei Tieren und Menschen bestimmte Persönlichkeitsmerkmale innerhalb der Evolution herausbilden. Dabei habe sich gezeigt, dass ein Teil der Population die Fähigkeit entwickle, seine Umwelt genauer wahrzunehmen und sich vorsichtiger zu verhalten. Hier wurde erneut bewiesen, dass auch Tiere hochsensibel sein können. An der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg im Bereich Persönlichkeitspsychologie forscht derzeit Dipl.-Psychologin Sandra Konrad im Rahmen ihrer Doktor-Arbeit zum Thema. Im September 2015 erschien erstmals in der deutschen „PSYCHOLOGIE HEUTE“ (2) ein umfassender Bericht mit dem Titel „Feinfühlig“ über den aktuellen Forschungsstand zur Hochsensibilität. Darin kommt die Psychologin im Rahmen eines Interviews zu Wort. An der Universität Bielefeld hat Dipl.-Psychologin Franziska Borries eine Doktorarbeit zur Hochsensibilität geschrieben. Sie befragte 898 Personen (darunter 73% Frauen) mit Hilfe von Fragebögen. Dabei kam sie zu dem Ergebnis, dass es Hochsensibilität tatsächlich gibt. Sie ermittelte, dass 17,5% ihrer Stichprobe hochsensibel sind.

       Hochsensibilität noch nicht flächendeckend bei Experten be- und anerkannt

      Trotz der umfangreichen Forschungsprojekte hat sich das Thema in der Praxis noch nicht so etablieren können, wie es eigentlich wünschenswert wäre. Noch heute wissen viele Ärzte, Lehrer und Psychologen nichts darüber, besonders wenn sie schon länger berufstätig sind, weil sie in ihrem Studium nichts dazu erfahren haben. Andere Experten halten das Thema Hochsensibilität für einen „übertriebenen Hype“ (3). Deshalb kann es sein, dass Sie zunächst auf Unverständnis stoßen, wenn Sie beispielsweise über die Hochsensibilität Ihres Kindes mit dem Klassenlehrer oder der Hausärztin sprechen wollen. Viel zu schnell wird die gesunde Veranlagung mit Krankheitsbildern verwechselt. Deshalb ist noch immer eine Menge


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