Die Muse von Florenz. Manuela Terzi
Читать онлайн книгу.Schuld, dass sie reich sind.«
Assunita schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre dunklen Locken umhersprangen. »Einen Teil dazu hat dein Vater gewiss beigetragen. Meinst du, ich würde nicht gern in einem Palazzo wie dem euren wohnen? Dummchen! Ihr habt fließendes Wasser und die Köchin fährt euer Essen durch dieses Loch …«
»Das nennt man Fahrstuhl.« Juliana schniefte verlegen. Die beiden Mädchen waren sich so nah in ihren Gedanken, dass Juliana oftmals vergaß, aus welch einfachen Verhältnissen ihre Freundin stammte. Die Tochter des hiesigen Bäckers musste zwar nicht Not leiden, doch die Casa Serrati mit ihren kunstvollen Wandmalereien und dem kostbaren Mobiliar aus aller Welt musste ihrer Freundin einem Märchen gleich erscheinen. Umso mehr freute sie sich über Julianas abgetragene Kleider, auch wenn sich kaum Gelegenheit bot, diese auszutragen. Juliana hielt inne. Durfte sich ihre Familie glücklich schätzen? Sie dachte an den schweren Tresor, den Vater streng bewachen ließ. Oft saß er nachts neben diesem Kasten und starrte auf die schweren Ketten und Schlösser. Sie seufzte leise. Niemand sah in all dem Reichtum und der prunkvollen Casa ihre Fesseln und den goldenen Käfig, der alles von ihr fernhielt, was sie so gern erleben würde.
»Juliana?«
Längst war sie mit ihren Gedanken bei der Piazza, der Basilika und den sehnigen Händen des ungehobelten Handwerkers. Darios Anblick verfolgte sie, wenn sie ihre Augen schloss, und so tat sie, als blende sie die Sonne, um nicht Assunitas Aufmerksamkeit zu wecken. Ob die Freundin verstehen würde, was ihr selbst unerklärlich war? Sie war ein Kind für den erfahrenen Mann. Gewiss hatte er ihre kurze Begegnung längst vergessen. Juliana hingegen konnte an nichts anderes denken.
»Zeig ihn mir. Nur ein einziges Mal, bitte!«
Das hatte Assunita mehrmals gesagt, Juliana hatte das Flehen ihrer neugierigen Freundin nicht gehört. Gedankenversunken blickte sie auf die dicken Stadtmauern, die Florenz umringten. Ihre Ungeduld wuchs, der Enge des Elternhauses für ein paar Stunden zu entfliehen. Sie brannte darauf, die Stadt zu erkunden. Vielleicht begegnete sie ihrem unverhofften Retter aus dem Duomo?
»Gehen wir zu den Stadtmauern oberhalb von San Niccolò?«, fragte sie Assunita unbedarft und tat, als interessiere sie der Backstein und dessen Überbringer nicht länger. Der Wachturm von San Niccolò lag am Ufer des Arno. Er war unzählige Ellen breit. Im Schatten der Stadtmauern konnten sie sich meist unbehelligt aufhalten. Im Dickicht der silbrig glänzenden Olivenbäume entkamen sie oft der brütenden Hitze in den engen Gassen und konnten die stickigen Kleider bis über die Knie raffen. Trotz eines Regenschauers, der zumindest in der Nacht für Abkühlung gesorgt hatte, versprach der klare Morgen einen weiteren heißen Tag. Von dem Wachturm bot sich ein unvergesslicher Ausblick über die Stadt und ihren dichten Kern, dessen Herz Santa Maria del Fiore bildete. Wie prächtig die Kuppel über der Stadt thronen würde, wenn sie fertig war. Auf dem Weg zum Wachturm würden sie unweigerlich die Piazza del Duomo überschreiten, und wer weiß, vielleicht trafen sie wahrhaftig Dario.
Juliana wandte sich fragend um. Assunita kniete bereits mit einem erwartungsvollen Lächeln vor der geöffneten Truhe. Kaum hatte Juliana zustimmend genickt, glitten die Hände ihrer Freundin unter den sorgsam gefalteten Stapel Kleider.
»Ich verstehe nicht, was es damit auf sich hat.« Assunita betrachtete den Backstein belustigt von allen Seiten, dann sah sie bestürzt auf ihre rot gefärbten Hände. »Vielleicht möchte er dich einladen, gemeinsam mit ihm die cupola zu bauen?« Kaum hatte sie das gesagt, bekreuzigte sie sich und senkte den Blick. »Verzeih. Was auch immer diesen Mann dazu bewogen haben mag.«
Juliana horchte auf. »Kennst du Dario?«
»Das ist nicht möglich. Er ist geizig und eigenbrötlerisch, aber verschwenderisch im Verteilen fremder Geldscheine.« Assunita sog überrascht die Luft ein. »Dario gab dir diesen Backstein? Niemals hätte er dir erlaubt, dich dem Modell zu nähern. Er ist gefühlskalt und rau, der Freund deines capomaestro.«
»Sein Freund, sagst du?« Juliana schüttelte ungläubig den Kopf. Auch mochte Dario vieles sein, gewiss nicht gefühlskalt. Sie lächelte verträumt. Die Leidenschaft, mit der er das Modell und sie vor Roberto beschützt hatte, verriet, dass Assunitas Behauptungen nicht zutrafen. Sie hätte nicht gewagt, sich nach dem Mann zu erkundigen, der offenbar ein Vertrauter des capomaestro war, und ausgerechnet Assunita wusste, was es mit ihm auf sich hatte? Angespannt wartete sie darauf, dass Assunita weitersprach.
