Was deine Angst dir sagen will. Andreas Winter

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Was deine Angst dir sagen will - Andreas Winter


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aus solchen Konditionierungen in der Kindheit. Die Konditionierung ist leider ein unglaublich mächtiger Faktor beim Erlernen von Verhaltensweisen – sie begleiten einen Menschen oft ein Leben lang. Solche selbst geschaffenen Verhaltensmuster haben ihren Ursprung in der Kindheit und werden durch Wiederholung, Bestätigung und tiefe emotionale Eindrücke verstärkt und unterbewusst auf weitere Reize übertragen. Da Stressreize für uns eine viel höhere Bedeutung haben, als alles andere, geschehen Konditionierungen dadurch wesentlich effektiver, nachhaltiger und schneller als mit Glücksgefühlen. Wir lernen schneller durch Schmerzen!

      Viele Menschen sind überrascht, wenn ich ihnen erkläre, dass sie als Kind in den ersten drei Jahren ihres Lebens Erlebtes rein emotional erfahren haben und es daher auch nicht zeitlich einordnen konnten. Die Konsequenz, dass Bedrohliches als Situation von ewiger Dauer abgespeichert wird und somit ein Angstmuster erzeugen kann, verblüfft zwar viele, dennoch leuchtet es den meisten Klienten ein. Da dieses Ur-Trauma vom Kind als existenzbedrohlich empfunden und unterbewusst neuronal verschaltet wird, kann es ein Leben lang durch entsprechende Trigger – also Erinnerungen – aufgerufen werden, die dann den gleichen körperlichen Stress auslösen wie das Ursprungserlebnis.

      Genau das ist der Grund, warum Angehörige häufig ratlos sind, wenn sie sehen, wie bei einem erwachsenen Menschen durch einen harmlosen Fahrstuhl, eine bevorstehende Flugreise oder einen Zahnarzttermin eine überschießende Angstreaktion ausgelöst wird. Ein Erwachsener empfindet Situationen mit einem ganz anderen kontextuellen Verständnis als ein Kleinkind – er weiß, dass Dinge wieder vorbeigehen und man sie auch aushalten kann. Ein Kind weiß das nicht! Dinge, bei denen ein Erwachsener nur gelassen mit den Achseln zuckt, erscheinen einem Kind wie eine lebensbedrohliche Katastrophe – und umgekehrt: Dinge, bei denen ein Kind glaubt, sein Leben sei in Gefahr, empfindet ein Erwachsener meist als Lappalie. Da die Logik der Symptome aber auf der Reife und der Macht eines Säuglings oder Kleinkindes basiert, welches sich vor der Wiederholung einer Traumatisierung schützen will und dieses Schutzmuster nicht bewusst entwickelt, wird ein Symptom immer deutlicher und stärker, je öfter die zu vermeidende Befürchtung eintritt.

      Je häufiger ein Mensch re-traumatisiert wird, desto schlimmer wird seine stressbedingte Störung! Wenn jemand einfach nur Angstsymptome bekämpft oder mit Medikamenten unterdrückt, fürchtet er unterbewusst den Verlust seines Schutzkonzeptes, und das Symptom verschlimmert sich. Daher ist die sogenannte Konfrontationstherapie, bei welcher der Patient absichtlich in eine Angst machende Situation versetzt wird, oft von zweifelhaftem Erfolg.

      Natürlich können Sie durch ständige Konfrontation mit Ihrer Bedrohung lernen, dass diese letztlich nicht so dramatisch ist, aber zum einen könnte man diesen Vorgang verkürzen, zum anderen etwas mehr methodisieren, und außerdem ignoriert die Konfrontationstherapie arroganterweise, dass eine Angst keine Dummheit ist, die man beseitigen muss, sondern ein intelligentes, aber eben irrationales Schutzkonzept gegen etwas, an das der Angstauslöser unterbewusst erinnert!

      Wenn ich Ihnen immer wieder eine Spinne vor die Nase halte und Sie auffordere, die Spinne zu berühren, lernen Sie vielleicht, dass diese konkrete Spinne nicht gefährlich ist. Vielleicht lassen Sie sich dann das Tier sogar über die Hand laufen, aber Sie lernen vor allem, dass Sie zuvor offenbar ein Idiot oder eine Memme gewesen sein müssen, sonst wäre ja nicht alles so einfach aufzulösen. Warum Sie aber Angst vor Spinnen hatten – und diese hat einen ernsten Hintergrund –, wissen Sie dann noch immer nicht.

      Unser Denken beginnt also bereits weit vor der Geburt (was viele Menschen nicht wissen). Darüber hinaus kann unser Gehirn nichts vergessen und jederzeit alles Datenmaterial durch das Antriggern von Emotionen abrufen.

