Lebendige Seelsorge 4/2019. Verlag Echter

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Lebendige Seelsorge 4/2019 - Verlag Echter


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mit Juden und Christen ausrichtet. Wie sind solche Gespräche heute anzulegen?

      THEOLOGIE ALS VERGLEICH?

      Man könnte es mit einer „komparativen Theologie“ versuchen. Wohlgemerkt laufen unter dieser Bezeichnung auch deutlich weiter führende Ansätze als der hier skizzierte, vielleicht sogar karikierte (vgl. von Stosch; Clooney 2013). Ein komparativ-theologischer Rahmen würde die Religionsbegegnung wohl „positional“ anlegen. Das heißt, man erklärt gleich eingangs, man habe selbst eine bestimmte Glaubens- „Position“, die man denn auch nicht zur Debatte stellt; sie soll ja einen der Vergleichspunkte abgeben. Zweitens wählt man nun eine genau eingegrenzte Fragestellung, die man in mindestens zwei Glaubenstraditionen – der eigenen und einer anderen – darstellt. Was ist etwa die „Position“ der frühen Schia bezüglich unschuldigem Leiden? Drittens sucht man sich nun auf jeder Seite einen Text, ein Symbol oder einen Vollzug und hält das so Herauspräparierte vergleichend nebeneinander. Unterschiede und Gemeinsamkeiten werden sichtbar.

      Ein solches komparatives Verfahren ließe jedoch drei Grundzüge der christlichen Glaubenserkenntnis unter den Tisch fallen. Sie ist gerade keine Position, sondern Teil der Geschichte. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil heißt das riskant geschichtliche Vorankommen des Christuszeugnisses durch Begegnung mit dem anderen: „Dialog“. Dieser geschichtstheologische Grundgestus ist allerdings bereits biblisch. Man kann das anhand eines Ausdrucks im Kolosserbrief zeigen: Alle, so der Wunsch dort, sollen „getröstet werden, verbunden in der Liebe, um die tiefe und reiche Einsicht zu erlangen und das Geheimnis Gottes zu erkennen, das Christus ist. In ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen“ (2,2f.).

      Die Erkenntnis Christi ist eben noch kein vollständiges Begreifen, sondern immer erst ein Vorausgreifen, und zwar auf das Ganze, das uns schon ergreift (vgl. Philipper 3,12). Alles, was in der Geschichte geschieht, kann weiter erhellen, was das denn ist, was in Christus noch verborgen ist. Glauben geschieht nicht im Gestus der Position, sondern der Antizipation (vgl. Pannenberg, 121, 126, 175: „proleptisch“, „doxologisch“). Daher wird man christlicherseits nicht vor der nächsten Begegnung mit Menschen anderen Glaubens behaupten wollen, man habe ja schon seine durchklärte Position. Die komparativ-methodische Herauslösung eines Teilbereichs der Glaubenslehre soll den Vergleich ermöglichen. Dieses – das sogenannte mikrologische – Verfahren scheint auszublenden, dass eine religiöse Sichtweise gewöhnlich keine Ansammlung von Einzelpositionen ist. Vielmehr gehört in einer Glaubenssicht alles zusammen und deutet sich gegenseitig. Denn das Einzelne hat seinen Sinn als Teil des Gesamten. So lässt sich aus christlicher Sicht die oben als Beispiel gestellte Frage nach dem unschuldigen Leiden nur im Zusammenhang mit der Christusgeschichte – und von dort aus mit Schöpfungs- und Erlösungslehre – beantworten.

      Drittens wird ein „positionaler“ Vergleich der ja immer geschichtlichen Christuserkenntnis deshalb nicht gerecht, weil sie sich in der Begegnung erweitert. Jede dialogisch interreligiöse Begegnung kann die Gläubigen beider Seiten „reinigen und bereichern“ (Franziskus 2013, § 250; Sekretariat, § 21).

      THEOLOGIE ALS INTERAKTION

      Wenn eine Theologie sich – im hier gezeichneten und möglicherweise überzeichneten – Sinn ans Vergleichen macht, scheint sie aus sich selbst und aus dem anderen je ein Stück herauszuschneiden, um beides von sich weg, vor sich nebeneinander halten zu können. So ist man noch nicht wirklich in der Dynamik des Dialogs. Er kann ja erst aufgrund von Begegnung entstehen; und aus einer Begegnung kann man sich selbst und sein eigenes Werden nicht heraushalten. Schematisch beschreiben lassen sich Begegnungen als Geschehen mit dreierlei Ausrichtung.

      Von Angesicht zu Angesicht - Seite an Seite - Rücken an Rücken.

      Vielleicht sollte man beginnen mit der Ausrichtung „Seite an Seite“, wenn denn „Liebe nicht darin besteht, dass man einander ansieht, sondern dass man gemeinsam in gleicher Richtung blickt“ (de Saint-Exupéry, 216). Von dieser Ausrichtung geprägt ist die „kooperative Theologie“ (Specker, 9). Beide legen ihre augenblicklichen Kräfte und überlieferten Lösungsmuster zusammen, um sich den heute in den Blick tretenden Herausforderungen gemeinsam zu stellen.

