Tränen einer Braut: 3 Romane. G. S. Friebel

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Tränen einer Braut: 3 Romane - G. S. Friebel


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nicht gehen, dort gingen nur Kinder hin. Sie war schließlich schon siebzehn Jahre alt.

      Mit den Freundinnen hatte sie so oft über Hamburg gesprochen. Hier war alles möglich. Hier sollte man auch sofort Arbeit und ein Zimmer finden. Wenn man fleißig war, dann konnte man sehr schnell aufsteigen, zumindest viel höher als bei einer so langweiligen Arbeit wie auf der Bank.

      Aber all ihre Überlegungen brachten sie in diesem Augenblick nicht sehr viel weiter. Sie musste jetzt endlich etwas unternehmen. Mit den hundert Mark in der Tasche würde sie nicht weit kommen.

      Vorsichtig ging sie auf der regennassen Straße weiter. An jeder Ecke gähnte ihr eine dunkle Gasse entgegen, und sofort liefen ihr kalte Schauer über den Rücken. Natürlich hatte sie auch schon gehört, dass es hier ein schlechtes Viertel gab. Davon sprach man eben nicht, flüsterte höchstens darüber, wenn sich keine Jugendlichen in der Nähe befanden.

      2

      Elvira hatte überhaupt keine Ahnung von Hamburg, und so bemerkte sie auch nicht, dass sie genau diesem Viertel zustrebte. Sie wunderte sich darüber, dass sich plötzlich so viele Leute auf der Straße befanden. Dass dies in der Hauptsache junge Mädchen waren, bemerkte sie nicht einmal.

      Aber die Dirnen bemerkten sie sofort und musterten sie mit schrägen Augen. An der Kleidung und dem Rucksack erkannten sie sofort, dass sie von auswärts kam. Das Hascherl hatte sich wohl verlaufen, war also keine Konkurrenz.

      Tapfer ging Elvira weiter, immer den Rucksack an sich gepresst. Der Regen ließ ihre Haare strähnig herunterhängen, und betrübt dachte sie: Ich sehe bestimmt fürchterlich aus. So bekomme ich nirgends Arbeit.

      Elvira befand sich am Hafenstrich, und das war so das Gemeinste und Gewöhnlichste in Hamburg.

      Und dann wurde sie angesprochen.

      »He, Vogelscheuche, wo willst du denn hin?«

      Erschrocken blieb sie stehen und wandte langsam den Kopf zur Seite. Ein junges Mädchen, nicht viel älter als sie selbst, kam mit wiegenden Hüften näher. Wie konnte Elvira auch wissen, dass dieses Mädchen vor gar nicht langer Zeit selbst aus dem Hinterland gekommen war, sich aber jetzt hier ganz heimisch fühlte. Sie gab sich sogar recht wichtig und baute sich vor Elvira auf.

      »Ja, dich hab ich gemeint. Was willst du hier? Hau ab, das ist hier keine Gegend für Babys. Geh zu Mama zurück und lass dir die Nuckelflasche wiedergeben. Du flennst ja schon, weil du dich verlaufen hast!«

      So eine Rede hatte das junge Mädchen noch nie gehört. Und weil im Augenblick nicht viel los war, kamen die anderen kleinen Dirnen näher, stellten sich um sie herum und grinsten sie an. Das war mal eine kleine Abwechslung bei diesem Hundewetter.

      Entgeistert starrte Elvira in jedes der verlebten Gesichter, dazu presste sie ihre Habseligkeiten noch mehr an sich.

      »Die glaubt, wir klauen ihr die Sachen«, grölte eine große Dirne los.

      Alle lachten und schlugen sich auf Schenkel.

      »Nein«, stotterte Elvira hastig. »N…n…nein, das ist es doch nicht.«

      »Wo willst du denn hin, Kleine? Wir sind ja nicht so. Hast dich also verlaufen und jetzt weißte nicht mehr, wo der Bus steht, was?«

      »Bus?«, echote sie verwundert. »Welcher Bus?«

      »Du meine Güte!«, schrie eine Nutte sie an. »Sag mal, hast du vielleicht ein paar Schrauben locker?«

      »Vielleicht ist sie mit der Bahn gekommen«, lachten die anderen auf.

      Langsam verstand Elvira.

