Die Shoah. Achim Bühl

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Die Shoah - Achim Bühl


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im November 1941 wurden bei der Ermordung von Juden im Warthegau mobile Gaswagen eingesetzt. Zwischen März und Juli 1942 wurden auf polnischem Territorium zahlreiche Vernichtungslager gebaut, wie u. a. Belzec, Treblinka, Sobibor, Majdanek und Auschwitz. Der systematische, nunmehr nahezu fordistisch-industriell betriebene Völkermord an den europäischen Juden hatte zur Konsequenz, dass die Deportationen nicht mehr das alleinige Ziel räumlicher Elimination verfolgten, sondern vielmehr die genozidale Elimination in den Vordergrund der Verschleppung rückte und das eigentliche Wesen der Deportationen ausmachte. Der Terminus Deportation bedeutete fortan eine Verschleppung in deutsche Vernichtungslager des Ostens zwecks Ermordung der verschleppten Juden. Die Koordination für die Vernichtungsdeportationen übernahm das Referat IV B4 des Reichssicherheitshauptamtes unter Adolf Eichmann. Zwar verfügte Eichmann nur über einen kleinen Mitarbeiterstab, er konnte indes auf vielfältige andere Dienststellen zugreifen, auf Einsatzgruppen und auf Kräfte der deutschen Wehrmacht sowie auf kollaborierende Polizisten und Beamte verbündeter oder besetzter Länder. Neben logistischer Unterstützung seitens der deutschen Reichsbahn erhielt Eichmann ebenfalls Unterstützung durch das Auswärtige Amt, das mit eigenen Judenreferenten unmittelbar in das Deportationsprogramm involviert war.

      Die systematische Deportation der deutschen Juden begann im Oktober 1941. Die erste größere, europaweite Deportationswelle der Shoah lässt sich auf Frühjahr und Sommer 1942 datieren, eine zweite folgte nach einer durch den Kriegsverlauf bedingten Pause Anfang 1943. Eine dritte Welle erfolgte im Jahr 1944, als für jedermann offensichtlich war, dass der Krieg verloren war. Insbesondere die dritte Phase verdeutlicht, dass die militärische Seite des Kriegs für den deutschen Nationalsozialismus lediglich eine der beiden elementaren Seiten darstellte, der »Rassenkampf« und die Vernichtung des europäischen Judentums die zweite. Zwar mochten der Weltkrieg, der »Kampf um Lebensraum« sowie der Plan einer umfassenden bevölkerungspolitischen wie räumlichen Neuordnung Europas unter der Vorherrschaft des deutschen Nationalsozialismus bereits verloren sein, den »Rassenkampf« gegen den »jüdischen Weltverschwörer« wollte man indes allemal gewinnen und diesbezüglich für die Nachkriegsordnung irreversible Fakten schaffen.

      1.6 Zusammenfassung

      Der Antisemitismus des deutschen Nationalsozialismus lässt sich seinem Wesen nach als Vernichtungsantisemitismus begreifen. Der Terminus impliziert, dass die Potentialität der genozidalen Elimination und damit der Völkermord an sechs Millionen europäischen Juden dem NS-Regime von Anfang an inhärent war. Die Begrifflichkeit bedeutet nicht, dass die sogenannte »Endlösung« der »Judenfrage« bereits 1933 die Ermordung aller Juden Europas zwingend wie alternativlos vorsah. Die konzeptionelle wie praktische Radikalisierung der Judenpolitik des NS-Regimes erfolgte vielmehr über verschiedene Marksteine, die aus Sicht des NS-Regimes eine politische Reaktion auf gegebene Konstellationen erforderten und die wiederum von »Hardlinern« der physischen Vernichtung instrumentalisiert wurden, um eine weitere Verschärfung des judenpolitischen Kurses voranzutreiben. Die Jahre 1938, 1939 sowie das Jahr 1941 bilden dabei drei entscheidende Wendepunkte.

