Der Peloponnesische Krieg. Thukydides
Читать онлайн книгу.persönlich, als mit Geld, Krieg zu führen, weil sie in Betreff ihrer Person die Zuversicht haben, unter den Gefahren sich doch wohl durchzubringen, ihrer Habe wegen aber nicht versichert sind, ob sie dieselbe nicht zu früh aufzehren werden, zumal wenn, wie es doch wahrscheinlich ist, der Krieg wider ihr Vermuthen sich in die Länge ziehen sollte. In Einer Schlacht können nun zwar die Peloponnesier und ihre Bundesgenossen mit den gesammten übrigen Hellenen es wohl aufnehmen: aber einen eigentlichen Krieg gegen einen ungleich besser gerüsteten Feind zu führen, sind sie nicht im Stande, da sie einerseits keinen Vereinigungspunkt ihrer Berathschlagungen haben, und daher nichts augenblicklich und rasch ausführen können, andererseits bei gleichem Stimmrechte und verschiedener Abstammung jeder seine besonderen Zwecke verfolgt: Verhältnisse, unter welchen nichts zur Vollendung gebracht zu werden pflegt; denn während der Eine vornehmlich die Absicht hat, au Diesem oder Jenem Rache zu nehmen, wünscht der Andere die möglichste Schonung seines Eigenthums. Wenn sie nach langem Zaudern zusammen kommen, so widmen sie der Berathung des allgemeinen Wohls nur kurze Zeit, die Meisten hingegen der Betreibung ihrer besondern Angelegenheiten. Jeder meint, sein gleichgültiges Betragen werde nicht viel schaden, und es werde schon ein Anderer die Mühe übernehmen, statt seiner etwas zu besorgen: weil das her jeder Einzelne diese Einbildung für sich hegt, so leitet unvermerkt das Gesammtwohl Noth."
142. "Das wichtigste aber ist, daß der Mangel an Geld ihnen hinderlich sein wird, wiefern sie dasselbe nur allmählig und mit Zandern herbei schaffen, da doch die Gelegenheiten im Kriege kein langes Warten zulassen. Uebrigens ist weder die Anlegung von Festungen gegen uns, noch die Seemacht bei ihnen furchtbar zu achten: denn jene in gehörigen Stand zu setzen, hat schon im Frieden, selbst bei einem Staate, der andern gewachsen ist, seine Schwierigkeit, noch vielmehr aber in Feindeslande, zumal da auch, wir unsere Vollwerke haben, die wir ihnen entgegensetzen können. Werden sie aber auch eine Verschanzung zu Stande bringen, so mögen sie wohl einem Theile unseres Gebiets durch Streifzüge und Begünstigung der Ueberläufer Schaden zufügen; doch wird dieß nicht hinlänglich sein, um unser Land zu sperren, und zu uns verhindern, gegen ihr Gebiet Seezüge zu thun, und mit dem, worauf unsere Stärke beruht, mit unserer Flotte gegen sie zu kämpfen. Denn wir haben durch das Seewesen mehr Geschicklichkeit für den Landkrieg erlangt, als sie durch den Landkrieg für das Seewesen: und sie werden nicht so leicht auch Kenntniß des Seewesens sich erwerben. Seid ja doch ihr selbst darin noch nicht ganz ausgebildet, wiewohl ihr bereits seit dem Beginne der Perserkriege euch darin zu üben anfiengt: wie vermöchten nun Leute, welche den Ackerbau treiben, und nicht die Schifffahrt, darin etwas bedeutendes zu leisten, da wir überdieß ihnen keine Zeit lassen werden, sich darin zu üben, weil wir mit unserer zahlreichen Flotte sie beständig umlagert halten? denn wenn sie auch gegen wenige kreuzende Schiffe den Kampf wagen, und durch Ueberzahl bei ihrer Unerfahrenheit sich ermuthigen sollten, so werden sie sich doch ruhig verhalten müssen, wenn sie von vielen eingeschlossen werden. So werden sie dann wegen Mangels an Uebung ziemlich ungeschickt, und darum auch sehr zaghaft sein. Das Seewesen aber erfordert so sehr, als irgend Etwas anderes, Kunstfertigkeit, und man darf sich in demselben nicht etwa bei vorkommenden Fällen nebenher üben; sondern man kann vielmehr dabei keine andere Nebenbeschäftigung treiben."
