Der letzte Funke Licht. Jana Pöchmann
Читать онлайн книгу.da es nur meine Mutter und mich gab. Das war das, was ich wollte, nicht mehr und nicht weniger. Früher war dies der Fall. Aber jetzt habe ich auf einmal eine Großmutter und …“ Es kam einfach so aus mir heraus.
„Es tut mir leid. Ich habe ein bisschen überreagiert, aber das ist mir alles zu viel“, sagte ich kleinlaut.
Meine Großmutter wirkte gerade sehr gebrochen, verzweifelt und einfach nur müde, traurig.
„Schon okay. Ich habe es ja nicht anders verdient. Ich kann es nachvollziehen, schließlich lernst du mich auch nicht gerade in einer schönen Situation kennen. Es ist einfach falsch, dass ich mich trotz des Streits nicht habe blicken lassen. Du bist schließlich mein Enkelkind!“
Ich ging mit ihr. Ich wollte nicht, dass sie noch trauriger wurde. Mir war schon klar, wir würden nicht die besten Freunde werden. Aber ich konnte ihr wenigstens eine Chance geben.
Kapitel 2
Ein paar Minuten später saß ich in dem Auto meiner Großmutter auf dem Weg zu ihr nach Hause. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass meine Mutter jetzt im Krankenhaus lag. Ich wollte es nicht wahrhaben.
Ich musste gerade an ein Lied von Kayef denken. Es drehte sich um eine Person, die einem immer hilft, wenn man am Boden zerstört ist. Dieses Lied war mein Lieblingslied. Es passte so gut zu meiner Mutter und mir.
„Ja, weil du mich rausholst, immer wenn ich down bin …“
Dieses Lied hatte ich die ganze Autofahrt über schon im Kopf. Ich würde nie wieder eine Person haben, die mich trösten kann, wenn ich traurig bin oder mich einfach in den Arm nehmen würde, wenn es mir schlecht ging.
Ich sah aus dem Fenster. Wir waren gerade mal drei Minuten unterwegs und schon wünschte ich mir so viel Abstand von meiner Großmutter wie nur möglich.
Ja, ich wollte ihr eine Chance geben, aber ich konnte es nicht. Sie hatte sich nie blicken lassen. Ich hatte niemanden außer meine Mutter und das war ihr bewusst. Ich hätte meine Großmutter früher vielleicht gebraucht, aber jetzt wollte ich sie nicht in meinem Leben haben.
Jetzt musste ich bei ihr wohnen, sie jeden Tag sehen und mit ihr reden, als kennten wir uns schon ewig. Das konnte ich nicht.
„Avery, ich muss dir etwas sagen“, fing meine Großmutter plötzlich an mich gewandt an zu reden. Ich wollte kein Gespräch mit ihr anfangen, sondern nur so schnell wie möglich zu meiner Mutter.
„Was denn?“, fragte ich stattdessen.
„Ich habe ja gesagt, wir fahren erst einmal zu mir nach Hause, trinken und essen etwas“, fing sie an, zu erzählen. Ja, natürlich hatte sie das gesagt und gedacht, mir würde es danach besser gehen.
„Ja“, sagte ich stattdessen nur, da ich keine Lust hatte, großartig mit ihr zu reden. Ich hatte so eine Scheißangst um meine Mutter, da konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich würde sie vielleicht verlieren und sie nie wiedersehen. „Das war gelogen ...“, drang die Stimme meiner Großmutter durch meine Gedanken. Warte, was? Sie hatte sich nicht nur noch nie blicken lassen, sondern mich auch noch bei unserer ersten Begegnung angelogen?
Das konnte nicht wahr sein. Ich dachte, ihr lag etwas an mir und sie wollte, dass ich ihr vertraute, aber jetzt!?
„Bitte was? Erst lässt du dich nie blicken und jetzt lügst du mich auch noch an?“
Ich konnte meine Gedanken nicht mehr zurückhalten: „Ich wollte dir eine Chance geben, aber egal, worum es sich bei dieser Lüge genau handelt, ich kann es einfach nicht und werde dir nie vertrauen können!“, schrie ich sie an.
„Avery, ich kann dich …“, weiter kam sie nicht, denn ich unterbrach sie sofort.
„Komm mir nicht immer mit deinem: Avery, aber Avery … Nein! Ich kenne dich erst seit einer knappen Stunde und kann es nicht länger mit dir aushalten.“
Meine Großmutter wirkte sehr traurig und musste einmal tief Luft holen, um nicht anzufangen, zu weinen, doch das war mir gerade egal.