      »Nein«, sagte sie und lächelte zaghaft. »Ich bin mit einem Lastauto gekommen.«

      »Wie, die ganze Schulklasse?«

      »Wie bitte?«

      Plötzlich schrie die erste Nutte: »Wir sind auf dem falschen Dampfer. Die ist gar nicht mit ihrer Schulklasse hier. Wette, dass sie von zu Hause fortgelaufen ist?«

      »Ach nee, das wird ja immer schöner.«

      »Ja«, sagte Elvira hastig. »Ich bin fortgelaufen. Ich suche hier in Hamburg Arbeit. Ich will nicht mehr zurück. Es war fürchterlich.«

      »Wie? Hat dich dein Alter so geschlagen?«, fragte eine Dirne. Und eine andere: »Hat er was von dir gewollt? Hat dich die Stiefmutter misshandelt? Los, quatsch doch endlich! Was ist denn losgewesen.«

      3

      Sie alle, die Elvira umstanden, kamen aus dem tiefsten Milieu. Und oft waren es Grausamkeiten der Eltern, die sie auf diesen Hafenstrich getrieben hatten. Darum empfanden sie im Augenblick so etwas wie Mitleid.

      »Ich hielt es zu Hause nicht mehr aus«, stotterte sie. »Aber ich bin nicht geschlagen worden, nein, das nicht.«

      »Aber die müssen doch irgendetwas getan haben, verdammt noch mal.«

      »Immer haben sie mich bevormundet«, sagte sie kleinlaut und hastig. »Und dann musste ich jeden Tag zur Bank. Das war einfach grässlich.«

      »Zur Bank?«, riefen die Mädchen. »Soll das vielleicht heißen, die Alten haben dich angelernt, bei der Bank zu klauen? Mann, den Trick musst du uns verraten! Die passen doch auf wie Schießhunde. An deren Geld kommt man doch nur ran, wenn man nachts einsteigt. Ich glaube, Kleene, du willst uns verulken, wie? Los, jetzt, red mal endlich.«

      »Nein!«, rief Elvira. »Doch nicht klauen! Um Gottes willen, das doch nicht! Wo mein Vater doch Richter ist!«

      Sofort gingen die Dirnen einen Schritt zurück. »Verflixt, was ist dein Alter?«

      »Richter«, stammelte Elvira, die schon ganz durcheinander war. Sie verstand nur noch die Hälfte von dem, was die Mädchen sagten.

      Hui, mit einem Richter war nicht gut Kirschen essen, und sie war die Tochter!

      »Hör mal, und was war jetzt mit der Bank?«

      »Ich war dort angestellt. Aber es hat mir nicht gefallen, ehrlich nicht. Deshalb bin ich fortgelaufen. Ich will jetzt hier in Hamburg eine neue Stelle suchen.«

      »Als Bankangestellte?«

      »Nein!«, schrie sie ihnen fast ins Gesicht.

      Für Minuten war es ganz still geworden. Die Dirnen sahen sich erstaunt an. Das ging einfach über ihre Hutschnur. Sie hatten von zu Hause fortgehen müssen  entweder, weil man sie unmenschlich geprügelt hatte, der Alte sich an ihnen vergriffen hatte, oder weil es mit dem Essen eben knapp war. Man musste selbst sehen, wie man zurechtkam, und so ging man denn auf den Hafenstrich. Anderswo durften sie ja nicht stehen.

      Doch während sie hier standen und dem ältesten Gewerbe der Welt nachgingen, sehnten sich die Mädchen nach einem gutbürgerlichen Leben, mit allem Drum und Dran. Aber sie wussten auch, dass derjenige nie aufsteigen konnte, der einmal in der Gosse war.

      Und jetzt kam dieses Mädchen, hatte all das, wonach sie sich sehnten, und warf das einfach über Bord  weil es das Leben zu spießig fand, weil es etwas erleben wollte, sich nicht mehr den Eltern fügen wollte.

      Noch immer starrten sie Elvira entgeistert an.

      »Du bist verrückt«, keuchte eine. »Du weißt ja nicht, was du sagst. Wenn du nur ein paar Tage hier bist, dann heulste nach Mama und Papa, aber dann wollen deine Alten dich nicht mehr haben. Mensch, verdufte, bevor es zu spät ist.«

      »Ich gehe nie mehr zurück« sagte sie trotzig. »Ich bin groß genug, um für mich selbst zu sorgen.«

      »So, das kannst du also«, meinten sie zynisch. »Dann haste wohl vorher die Bank ausgeraubt, wie? Dann ist das natürlich etwas anderes, wenn du nicht mehr zurückwillst.«

      »Ich habe hundert Mark in der Tasche. Und vorhin habe ich schon mal gesagt, dass ich arbeiten will!«, rief sie hitzig. »Ich habe euch nicht um euren Rat gebeten.«

      »Das ist wirklich ein starkes


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