      Erforscht wurde die immense Verknüpfungsfähigkeit des Gehirns bereits Anfang des letzten Jahrhunderts vom russischen Naturforscher und Nobelpreisträger Iwan Pawlow (1849–1936). Er stellte fest, dass immer dann, wenn er seine Laborhunde füttern wollte, die Tiere in freudiger Erwartung aufsprangen, noch bevor er die Näpfe gefüllt hatte. Er untersuchte diese Beobachtung wissenschaftlich. Dazu operierte er einem Hund, der als Pawlowscher Hund ein Begriff wurde, ein Glasröhrchen in den Unterkiefer ein, sodass man sehen und messen konnte, ob und wie viel Speichel dem Hund im Maul zusammenfließt. Dann stellte Pawlow seinem Hund einen Futternapf hin, der Hund bekam Speichelfluss. Irgendwann schlug Pawlow ein kleines Glöckchen an. Was geschah nun mit dem Hund? Nichts. Dem Tier bedeutete das Gebimmel nichts. Doch dann schlug Pawlow das Glöckchen immer kurz bevor er seinem Hund etwas zu fressen gab an. Und nach nur drei Wochen konnte er beobachten, dass die Hunde bereits auf den Glockenton mit Speichelfluss reagierten. Der Körper des Hundes zeigte eine Reaktion. Pawlow hatte nur das Glöckchen angeschlagen und gar kein Futter ausgeteilt, trotzdem bekamen die Hunde Speichelfluss – eine Verknüpfung zwischen Glöckchen und Futter hatte stattgefunden. Dem Tier lief das Wasser im Mund zusammen, weil es erwartete, es gäbe gleich etwas zu fressen.

      Eine erlernte Erwartung erzeugte eine körperliche Reaktion! Fällt Ihnen dabei etwas auf? Angst mit Herzrasen, Zittern, Schwitzen und Übelkeit ist ebenfalls eine körperliche Reaktion. Erwartungen lassen sich leicht automatisieren, denn das spart für das Gehirn eine Menge Energie. Und nicht nur der Hund ist aus diesem Grund ein Gewohnheitstier, sondern jedes Wesen mit einem Gehirn – auch der Mensch. Dieses Gehirn ist zwar unfassbar lernfähig und in seinen Rechenoperationen präzise, arbeitet aber leider zum überwiegenden Teil im Verborgenen – eben unbewusst. Es heißt, nur etwa drei bis fünf Prozent unserer gedanklichen Leistung würde ins Bewusstsein geraten. Dafür, dass wir uns alle für so rationale Wesen halten, ist das eher beschämend gering. Das große Problem unserer fleißigen grauen Masse unter der Schädeldecke ist, dass es alles wahrnimmt und nichts vergisst. Das Gehirn ist ein Hochleistungs-Großrechner, der hauptsächlich aus Wasser besteht. Es kümmert sich um sämtliche Zellen und Funktionsvorgänge im Körper und schläft nie! Dennoch ist das Gehirn der am meisten unterschätzte Körperteil. Es ist unsere Kommandozentrale und kann alles veranlassen, was wir für möglich halten. Dies geschieht mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit, die jeden noch so leistungsfähigen PC um Tausendfaches übertrifft. Daher können wir innerhalb von Sekundenbruchteilen herausfinden, ob uns ein Mensch bekannt vorkommt, sympathisch erscheint, ob wir seine Stimme mögen etc. Das schafft kein Computer – doch sogar ein Kind kann dies mühelos.

      Diese Eigenschaft der Konditionierung verhilft uns natürlich auch zu enormen Erleichterungen. So müssen wir nicht jedes Mal neu nachdenken, was eigentlich das rote Licht an der Verkehrsampel bedeutet. Bis wir darüber philosophiert haben, dass die rote Farbe uns möglicherweise an Blut erinnert, und wo Blut ist, da ist auch Verletzung und somit Gefahr – wir sollen also stehen bleiben … Und was bedeutet noch einmal Grün? Ist dies nicht Natur, Leben, Fruchtbarkeit, Nahrung? Also alles in Ordnung, ich kann fahren – zack! Rot! Konditionierungen sind sinnvoll, aber eben nicht immer, wie wir bereits gesehen haben.

      Ebenso unvorstellbar hoch wie seine Rechenleistung ist die Speicherkapazität des menschlichen Gehirns. Auf CD-ROM gebrannt, würden diese Daten einen Turm von rund 6,8 Millionen CDs mit 16 Kilometern Höhe und einem Gewicht von mehr als 1,2 Tonnen ergeben. Hinzu kommt, dass unser Gehirn vermutlich noch nicht einmal das einzige menschliche Datenverarbeitungsorgan ist. Nicht nur, dass unser gesamter Magen-Darm-Trakt von einem Nervengeflecht umhüllt ist und seine eigenen Verdauungsregeln erstellt – sogar unser Herz, so glauben Neurobiologen, arbeitet autonom und kann in gewissem Rahmen „Entscheidungen“ zur Regulierung des Organismus fällen. Die neuesten Ergebnisse in der Hirnforschung zeigen: Wahrscheinlich ist unser Gehirn sogar in der Lage, über die Zirbeldrüse auch ohne die Hilfe unserer Sinnesorgane Informationen einzufangen. Das bedeutet nichts anderes, als dass wir physikalisch (noch) nicht Messbares wahrnehmen können. Orientierung im Dunkeln oder das Registrieren von Gefahr gehören genauso dazu wie Vorahnungen von Tod oder Krankheit von Verwandten. Auch das Erdmagnetfeld wird vom Menschen unbewusst erspürt. Ob wir diese Fähigkeiten nutzen und trainieren, hängt von Glauben, Kultur, Förderung, Interesse aber auch von Selbstsicherheit, also von Angstfreiheit, ab.

      Ich möchte im Folgenden zeigen, dass Sie sich mit einer bestimmten Gesprächstechnik, in der Sie Ihre emotionalen Hirnareale nutzen, präzise und überprüfbar daran erinnern können, wo Sie als Kleinkind laufen gelernt haben,


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