„Ich kann dich verstehen, doch du musst mit zu mir kommen, bitte. Ich brauche dich und du brauchst mich. Aber die Wahrheit ist, ich wohne in Norddeich, an der Nordseeküste, das ist ungefähr fünf Stunden von hier entfernt“, versuchte sie mir zu erklären. Warte, was? Sie wohnte in Norddeich? Wo war das denn bitte? Ja klar, es war an der Nordsee, aber fünf Stunden weit entfernt? Das konnte einfach nicht wahr sein!
„Eins ist schonmal klar, ich werde dann nicht bei dir wohnen. Fünf Stunden von Sky entfernt, das kann ich einfach nicht und bei dir wohnen, das kann ich genauso wenig!“, brach es aus mir heraus. Ich konnte meine Worte nicht stoppen, denn ich musste meiner Großmutter sagen, was ich wollte und ich wollte nicht bei ihr zu Hause wohnen! Das musste ich ihr klarmachen.
„Ich weiß, dass du das nicht willst, aber deine Mutter hatte doch diesen Brief in ihrer Jackentasche. Die Ärzte haben mir am Telefon erzählt, dass darin steht,
du sollst bei mir wohnen, wenn deiner Mutter etwas passieren sollte“, beendete sie ihren Satz.
Warte, hatte ich das gerade richtig verstanden? Die Ärzte hatten einfach so den Brief meiner Mutter, der für mich bestimmt war, geöffnet?
Das konnte ich nicht glauben! Doch als die Worte meiner Großmutter langsam in mein Bewusstsein einsickerten, fragte ich mich nur, warum sollte mir meine Mutter so was antun?
Aber die größte Frage, die mir am meisten Angst machte, war, dass sie diesen Brief bei sich trug, als der Unfall passierte. Das konnte doch kein Zufall sein, oder? Wusste sie, was passieren würde? Und wenn ja, warum hatte sie mich nicht vorgewarnt? Mir wurde etwas verheimlicht und ich musste herausfinden, was!
Doch eins war mir bewusst: Ich liebte meine Mutter und wenn es ihr letzter Wunsch wäre, dass ich bei meiner Großmutter lebte, wenn ihr etwas passierte, würde ich dies machen. Aber nur wegen ihr. Ich würde dies für niemand anderen auf der Welt machen.
„Ach komm schon, das ist nicht ihr Ernst. Meine Mutter war immer für eine Überraschung gut“, sagte ich zu mir selber.
„Ja, da hast du recht. Als deine Mutter acht Jahre alt war …“ Meine Großmutter dachte wohl, dass ich anfangen würde, sie zu mögen.
„Ich habe nicht mit dir geredet“, unterbrach ich sie heftig. Sie konnte sich abschminken, dass ich mich mit ihr unterhalten würde, wenn es nicht nötig ist. „Schon gut … ich will aber, dass du weißt, wenn du mit jemandem über deine Mutter reden möchtest, ich bin immer für dich da“, sagte sie zu mir.
Das war nur gut gemeint, das wusste ich, aber ich hatte nicht gerade viel Lust, mich mit ihr anzufreunden.
„Was machen wir jetzt?“, fragte ich mit einem genervten Unterton.
„Jetzt gehen wir erstmal anstatt zu mir nach Hause, in ein Café und trinken einen Tee und essen etwas. Ich habe dich vorhin angelogen, das tut mir sehr leid, deswegen soll ein Teil wenigstens der Wahrheit entsprechen“, sagte sie und versuchte, mich wohl damit aufzuheitern. Vergeblich.
Ich hatte immer noch keine Lust mich zusammen mit ihr an einen Tisch zu setzen und mit ihr zu unterhalten. Aber wenn meine Mutter wollte, dass ich bei ihr wohnte, würde sie bestimmt auch wollen, dass ich mich mit ihr verstand.
„Okay“, gab ich schließlich widerwillig nach, denn eins war mir klar: Wenn ich meine Mutter nie mehr sehen würde, wollte ich ihr wenigstens ihren letzten Wunsch erfüllen.
Das erste Mal seit ich sie kannte, also noch nicht sehr lange, sah ich einen etwas entspannteren Ausdruck in dem Gesicht meiner Großmutter.
„Okay, das freut mich. In welchem Café gibt es die besten Kekse?“, fragte sie mich und grinste über beide Ohren. Vielleicht war sie doch nicht so unausstehlich, wie ich dachte. Ein Teil von mir wollte sich mit ihr verstehen. Das aber nur wegen meiner Mutter! Aber ein anderer Teil von mir konnte ihr einfach nicht verzeihen, dass sie sich so lange nicht hatte blicken lassen.
„Das Café