Wassergeld. Harald Schneider
Читать онлайн книгу.Esswaren in sein Büro geschleppt hat. Morgen früh will er zusammen mit dem Landrat eine Pressekonferenz abhalten. Dabei weiß er am wenigsten von allen.«
Wir verabschiedeten uns von Jutta, und Gerhard fuhr mich heim.
*
Stefanie öffnete auf mein Klingeln die Tür. Ich hatte ihr vor meinem abendlichen Einsatz meinen Schlüssel gegeben. Entsetzt starrte sie mich an.
»Um Himmels willen! Wie siehst du denn aus? Ist mit dir alles in Ordnung?«
Ich nickte und versuchte krampfhaft zu lächeln.
»Ziehe deine Klamotten am besten gleich hier im Flur aus, dann versaust du nicht die Wohnung. Und hinterher gehst du sofort unter die Dusche. Wo hast du übrigens deine Krawatte?«
Ich zog den langen und zerknäulten Stofflappen aus meiner Jackentasche und gab ihn meiner Frau.
Sie unterließ jeden Kommentar, anscheinend war sie froh, dass ich heil heimgekommen war. Während ich duschte, machte sie mir ein paar Käsebrote. Ja, es war Vollkornbrot und verklebte meinen Gaumen. Ich erzählte ihr von dem Deichbruch und dass Gerhard und ich Doktor Metzger getroffen haben.
Nach dem Essen freute ich mich auf mein Bett. Doch das musste warten. Stefanie winkte mit einer Flasche Massageöl. Ich tat meine Pflicht als Ehemann und werdender Vater und vergaß selbstverständlich nicht, den leichten Bauchansatz zu massieren. Nein, nicht meinen – den von Stefanie. Der Rest des Abends wird unbeschrieben bleiben.
*
Meine Frau hatte Verständnis dafür, dass ich am nächsten Morgen wegen des Deichbruchs zur Inspektion musste. Es war zwar Samstag, aber immerhin war abzusehen, dass die Besprechung nicht sehr lange dauern würde. Danach wollte ich mit meinem ungeborenen Kind und der wunderschönen Frau, die ihm für neun Monate Obdach gewährte, nach Ludwigshafen zum Weihnachtsmarkt fahren.
Aus der Leitzentrale, die bis gestern unser Sozialraum war, drang nach wie vor babylonisches Stimmenwirrwarr durchs Gebäude. Anscheinend gab es noch viel zu tun.
Jutta sah nicht mehr so gut aus wie vor ein paar Stunden, sie musste die Nacht durchgearbeitet haben. Sie gähnte herzhaft mit weit geöffnetem Mund, als ich ihr Büro betrat.
»Entschuldige, Reiner. Guten Morgen erstmal.«
Jetzt sah ich auch Gerhard, der bereits am Besprechungstisch saß. Vor ihm stand eine Magnumtasse Sekundentod. Mein Kollege sah ebenfalls nicht gerade erholt aus.
»Guten Morgen, ihr beiden. Alles klar mit dir, Jutta?«
Sie gähnte erneut und sah mich mit großen Augen an. »Zwei Stunden konnte ich an meinem Schreibtisch ein kleines Schläfchen halten, mehr war nicht drin.«
Ich wunderte mich, wie man nach dem Genuss von Sekundentod überhaupt schlafen konnte.
»Waren die Camper so hartnäckig? Ist die Anlage evakuiert?«
»Zweimal ja. Fast ein Dutzend mussten wir vorläufig festnehmen, weil sie randaliert haben. Man hätte meinen können, es ginge um Leben und Tod. Dabei waren es nur ihre Campingwagen, die sie retten wollten. Na ja, reden wir von etwas Unerfreulicherem. Gerhard weiß es schon.« Ihre Mundwinkel fielen nach unten, mein Lieblingskollege saß regungslos da.
»Lass mich raten. Die Kreisstraße hat’s erwischt.«
Die zwei schauten mich an, als hätte ich einen Scherz gemacht.
»Dies zu erraten ist kein großes Kunststück«, meinte Jutta ironisch. »Kurz vor 4 Uhr ist das erste Wasser übergeschwappt. Die Campingplatzanlage ist gegenwärtig ziemlich feucht und das Wasser steigt und steigt. Altrip ist nur noch von Rheingönheim aus zu erreichen.«
Gerhard schaute trübsinnig in seine fast leere Tasse.
Jutta berichtete weiter. »Der Campingplatz ist aber nicht unser aktuelles Problem. Wir müssen inzwischen davon ausgehen, dass dem Deichbruch nachgeholfen wurde und das fällt eindeutig in unser Resort.«
»Die Explosionen?«, fiel ich ihr ins Wort.
