Die Muse von Florenz. Manuela Terzi
Читать онлайн книгу.»Ich werde nicht aufhören zu fragen. Auch wenn du mich einsperrst, hörst du?«
Ein harter Schlag gegen das dunkel gebeizte Holz der Tür brachte Juliana zum Verstummen. Verzagt wich sie zurück und setzte sich mit dem Rücken zur Tür, in der Hoffnung, dass Maria bald zurückkäme. Nach einer Weile kauerte sie sich auf den kühlen Boden und entzündete ein Talglicht. Im fahlen Schein begann sie leise zu beten. Es gelang ihr nicht, sich Gott zu öffnen wie an anderen Tagen. Immer wieder schweiften ihre Gedanken ab.
Der Tag zog sich hin und ließ Juliana Zeit, über die cupola und ihre Begegnung mit Dario nachzudenken, diesem ungehobelten Handlanger Brunelleschis. Was würde sie ihm sagen, wenn sie ihm begegnete? Vielleicht freute er sich, sie zu sehen.
War die Meute vor dem Haus erschöpft? Die aufgebrachten Rufe waren inzwischen verstummt, denn sie hörte den Glockenschlag der nahen Basilika. Angestrengt lauschte sie an der Tür. Schwere Schritte hallten auf dem ersten Treppenabsatz, nicht die vertrauten Schritte ihres Vaters, sondern die eines Fremden. Galt ihm vielleicht der Zorn der Menschen? Gewährte Vater ihm heimlich Zuflucht?
»Du schließt Frau und Kind ein, Ferdinando?«
»Du hast die unerträglich heißen Sommer in Florenz vergessen, mein Freund!« Ihr Vater lachte. Unbeschwert, als wären die letzten Stunden in der Casa Serrati nur ein böser Traum gewesen. »Es wurde Zeit, dass du kommst. Du siehst selbst, was mich dein Rat gekostet hat. Schlaflose Nächte, Angst um meine Familie. Diese Männer vor meinem Haus werden nicht eher ruhen, bis sie die Wahrheit herausfinden.«
»Es war eure Entscheidung, die Verträge zugunsten der Opera zu ändern, Ferdinando. Nun findet einen Weg, das zu klären. Zwar fand Brunelleschi bisher nie Zeit, alles zu kontrollieren, aber …«
Suchte der Fremde eine Aussprache mit Brunelleschi? Seit seinem Erscheinen mussten gut zehn weitere Männer durch den Geheimgang gekommen sein. Nur so konnte sie sich die plötzliche Anwesenheit mehrerer Männer erklären, deren Stimmen jenen ähnelten, die sie vor einigen Tagen gehört hatte, bevor die überraschenden Besucher des Hauses verwiesen worden waren. Antonio empfing sie. Nur Giovanni Baldachi fehlte.
Eifersucht durchfuhr Juliana. Warum vertraute Vater Antonio neuerdings? Und schlimmer! Alle kannten den Geheimgang und konnten ungehindert in die Casa Serrati eindringen. Nun saßen sie in der Falle, umgeben von dicken Balken, die Licht und Zuversicht aussperrten, vor geschlossenen Fenstern und mit der bangen Frage, ob das Licht des nächsten Morgens die Casa wieder durchfluten würde.
Seufzend starrte Juliana ins Halbdunkel ihrer Kammer, bis plötzlich das Talglicht flackerte. Sie hob es an und hielt ihre Hand schützend davor. Da bemerkte sie einen matten Lichtschein, der die hintere Wand ihrer Kammer teilte. Behutsam strich sie mit der Hand über die Wand und wich überrascht zurück. Ein weiterer Geheimgang? Schon drückte sie gegen die mit weichem Brokat bezogene Wand. Sie meinte, die Stimmen lauter zu hören, drückte, bis die Wand einen Gang preisgab.
»Er wird dafür büßen, was er mir und meiner Familie angetan hat!« Nach einigen Schritten vernahm sie die Stimme ihres Vaters so laut, als stünde er unmittelbar neben ihr.
Kapitel 4
Dämonen jagten Juliana durch dunkle Gänge, in denen tiefes, unheilvolles Grollen und schmerzerstickte Schreie hallten. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Ein grelles Licht am Ende des Ganges versprach Rettung, doch es entschwand immer wieder ihrem Blick. Mit jedem Schritt entfernte sie sich mehr vom Weg der Tugend und verlor sich in lockender Süße verzehrender Leidenschaft. Juliana zerrte verzweifelt an ihrem Surcot, der an Nägeln in der Wand hängen geblieben war und sie daran hinderte, den rettenden Schein zu erreichen. Ein greller Lichtstrahl blendete sie.
»Herr im Himmel, ich werde nie wieder Unrecht tun!«, rief sie und fuhr hoch. Schweißgebadet saß sie am nächsten Morgen in ihrem Bett und begegnete dem besorgten Blick ihrer Mutter.
»Du hattest einen Albtraum, Liebes.« Dina fasste nach Julianas Hand und zog ihr den Surcot über die entblößten Schultern.
»Die Sonne ist so hell.« Juliana hielt inne. Die Fensterläden waren wieder offen!
