Lebendige Seelsorge 4/2019. Verlag Echter

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Lebendige Seelsorge 4/2019 - Verlag Echter


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und Praxis etabliert und weiter ausdifferenziert, sodass hier inzwischen jenseits der klassischen Streitfragen zahlreiche Themen gemeinsam bearbeitet und vertieft werden können.

      Dass nahezu jede islambezogene Debatte in diesen Tagen hoch aufgeladen ist, ist hinlänglich bekannt: „Die Muslime beten uns noch in Grund und Boden!“, formulierte ein Teilnehmer einer kirchlichen Fortbildung zum Thema Islam, um seine Angst vor den vermeintlich „bekenntnisstarken“ muslimischen Gläubigen auszudrücken. Das Bedürfnis, sich kritisch vom Islam abzugrenzen und ihn als die „ganz andere“ Religion zu konturieren, scheint auch in katholischen Kreisen wieder zuzunehmen. Ein Beispiel hierfür sind Positionen, wie sie im Umfeld des Forums Deutscher Katholiken vorgetragen werden, in denen schablonenartig naive, „unkritische Islam-Bewunderer“ und vermeintlich „faktenbasierte“, realistische Sichtweisen auf den „wahren Islam“ in aufklärerischer Experten-Manier opponiert werden.

      So schreibt der Schirmherr des diesjährigen Jahreskongresses, Werner Münch, in einer Rede von 2016: „Und es ist außerordentlich erstaunlich, in welcher leichtsinnigen, ja geradezu unverantwortlichen Weise sich auch hohe Repräsentanten unserer Kirchen zum Islam äußern […]. Es wäre besser, wenn sich die Verantwortlichen in unseren Kirchen falscher und absurder öffentlicher Darstellungen enthalten und sich stattdessen Gedanken darüber machen würden, wie man den häufig von Muslimen drangsalierten und verfolgten Christen in deutschen Flüchtlingsheimen helfen kann“ (Münch, 10-11).

      Diese Aussage steht nicht nur exemplarisch für eine generell extrem polarisierte und politisierte Debatte über „den Islam“, wie sie sich schon weit vor 2015 in Deutschland abzeichnete, sondern auch für einen vehementen Widerspruch seitens „rechtgläubiger“ Kreise gegen die Aussagen des Lehramtes der römischkatholischen Kirche über den Islam.

       Anja Middelbeck-Varwick

      geb. 1974, Prof. Dr., lehrt katholische Theologie an der Europa-Universität Flensburg; Forschungsschwerpunkte auf dem Gebiet der interreligiösen und interkulturellen Theologie; entsprechend engagiert sie sich auch kirchlich besonders für die Fragen des Dialogs und der Weltkirche.

      ISLAM IN DER KRISE?

      Die Annahme eines im Aufwind befindlichen, entschieden auftretenden Islams entspricht mindestens in Deutschland kaum den Entwicklungen innerhalb der vielgestaltigen islamischen Communities. Die im Auftrag der Deutschen Islamkonferenz (DIK) erstellte Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ kommt beispielsweise zu dem Ergebnis, dass die muslimischen Migrantinnen und Migranten im Vergleich zu der deutschen Gesamtgesellschaft nicht auffällig religiöser seien (vgl. MLD 2008, 13).

      Mehr noch: Der Religionswissenschaftler Michael Blume spricht sogar von einer tiefen „Krise des Islam“ und einem „stillen Rückzug“ vom muslimischen Glauben und seiner Praxis. Hingegen äußerte die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus, dass zumindest hierzulande keinesfalls von einer grundlegenden Krise des Islam zu sprechen sei, sondern vielmehr von einem Islam „in Bewegung“: Viele für das alltägliche Zusammenleben in Deutschland bedeutsame Veränderungen vollzögen sich hierbei „völlig geräuschlos“, jenseits größerer öffentlicher Aufmerksamkeit, wie beispielsweise rechtliche Änderungen in Bestattungsfragen. Auch die unaufgeregte Etablierung des Begriffs des „Religionsverfassungsrechts“ neben dem des „Staatskirchenrechts“ zeige die sich vollziehenden Wandlungen an.

      Zweifelsohne kann notiert werden, dass das Einbringen und Einbeziehen islamischer Perspektiven inzwischen z. B. an Kitas, Schulen und Universitäten sowie in diversen Bereichen der Seelsorge selbstverständlich geworden ist. Dies gilt gleichermaßen für die Übernahme gesellschaftlicher Aufgaben, wie etwa im Einsatz für geflüchtete Menschen oder den Klimaschutz. Diese Normalisierungs- und Etablierungsprozesse decken sich keinesfalls stets mit der öffentlichen Wahrnehmung des Islams in Deutschland, die ambivalent und vielfach angstbesetzt und vorurteilsbehaftet bleibt.

      Hinzu kommt, dass auch de facto keinesfalls alles immer nur konfliktfrei verläuft: Besorgniserregend ist z. B., dass in NRW die Zahl der vom Verfassungsschutz wegen extremistischer Bewegungen beobachteten Moscheen im letzten Jahr deutlich angestiegen ist: Insgesamt stehen dort derzeit 109 der 805 Moscheen in NRW unter Beobachtung, davon 70 unter Salafismusverdacht. Die (weltweite) Zunahme des extremistischen Islamismus stellt ein massives Problem dar.