      Das Jahr 1938 als erster der drei Wendepunkte offenbart mit den Novemberpogromen das dem deutschen Nationalsozialismus immanente antisemitische Gewaltpotential. Das Ausmaß der physischen Gewalt am 9. November und in den Tagen danach verdeutlichte die Bereitschaft des NS-Regimes, jederzeit den Weg der genozidalen Elimination zu beschreiten, falls dies aus Sicht des staatsterroristischen Systems der opportune Weg zwecks Realisierung der eigenen Interessenlage sein sollte. Es ist folglich kein Zufall, dass nur wenige Tage danach Göring am 12. November 1938 die Ansicht Hitlers vor NS-Führern mit den Worten wiedergab: »Wenn das Deutsche Reich in irgendeiner absehbaren Zeit in außenpolitischen Konflikt kommt, so ist es selbstverständlich, dass auch wir in Deutschland in allererster Linie daran denken werden, eine große Abrechnung an den Juden zu vollziehen.« Wenige Wochen darauf tagte am 30. Januar 1939 der Reichstag in der Berliner Krolloper. Hitler verkündete persönlich, das Ergebnis eines neuen Weltkriegs werde »die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa« sein. Die Vernichtungsmetapher Hitlers bezog sich erstmals in aller Klarheit und Eindeutigkeit auf die physische Austilgung der Juden, koppelte deren Realisierung an den Weltkrieg und dimensionierte sie europäisch. Die Konstruktion der vermeintlichen »Judenfrage« als »europäisches Problem« wird auch an anderer Stelle der Rede deutlich, wenn es heißt: »Europa kann nicht mehr zur Ruhe kommen, bevor nicht die jüdische Frage ausgeräumt ist.« Die öffentliche Präsentation der Entschlossenheit, die europäischen Juden im Falle eines Weltkriegs zu ermorden, ist zwar noch keineswegs identisch mit dem Beschluss dies auch zu tun, stellt indes gleichwohl eine qualitative Radikalisierung dar, insofern erstmals im Kontext einer Vernichtungsdrohung Hitlers der Terminus »jüdische Rasse« benutzt wurde und nicht mehr »die Juden«, sodass sich die Extermination nicht auf das Judentum als kulturell-religiöse Größe im Sinne eines Ethnozids bezog, sondern eindeutig auf die Körperlichkeit aller Juden Europas im Sinne eines Genozids.

      Der Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 bildete die zweite Grenzmarke auf dem »Weg nach Auschwitz«. Zwar war die »Endlösung« zu diesem Zeitpunkt trotz verbaler Drohungen noch nicht identisch mit dem Genozid, doch die gezielte Ermordung tausender Polen, die Führung eines brutalen Eroberungskriegs, die zunehmende Verschmelzung des militärischen Kampfs mit dem »Rassenkampf«, der Konnex zwischen Patientenmord und Judenmord in Gestalt der »T4-Aktion« sowie der Nachfolgeaktion mit dem Codenamen »14f13« und das Scheitern diverser Konzeptionen bezüglich der »Judenfrage« bildeten einen Meilenstein genozidaler Radikalisierung, der die Entscheidung zugunsten eines systematischen europaweiten Völkermords beschleunigte.

      Der Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 stellte schließlich die dritte Wegmarke dar. Die Führung des militärischen Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion beschleunigte den Prozess der genozidalen Elimination der Juden. Allerspätestens gegen Ende 1941 war der nationalsozialistische Terminus der »Endlösung« – auch wenn es vermutlich nie einen expliziten schriftlichen Befehl Hitlers gab – identisch mit dem einheitlichen Programm die Juden Europas zu ermorden. Der Massenmord an den sowjetischen Juden seitens der Einsatzgruppen im Osten bildete die erste Phase bevor die Deportationen in die deutschen Vernichtungslager europaweit einsetzten. Gleichwohl wird es ein Streitpunkt unter Historikern bleiben, ob der mündliche Befehl Hitlers hinsichtlich der Ermordung der europäischen Juden bereits im Frühjahr, im Frühsommer, im September oder aber erst im November/Dezember 1941 erfolgte.

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