Sie nickte. »Heute Nacht kam ein E-Mail rein. Hier ist eine Kopie. Wir gehen davon aus, dass es authentisch ist.« Sie überreichte mir ein Blatt Papier.
›Das War Erst Der Anfang. Wenn Unser Angebot Nicht Angenommen Wird, Löschen Wir Ludwigshafen Und Mannheim Aus. Das Angebot Befindet Sich Am Ortsschild Von Altrip.‹
Entsetzt las ich den Text. »Ist das wirklich ernst zu nehmen? Kann man die Herkunft feststellen?«
»Das ist freilich sehr ernst zu nehmen. Das Herausfinden des Absenders dürfte nicht einfach werden. Das E-Mail wurde über eine anonymisierte Verbindung und dazu noch über einen koreanischen Server verschickt. Wir haben das selbstredend sofort an das Landeskriminalamt weitergegeben. Doch die sind desgleichen sehr skeptisch, was die Recherche nach dem Urheber angeht.«
Ich ging das E-Mail erneut durch. »Das liest sich wie ein schlechter ›Tatort‹. Wie kommst du darauf, dass der Text echt sein soll?«
»Ganz einfach, mein lieber Reiner. Wir haben das sogenannte Angebot gefunden, so viele Altriper Ortsschilder gibt es nicht. Und der Inhalt lässt keinen Zweifel daran, dass er von den Terroristen stammt, die den Deich gesprengt haben.«
»Terroristen? Hier bei uns in der Vorderpfalz?« Ungläubig schüttelte ich den Kopf. »Wir sind nicht in Berlin, Jutta.«
»Du wirst es gleich begreifen. Das Motiv bleibt allerdings im Dunkeln. Diese Terroristen wollen 50 Millionen Euro haben. Ansonsten werden sie noch größeren Schaden in der Region anrichten. Die Sprengung gestern Abend soll nur eine kleine Kostprobe gewesen sein.«
»Eine kleine Kostprobe? Die haben an drei Stellen den Deich weggesprengt und das Leben vieler Menschen aufs Spiel gesetzt!«
»Genau!«, antwortete Jutta. »Die haben den Deich gesprengt und das ohne Probleme und ohne Zeugen. Wir müssen davon ausgehen, dass diese Gruppe ein mächtiges Gefährdungspotenzial darstellt. Das Geld soll bereits heute Nachmittag übergeben werden, wir haben folglich einen ziemlichen Zeitdruck. Die Details zur Übergabe liegen vor. Das Original des Erpresserschreibens wird zur Stunde im LKA untersucht. Eines steht bereits fest: Die ausgeschnittenen Buchstaben des Briefes stammen aus dem ›Trierischen Volksfreund‹, insbesondere aus einem aktuellen Artikel über die Verschwendungssucht beim Nürburgringprojekt.«
Sekundentod hin, Sekundentod her. Jetzt war ich soweit, mir eine Tasse einzuschenken. Glücklicherweise stand ein Beutel Milch auf dem Besprechungstisch.
»Okay, dann kriegen wir sie halt bei der Geldübergabe. Meines Wissens hat noch nie ein Erpresser eine todsichere Möglichkeit für eine Geldübergabe gefunden.«
»Da wäre ich mir für die Zukunft nicht so sicher«, mischte sich Gerhard ein. »Die wollen, dass die 50 Millionen Euro in eine Metallkiste gesteckt und an einem Hubschrauber befestigt werden. Der Hubschrauber muss auf einer bestimmten Frequenz ständig seine Position durchgeben und der Pilot erhält auf einer anderen Frequenz seine Instruktionen. Auf ein bestimmtes Kommando hin soll die Kiste dann abgeworfen werden.«
»Das funktioniert doch niemals!«, ereiferte ich mich. »Was ist, wenn es Trittbrettfahrer sind?«
»Das ist so gut wie ausgeschlossen. Letzte Gewissheit bekommen wir nachher. In dem Erpresserschreiben wird die genaue Mischung des Sprengstoffs beschrieben. Reste davon haben die Entenbobbys inzwischen bergen können.«
Ich kannte den Spaßausdruck für die Wasserschutzpolizei und wollte gerade etwas erwidern, als die Tür aufgerissen wurde. So zornig hatte ich KPD selten erlebt. Polternd setzte er sich zu uns an den Tisch.
»Denen hab ich’s aber gegeben!«, begann er ohne Begrüßung zu schelten. »Das Landeskriminalamt wird immer dreister. Nur weil wir hier einen kleinen Deichbruch haben, wollen die den Fall an sich reißen. Lächerlich, was die sich alles einbilden! Ich habe denen kräftig die Meinung gegeigt. Hier in meiner Dienststelle bewerte ich die Lage immer noch selbst. Solange ich ein guter Chef bin, können wir das allein regeln. Mit meinem Organisationsgeschick