      Theologie über Religionsgrenzen hinweg ist erst dann Begegnung, Dialog, Interaktion, wenn beide Seiten zur selben Zeit leben.

      Vor jedem gemeinsamen Problemlösen aber geschieht Begegnung natürlich „von Angesicht zu Angesicht“. Was wäre dann eine treffende Bezeichnung für ein solches theologisches Lernen miteinander, in gegenseitiger Anregung, durch immer neue Missverständnisse und Verständigungen, Einwände und Einsichten? Hierfür bietet sich ein neuer Name an: „interaktive Theologie“.

      Für eine interaktive Theologie genügt es nun nicht, dass beispielsweise ein katholischer Theologe Rahner- und von Balthasar-Zitate gegen Stücke aus tamilischen Kommentaren der Vishnu-Frömmigkeit des 12. und 13. Jahrhunderts hält; so eindrucksvoll solche Vergleiche auch sein mögen (vgl. Clooney 2001). Theologie über Religionsgrenzen hinweg ist erst dann Begegnung, Dialog, Interaktion, wenn beide Seiten zur selben Zeit leben. Dann können sie nämlich beide aufeinander eingehen. Das verlangt nun aber auch, dass sie einander verstehen – zumindest den in weiteren Begegnungen überprüfbaren Eindruck bekommen, man beginne einander zu verstehen. Eine solche Begegnungsgeschichte setzt zugleich voraus und bewirkt, dass man sich annähernde Begriffe davon hat, was vernünftig ist. Eine Universität ist dafür wohl der günstigste Rahmen.

      Jede theologische Interaktion muss aber auch lernen, eine bisher noch nicht genügend benannte Gefahr zu erkennen. Sie ließe sich bezeichnen als „die personalistische Falle“. Nicht selten hört man, mit „dem Islam“ ließe sich ja schon deshalb nicht reden, weil es „den Islam“ nicht gibt, sondern nur verschiedene Musliminnen und Muslime. Wenn jedoch eine Theologie der rationale Diskurs einer Religion ist, nicht nur einer Privatperson, dann ist ein wirklich theologisches Religionsgespräch mehr als eine persönliche Begegnung. Denn Theologinnen und Theologen stehen auch selbst für Denktraditionen und Gemeinschaften. Darin unterscheiden sich Theologie und Religionswissenschaft. Außerdem erhofft, wer in der Begegnung wirklich theologisch fragt, dabei nicht nur die Welt seines Gegenübers besser kennenzulernen; vielmehr betreibt man Theologie auch mit der Erwartung, dass damit die ganze Wirklichkeit verständlicher wird.

      Nun kommt es durchaus vor, dass mir muslimische Gesprächspartnerinnen und -partner eine Frage stellen, auf die ich augenblicklich keine Antwort weiß, die mich selbst überzeugt. Für einen ernsten theologischen Dialog braucht man manchmal Zeit zum Nachschlagen, manchmal zum Nachdenken, manchmal zum Nachfragen bei Kolleginnen und Kollegen der eigenen Zunft. Ich will gar nicht aus der einen Begegnung leben – das eben wäre die personalistische Falle.

      Weiterhin: eine Erkenntnis, die uns im Religionsdialog „interaktiv“ gekommen ist, muss ich in meinen religiös anderen Lebenszusammenhang einbringen. Sie durchläuft so den Praxistest. Gesichtspunkte, die wir zuvor im Religionsgespräch übersehen hatten, können jetzt auftauchen. Manches verflüchtigt sich wieder, manches muss ich in den nächsten Dialog erneut einbringen, manches aber kann meine eigene Tradition auch nachhaltig ändern (vgl. Körner 2016).

      Jedenfalls gehören offenbar zur vollen Begegnungsdynamik Zeiten einer dritten Ausrichtung: Nach und neben und vor jedem „von Angesicht zu Angesicht“ und allem „Seite an Seite“ muss es auch das Vertrauen geben für ein „Rücken an Rücken“ (Körner 2014). Papst Franziskus hat offenbar genau im selben Sinne als grundlegend für den interreligiösen Dialog nicht nur den „Mut zum Anderssein“ betont; noch davor stellte er „die Pflicht zur Identität“ (Franziskus 2017). Die andere Person und ich, wir brauchen auch Gelegenheiten, wieder eine eigene Blickrichtung einzunehmen. Gerade wenn wir unsere Religionen als lebendige Traditionen verstehen, müssen wir sie auch weiter erforschen und befruchten.

      Für einen wahrhaft dreidimensionalen Religionsdialog – von Angesicht zu Angesicht, Seite an Seite und Rücken an Rücken – ist daher die sinnvollste Zusammenstellung wohl nicht ein Gesamtinstitut Religionsstudien, in dem alle dieselben Veranstaltungen besuchen. Mehr verspricht hier die lebendige Interaktion universitärer Institutionen der verschiedenen Glaubenstraditionen mit ihrer je eigenen Klientel, in der die Lehrenden und die Studierenden aber eine Reihe von


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