»Die gute Maria wird nachlässig. Hast du im Surcot geschlafen?« Dina ließ prüfend ihren Blick über das ungewohnte Chaos in Julianas Kammer wandern. »Zieh dich ordentlich an und komm in mein Zimmer, dann sprechen wir über alles«, sagte sie.
»Hat Vater also endlich Vernunft angenommen«, flüsterte Juliana erleichtert. Hastig setzte sie sich auf und umarmte ihre Mutter. Sie dachte an die seltsame Unterredung der Männer, die sie belauscht hatte. Welche Verträge hatte Vater geändert und in wessen Auftrag? Er war bekannt dafür, dass alles auf den Gulden genau festgehalten wurde.
»Das Talglicht erlosch vor dem Schlafengehen mitten im Gebet.« Julianas Wangen glühten. Sie bemerkte die verräterischen roten Flecken auf dem Bettlaken. Und die Fußspuren zur Wand, wo sie die unverhoffte Tür zum Geheimgang entdeckt hatte. Gewiss gab es noch mehr in der Casa Serrati.
In ihrer Aufgewühltheit nach ihrem Ausflug hatte sie Darios Geschenk mit ins Bett genommen. Rasch rutschte sie über die schmutzige Stelle, um die Neugier ihrer Mutter nicht zu schüren, und ignorierte das unangenehme Drücken des Backsteins unter ihrem Gesäß. Kaum hatte ihre Mutter die Kammer verlassen, stürzte Juliana ans Fenster. Der vertraute Duft der Stadt waberte um ihre Nase. Frische Luft erfüllte die Kammer und schenkte ihr neue Hoffnung. Von Leichtigkeit erfüllt, drehte sie sich übermütig im Kreis, bis sie taumelnd auf das Bett zuwankte und hineinfiel. Sie konnte die Casa verlassen, war nicht länger Gefangene. Das Klopfen und Hämmern an der Piazza del Duomo, das in den letzten Minuten bis zu ihrem Fenster zu hören gewesen war, erfüllte sie mit Lebenslust.
*
Mit einem Lächeln betrat sie nach einer äußerst flüchtigen Morgentoilette Mutters Salon. Dort verzog sie enttäuscht den Mund. In der Mitte des Tisches stand eine geöffnete Holztruhe mit halb fertigen Stickereien.
Ihre Mutter ignorierte ihre Enttäuschung und wies auf den Stuhl zu ihrer Rechten. »Es wird Zeit, dich deinen Kunstfertigkeiten zu widmen. Dein Vater muss in einer dringenden Sache in die Signoria. Wir haben also den ganzen Tag Zeit zu reden und ich habe ein Auge auf die Fortschritte, die deiner Aussteuer zugutekommen.«
Juliana schluckte. Sollte sie ihre Mutter fragen, ob Antonio tatsächlich gewillt war, sie zu ehelichen? Was wollte er mit einer jungen Frau, die kein Interesse am Sticken zeigte und deren Herz längst vergeben war?
Von Weitem konnte man deutlich erkennen, welche Stickereien durch die geschickte Hand ihrer Mutter entstanden waren. Die kunstvoll verzierten Tücher und Deckchen machten die Casa Serrati wohnlich. Sie zeugten von der liebevollen Hand einer Frau, die es perfekt verstand, den Haushalt zu führen und ein gemütliches Heim zu gestalten. Im Gegensatz dazu die zerknüllten, halb vollendeten Tücher Julianas, die vielleicht Maria aus Sentimentalität aufbewahrte. Keinesfalls würden sie jemals einen Tisch zieren. An manchen Stellen eines vermaledeiten Tüchleins erinnerte sich Juliana sogar an die damit verbundenen Tränen. Bei Gott, sie verabscheute diese quälend langsam verrinnenden vertanen Stunden der Stickerei!
Der seltsame Traum der letzten Nacht ging ihr nicht aus dem Kopf. Schuld daran war ihr Vater. Sein Zorn trieb ihn immer tiefer ins Verderben. Er wird dafür büßen, was er mir und meiner Familie angetan hat. Dieser Satz ging ihr nicht mehr aus dem Ohr. Meinte er tatsächlich den capomaestro oder verwechselte er ihn im Zorn?
Ihre Rückkehr aus dem zufällig entdeckten Geheimgang war eine Flucht gewesen. Längst war das Talglicht in ihrer Hand erloschen, sodass sie Schritt für Schritt durch die Dunkelheit einen Weg zurück in ihre Kammer hatte finden müssen. Außer Atem und voller Angst hatte sie bis zum Morgengrauen in einer Ecke gekauert und war erst kurz vor Mutters Erscheinen mit Darios Backstein in der Hand unter die Decke geschlüpft.
Beschämt sah Juliana auf ihre Finger, während Mutter unbeirrt an ihrer Stickerei arbeitete. Nicht nur das Rot des Backsteins hatte seine Spuren hinterlassen. Staub und ein übler Geruch hingen in ihrer Nase. Der Backstein ließ sich nicht verleugnen, fürchtete sie. Er brandmarkte sie. Darum nahm sie verstohlen das größte Tuch in der Hoffnung, Mutter würde