Die Bibliothek des Kurfürsten. Birgit Erwin
Читать онлайн книгу.Augen waren tellergroß.
»Kuno? Und wie weiter?«
»Das weiß ich nicht«, hauchte sie.
Irgendjemand lachte abfällig.
Maxilius setzte den Hut wieder ab. Er sah zu Lena hinüber, die ratlos die Achseln zuckte.
»Nun gut, Mädchen, du wirst jetzt mit Lena in die Garnison gehen und dort auf mich warten. Ich muss mir deine Geschichte in Ruhe anhören. Leutnant!«
Karius trat zu seinem Vorgesetzten. »Herr Major?«
»Ihr begleitet die beiden Frauen. Seht zu, dass sie mit allem Nötigen versorgt werden.«
»Und der Katholik?«
»Ich werde wohl in der Lage sein, auf ihn aufzupassen. Und auch ein irrgläubiger Ketzer wird nicht die Macht haben, sich einfach in Luft aufzulösen«, entgegnete Maxilius bissig.
Karius wurde rot, soweit die Farben seiner Blessuren das zuließen. Er befahl Anni und Lena, ihm zu folgen. Plötzlich erinnerte sich Lena an Jiří. Sie schaute sich um. Er stand in einiger Entfernung. Vielleicht konnte Jakob sich nicht unsichtbar machen, Jiří konnte es jedenfalls hervorragend. Obwohl er sich nicht eigentlich versteckte, gelang es ihm, vollkommen unauffällig zu wirken. Er grinste ihr zu.
»Macht endlich!«, rief Karius.
Jakob sah Karius und den beiden Frauen hinterher. Es war eine Befreiung, den Leutnant ziehen zu sehen. Mit gehässigen, geschwollenen Argusaugen hatte Karius ihn während der letzten halben Stunde gemustert und immer wieder geraunt: »Ja, erzähl deinem katholischen Herrn nur, wie gut Heidelberg befestigt ist.«
Dabei hatte Jakob von der praktischen Seite der Schanzarbeiten keinerlei Ahnung und es hatte auch nichts mit seinem Auftrag zu tun, dennoch war er routiniert genug, sich möglichst viel von dem zu merken, was der Vorarbeiter Maxilius und dem Rat berichtete. Alles, so hatte der Herzog ihm während der letzten geheimen Audienz eingeschärft, konnte wichtig, konnte kriegsentscheidend sein. Und natürlich würde Jakob berichten, wenn er gefragt wurde.
Er seufzte. Was hätte Karius gelacht, wenn er gewusst hätte, dass Jakob insgeheim hoffte, nicht gefragt zu werden.
Der Vorarbeiter sprach immer noch. Es war ihm anzumerken, dass er stolz auf seine Arbeit und seine Männer war. Maxilius unterbrach ihn hier und da mit einer Frage. Dass die Mitglieder des Rates immer ungeduldiger wurden, schien keiner der beiden zu bemerken, wobei Jakob vermutete, dass es Maxilius sehr wohl bewusst war und dass die eine oder andere Frage den Bericht unnötig in die Länge zog. Doch besonders die beiden Oberen Räte, die Vertreter des kurfürstlichen Rates, durften sich nichts anmerken lassen. Der ältere der beiden, ein weißhaariger Mittfünfziger, stützte sich schwer auf einen Stock. Nur Rat Hirsch gähnte von Zeit zu Zeit verstohlen, wenn er sich unbeobachtet wähnte.
Eine weitere Viertelstunde verstrich, bis der Vorarbeiter sich tief verbeugte und an seine Arbeit zurückkehrte. Die Gruppe löste sich auf, und Jakob wusste, was jetzt kommen würde. Noch ehe Maxilius ihn mit einer barschen Geste zu sich zitieren konnte, ging er auf den Stadtkommandanten zu.
»Ihr habt Euch mit meinem Leutnant geprügelt«, stellte Maxilius ausdruckslos fest. »Ist das das, was Katholiken unter Diplomatie verstehen?«
»Ich bin kein Schläger«, verwahrte sich Jakob nachdrücklich.