143. "Sollten sie auch die Schätze zu Olympia und Delphi angreifen, und durch höhern Sold die Miethtruppen auf unsern Schiffen uns zu entführen versuchen, so wäre dieß allerdings gefährlich, für uns, wenn wir nicht durch Bemannung der Flotte aus unserer Mitte und aus den Beisitzern ihnen gewachsen wärent. Nun aber ist dieß der Fall, und was das Beste ist, wir haben Bürger zu Steuermännern, und die übrige Schiffsmannschaft ist zahlreicher und besser bei uns, als im ganzen übrigen Hellas. Auch würde wohl keiner unserer Söldner sich entschließen, auf's Gerathewohl sein Vaterland zu meiden, und unter so geringen Aussichten wegen einer Solderhöhung von wenigen Tagen sich im Kampfe an sie anzuschließen. In dieser oder einer ähnlichen Lage befinden sich nun, nach meiner Ansicht, die Peloponnesier: unser Zustand aber ist frei von den Mängeln, die ich bei Jenen gerügt habe, und hat ungleich grössere Vortheile vor ihnen voraus. Fallen sie mit einem Landheere in unser Gebiet ein, so greifen wir das ihrige mit der Flotte an: und dann ist es nicht mehr gleichbedeutend, ob ein Theil des Peloponneses von uns, oder ganz Attika von ihnen verwüstet wird: denn sie vermögen statt desselben kein anderes Land ohne Kampf zu besetzen: wir aber haben noch Land genug, theils auf den Inseln, theils auf dein Festlande. Denn gewaltig ist die Macht des Meeres. Betrachtet die Sache also: Wären wir Inselbewohner, wer würde unbezwingbarer sein, als wir? Und nun müssen wir diesem Gedanken so nahe wie möglich zu kommen suchen, unser Land-Gebiet und unsere Wohnungen verlassen und das Meer und die Stadt behaupten: und uns nicht durch leidenschaftlichen Eifer für jenes Besitzthum zu einer Entscheidungsschlacht mit den an Zahl weit stärkeren Peloponnesiern hinreißen lassen. Denn siegen wir auch, so werden wir doch bald wieder mit nicht geringeren Scharen zu kämpfen haben: verlieren wir die Schlacht, so ist die Macht unserer Bundesgenossen, die unsere Hauptstärke ausmacht, zugleich für uns verloren. Denn diese werden nicht länger ruhig bleiben, wenn wir nicht mehr im Stande sind, mit bewaffneter Macht gegen sie zu ziehen. Auch dürfen wir nicht um unsere Häuser und Felder, sondern nur um unsere Personen jammern: denn jene Dinge sind nicht Herren über die Menschen, sondern die Menschen über sie. Ja! könnte ich hoffen, euch zu überreden, so würde ich rathen, ihr selbst solltet hinausziehen, und Land und Häuser verwüsten, und so den Peloponnesiern zeigen, daß ihr um solcher Dinge willen euch ihren Befehlen nicht fügen werdet."
144. "Noch habe ich manche andere Gründe für die Hoffnung des Sieges, wofern ihr nur im Kriege nicht zugleich weitere Eroberungen machen, und durch eigene Wahl euch neue Gefahren zuziehen wollet. Denn ich fürchte weit mehr unsere eigenen Fehler, als die Plane der Gegner; doch davon soll euch ein anderer Vortrag, wenn es zur Ausführung selbst kommt, belehren. Jetzt aber wollen wir die Gesandten mit folgender Antwort entlassen: „Wir werden den Megareern den Zutritt zu unsern Märkten und Häfen gestatten, wofern auch die Lacedämonier keine Fremden mehr weder von uns, noch von unsern Bundesgenossen aus ihrem Gebiete wegweisen: denn weder das Eine, noch das Andere ist den Verträgen entgegen. Wir wollen ferner die Freiheit der Staaten ungekränkt lassen, wenn wir bereits beim Abschlusse des Vertrags sie als unabhängig behandelten, und wenn auch sie ihren Städten das Recht zurückgeben, sich nicht dem Lacedämonischen Staatsvortheile, sondern ihrem eigenen gemäs nach Gutdünken eine freie Verfassung einzurichten. Auch wollen wir eine gerichtliche Entscheidung vertragsmäßig uns gefallen lassen. Den Krieg wollen wir nicht anfangen, aber gegen Angreifer uns vertheidigen." Eine solche Antwort ist eben so gerecht, als der Würde unserer Stadt angemessen. Jedoch müssen wir uns überzeugt halten, daß der Krieg unvermeidlich ist: unternehmen wir ihn nun mit freiem Entschlusse, so werden wir uns von den Feinden um so weniger bedrängt sehen. Je gefahrvoller der Kampf, desto grösser der Ruhm, der aus ihm für den Staat und den einzelnen Bürger hervorgeht. Haben doch unsere Väter, die den Kampf mit den Persern bestanden, mit geringeren Kriegsmitteln, und sogar ihr Besitzthum verlassend, mit mehr Einsicht als Glück, mit mehr Kühnheit als Macht; die Barbaren zurückgeschlagen, und ihre Macht auf diesen Gipfel gebracht. Hinter ihnen dürfen wir nicht zurückbleiben, sondern wir müssen gegen die Feinde uns auf jede Weise vertheidigen, und uns bemühen, jene Macht den Nachkommen ungeschmälert zu hinterlassen."
145. Also redete Perikles. Die Athener aber, überzeugt, daß sein Rath der beste sei, faßten den Beschluß nach seinem Antrage. Sie antworteten daher den Lacedämoniern nach seinem Vorschläge über jeden einzelnen Punkt, und überhaupt, wie er es angegeben hatte: daß sie sich nichts werden befehlen lassen, aber bereit seien, vertragsmäßig durch rechtliche Entscheidung die Beschwerden zu erledigen, unter der Bedingung der Rechtsgleichheit. Jene kehrten nach Hause zurück, und es erschien nun weiter keine Gesandtschaft von ihnen.
146. Dieses waren die Beschwerden und Streitigkeiten beider Theile vor dem Kriege, welche gleich mit den Vorfällen in Epidamnus und Korcyra anfiengen. Doch hatten sie während derselben noch Verkehr mit einander, und gingen hin und her, zwar ohne sicheres Geleit, doch nicht ohne Mißtrauen. Denn das Vorgefallene war doch eine Störung des Friedensvertrags, und bot einen Vorwand zum Kriege dar.
1. Das heutige Durazzo.
2. Vielleicht Anspielung auf Verweigerung der Hülfe bei einem Kriege Athens