Um den Mund ihrer Freundin zeichnete sich ein sanftes Lächeln ab. »Du hast keine Vorstellung! Viele Männer rühmen sich, an der Seite Brunelleschis helfen zu dürfen, die Kuppel zu bauen!« Sie genoss Julianas Ungeduld, dann lachte sie lauthals auf. »Ich habe eine Idee, allerdings musst du all deinen Mut zusammennehmen.«
»Niemals, Assunita! Ich kann Vater nicht fragen, ob er ihn kennt! Dann müsste ich ihm beichten, dass ich Dario so nah war.« Dario, nahe. Sie hielt inne. Es klang vertraut.
Sofort erntete sie furchtsame, gar bestürzte Blicke. »Juliana Serrati! Es ist hoffentlich nichts passiert, dessen du dich schämen musst, oder?«
»Was, wenn es so wäre?«, flüsterte Juliana erstickt. Ihr Herz schlug so heftig gegen die Rippen, dass es wehtat. »Assunita. Was weißt du noch über …?«
»Juliana!« Harsch erklang die Stimme ihres Vaters über die Galerie, die den Innenhof an drei Seiten umrahmte.
Beschämt blickte Juliana zur Tür, wo Maria, ihre Kinderfrau, sie rügend ansah. »Was hast du wieder angestellt?«
Hastig entriss Juliana ihrer Freundin den Backstein und legte ihn in die Truhe zurück. Ungestüm schlug sie den Deckel zu und hätte Assunita beinahe die Finger eingeklemmt. »Ich bin die Tochter meines Vaters, Maria«, gab sie leichthin zurück und warf Assunita einen besorgten Blick zu.
»Er kann dir keinen Vorwurf machen. Nicht nachdem …«, sagte Assunita.
Sich keiner und aller Schuld bewusst, wich Juliana Marias Umarmung aus und eilte über die knarrende Galerie.
»Verzeiht, Vater!«, rief sie in den Salon, wo ihr der Vater verärgert entgegensah.
»Ich dulde deine Eskapaden nicht länger, Juliana. Du bringst in meinem Arbeitszimmer die Akten durcheinander, und kaum drehe ich dir den Rücken zu, läufst du aus dem Haus.«
Verwirrt blickte Juliana ihre Mutter an. »Ich bin seit dem Morgen in meiner Kammer, Vater! Assunita ist hier.«
»Sei nicht so streng mit ihr, Ferdinando.« Dina schmiegte sich an ihren Mann und küsste ihn sanft.
Er erwiderte die Zärtlichkeiten nicht. »Es ist meine Pflicht, mich um Julianas Wohl zu sorgen.«
»Bewahrst du Juliana vor Unheil oder ist sie es, die dich beschützt? Gespottet haben sie, weil dein Kind dich heimbringen musste!«
Mit aufrechtem Rücken saß ihr Vater hinter dem mit kostbaren Schnitzereien verzierten Tisch und nickte ergeben. »Wer war dieser Mann? Ich glaube, ihn zu kennen.«
»Er heißt Roberto Ma…«
Dina unterbrach ihre Tochter. »Wie auch immer, du hast Juliana gerufen, mein Lieber. Was wolltest du denn?« Offenbar hatte auch sie bemerkt, dass seine Gedanken in eine weit entfernte Welt glitten.
Nachdem ihre Mutter ihn ermahnt hatte, sah er auf und fand in die Casa Serrati zurück. »Geh, bevor ich etwas sage, das mir leidtut. Geh mit Assunita raus. Das wolltest du fragen, nicht wahr?«
Juliana brachte ein klägliches Nicken zustande. Zu bitter schmeckte ihr Triumph, geboren auf ihres Vaters Niederlage.
»Danke, Vater, ich sage es gleich Assunita!«, presste sie hervor. Aus dem Schatten der Galerie sah sie zurück. Vaters Gesicht neigte sich verzerrt nach oben. Was quälte ihn nur, dass er die Sorge um ihr Wohlbefinden neuerdings so übertrieb?
*
Juliana seufzte. Ungeduldig blickte sie auf die Via Porta Rossa zurück, wo Assunita zögernd stehen geblieben war. »Wenn du Angst hast, das Gebet zu verpassen, dann bleib hier, Assunita.« Da Vater ihr erlaubt hatte, die Casa zu verlassen, konnte Juliana es kaum erwarten, durch die Straßen zu laufen