»Ihr nicht. Sei’s drum.« Maxilius sah den Räten nach, die unbeholfen ihren Weg über die Baustelle suchten. »Die Herren diskutieren wahrscheinlich gerade meinen Geisteszustand, weil ich einen katholischen Spion auf die Schanzen lasse.«
»Der Leutnant hielt es für eine notwendige Machtdemonstration, die mich entsprechend demütig stimmen sollte.«
Maxilius’ Mundwinkel zuckten. »Und? Ist es gelungen? Was denkt Ihr?«
»Nichts.«
»Natürlich denkt Ihr etwas. Ihr denkt immer etwas. Aber damit Ihr nicht vom Wesentlichen abgelenkt werdet, will ich Euch die Wahrheit verraten. Es ist herzlich egal, ob Ihr hier steht oder nicht. Jeder halbwegs fähige General kann sich die Arbeiten vorstellen. Und Tilly ist mehr als halbwegs fähig. Nein, wenn es so weit ist, wird es in meiner Hand liegen, ob ich die Tore öffne oder es darauf ankommen lasse, dass die Stadt erobert wird. Und da kann keine Mauer mir helfen. Nur Gott.« Jakob schluckte und Maxilius lachte trocken auf. »Lasst Euch deswegen keine grauen Haare wachsen, obwohl Ihr ein paar davon bekommen habt in den letzten drei Jahren. Erstattet mir lieber Bericht.«
»Sollte das nicht der Leutnant tun?«
»Wird er, glaubt mir. Aber jetzt seid Ihr an der Reihe. Was hat es mit dem Namen des Toten auf sich?«
»Das weiß ich nicht. Lena hat ihn nicht erwähnt, als ich sie danach gefragt habe. Ich nehme an …« Er brach ab.
»Dass sie die kleine Hure beschützen wollte? Sehr wahrscheinlich. Habt Ihr diesen Kuno auch getroffen? Ihr habt ja in Reilings Hof übernachtet. Wie lange? Eine Nacht? Zwei?«
»Eine. Und nein, ich habe ihn nicht getroffen. Jedenfalls nicht bewusst. Vielleicht kann uns Anni mehr darüber erzählen, was er hier wollte.« Jakob rief sich den Auftritt der beiden Frauen ins Gedächtnis und lächelte. »Ich bin sicher, Ihr werdet alles von ihr erfahren. Sie hat Euch ja angeschaut wie ein höheres Wesen.«
Maxilius verzog das Gesicht. »Da halte ich mich lieber an Lenas gesunden Menschenverstand. Sie vertraut Euch, und darum bin ich bereit, auf Euch zu hören. Was denkt Euer verschlagenes Politikergehirn? Wer ist der junge Mann und warum ist er tot?«
»Ein Liebeshändel?«
»Möglich, aber für diese Antwort brauche ich kein Politikerhirn. Seht Ihr, es ist wie vor drei Jahren. Ihr seid da und schon gibt es Tote. Politische Tote.« Er klang angewidert. Jakob wartete und Maxilius wurde lauter. »Ihr werdet Euch nicht ewig hinter Eurem Schweigen verstecken können. Es gibt Leute, die fordern, dass ich die Wahrheit auf der Folter aus Euch heraushole. Ich tue es nicht, weil …« Er hob die Hände. »Ich weiß selbst nicht, warum. Vielleicht wegen Sophie. Oder weil ich denke, dass Ihr zu anständig für einen Politiker seid. Jedenfalls werdet Ihr die Fragen beantworten, die ich Euch stelle.«
Jakob starrte über die Schanzarbeiten hinweg. »Ihr kennt die Kräfte so gut wie ich. Tilly. Euer Kurfürst. Spinola … Jeder von denen hat seine Agenten, seine Boten … Ihr beherbergt einen Katholiken in Euren Mauern.«
Maxilius lachte spöttisch. »Rodriguez? Bevor ich vor dem Angst habe, fange ich an, katholische Mäuse zu fürchten. Tilly auf dem Weg in den Odenwald, Spinola in Kaiserslautern. Heidelberg in der Mitte …«
Jakob fiel auf, dass Maxilius den Kurfürsten nicht erwähnte. Entweder erhoffte er sich nichts von dieser Seite oder der Major kannte die Agenten Friedrichs. Jakob runzelte nachdenklich die Stirn. Es war ein interessanter Gedanke, den es sich weiterzuverfolgen lohnte.
»Ist Euch etwas eingefallen?«
Jakob schüttelte den Kopf.
»Ihr solltet lernen, besser zu lügen«, sagte Maxilius müde. »Aber egal. Gehen wir.«
»Wohin?«
»In die Garnison«, erklärte Maxilius überrascht. »Wohin sonst?«
Da Maxilius zu Fuß gekommen war, war Jakob gezwungen, sein Pferd zurückzulassen. Dass der Stadtkommandant ihm mürrisch versicherte, das Tier werde in seinen Stall zurückgebracht, beruhigte ihn nicht. Jakob liebte die temperamentvolle Rappstute, und der Gedanke, dass ein anderer sie ritt, war ihm zuwider. Maxilius hatte die Diskussion beendet, indem er halb ungeduldig, halb spöttisch ausgerufen hatte: »Lieber Himmel, Mann, sucht Euch eine echte Frau!«
Jakob hüllte sich seitdem in empörtes Schweigen, und Maxilius machte keine Anstalten, es zu brechen. Jakob hatte den Verdacht, dass der Stadtkommandant sich auf seine grimmige Weise über ihn lustig machte. Während sie in flottem Tempo durch die Stadt gingen, tauchten die Bilder seines letzten Besuches vor seinem inneren Auge auf. Er dachte an Matthias, den er immer noch nicht wiedergesehen hatte. Und an Sophie. Jakob fühlte, wie ihm warm