      VERÄNDERUNG DER MUSLIMISCHEN LANDSCHAFT

      Insgesamt hat sich in jüngster Zeit das Feld der muslimischen Akteurinnen und Akteure in Deutschland weiter ausdifferenziert. Infolge der Einrichtung der Deutschen Islamkonferenz (DIK) wurde seitens der großen muslimischen Verbände 2007 eine davon unabhängige Einrichtung geschaffen: Der Koordinationsrat der Muslime, der zwar bisher noch nicht die angestrebte Relevanz gewinnen konnte, aber gleichwohl seine Strukturen kontinuierlich ausformt.

      Parallel zu den muslimischen Verbänden entwickelten sich – auch virtuell – neue muslimische Dialog-Formate von Gewicht, wie z. B. die in Köln angesiedelte der Alhambra-Gesellschaft. Als fachwissenschaftlich fundiertes Themenportal für den „Dialog mit der islamischen Welt“, also auch über den hiesigen Kontext hinaus, hat sich die Seite „Qantara.de“ erfolgreich etabliert. Eine weitere alternative Institution zur Information und Begegnung mit dem Islam ist beispielsweise die im Berliner Kontext gegründete „Deutsche Islam Akademie“.

      Diese im Aufbau befindliche Akademie mit ihren vielfältigen Foren ist wiederum nicht zu verwechseln mit der ähnlich benannten, schiitischen Studien-Einrichtung, der „Islamischen Akademie Deutschland“ in Hamburg: Diese bietet in Kooperation mit der iranischen Al-Mustafa University Qom einen Bachelor-Studiengang mit besonderem Fokus auf die islamisch-schiitische Theologie an. Ihre Struktur ist vergleichbar mit dem 2016 gegründeten „Al-Mustafa Institut für Kultur-, Humanwissenschaften und islamische Studien“ mit Sitz in Berlin. Diese schiitischen Einrichtungen stellen Beispiele für herkunftsbezogene Islam-Institutionen dar, deren Verwobenheit mit den jeweiligen ausländischen politischen Interessen kritisch in den Blick zu nehmen ist.

      Zu zahlreichen Diskussionen hat die viel beachtete Gründung der Ibn Rushd-Goethe-Moschee durch die Juristin Seyran Ateş in Berlin geführt. Die Moschee beansprucht gemäß ihrer Homepage, „einen progressiven, zeitgemäßen Islam, welcher mit Demokratie und Menschenrechten vereinbar ist“, zu vertreten. Dies wirkte provozierend innerhalb der etablierten deutschen muslimischen Verbands- und Moscheelandschaft. Zugleich verdeutlichte die nachfolgende (mediale) Etikettierung einmal mehr, wie problematisch einseitige Zuweisungen von (national-) „konservativ“ und (progressiv-) „liberal“ sein können, wenn sie die innere Komplexität und Vielfalt größerer Verbände oder Moscheegemeinden verdeckt.

      In diesem Zusammenhang ist nennenswert, dass der „Liberal-islamische Bund e. V.“ (LIB) mit seinen Gemeinden in Berlin, Köln, Frankfurt, Stuttgart und Hamburg das Kennzeichen „liberal“ nicht nur im Namen führt, sondern auch der Sache nach seit vielen Jahren in vielen Dimensionen vertritt, wie zum Beispiel das bemerkenswerte, kontinuierliche Dialog-Engagement von Rabeya Müller illustriert. Aufmerksamkeit erzielte sodann die umstrittene „Initiative säkularer Islam“, die die Eröffnung der vierten Deutschen Islamkonferenz (DIK) 2018 zum Anlass ihrer Gründung nahm. Ihr Anspruch besteht darin, einem bisher „unterrepräsentierten Spektrum innerhalb des Islam“ Sichtbarkeit zu verleihen. Dieser Initiative, deren Nachhaltigkeit sich noch erweisen muss, gehören Personen wie Cem Özdemir, Hamed Abdel-Samed oder Necla Kelek an.

      VERÄNDERTER GESELLSCHAFTLICHER RAHMEN DES DIALOGS

      Die skizzierten Entwicklungen bilden zugleich ein verändertes Setting für den interreligiösen Dialog, der sich gleichfalls in vielerlei Hinsicht neu herausgefordert sieht. Denn während es bis in die 1990er Jahre so schien, als seien interreligiöse Dialoge hierzulande quasi omnipräsent und die so genannte „Multikulturalität“ ein großes gesellschaftliches Ideal, haben sich diese Koordinaten gegenwärtig massiv verschoben. Die Ereignisse des 11. Septembers 2001 markierten nicht nur in Bezug auf das Gespräch mit „dem“ Islam eine verheerende Wende: Verstärkt wurden Zweifel am Sinn interreligiöser Dialoge laut, vermehrt wurde fortan problematisiert, warum und wozu dieser überhaupt geführt werde.

      Diese


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