Geist & Leben 1/2019. Verlag Echter

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der muslimischen Nachbarschaft ist. Die Herausgabe mancher Schriften der übrigen Mönche (Briefe, Tagebücher, Gedichte) macht deutlich, auf welch hohem geistlichen Niveau der gesamte Konvent lebte und betete.

      Aber es gab in Algerien nicht nur die Märtyrer von Tibhirine. Zwischen 1994 und 1996 wurden noch 12 weitere Ordensmänner und Ordensfrauen ermordet. Großes Aufsehen erregte der Tod des Dominikaners und Bischofs von Oran Pierre Claverie (1938–1996). In seinen Schriften vertrat P. Claverie ein Christentum, das sich der eigenen Größe und Würde wohl bewusst ist, das aber auf dem Hintergrund einer kolonialen Vergangenheit seine Position in einem islamischen, also nichtchristlichen Umfeld neu sucht. Der Bischof wurde vor seiner Kathedrale in die Luft gesprengt. Eben dort, in Oran, fand die liturgische Feier der Seligsprechung vergangenen Dezember statt.

      Christentum und Kirche in Algerien – was haben sie uns in Deutschland, in der Schweiz, in Österreich zu sagen?

      – Die algerischen Märtyrer starben für ihren Glauben an Christus. Ihr Tod ist eine Anfrage an das je eigene „Lebensprojekt“: Wofür lebst Du? Wofür stirbst du? Oder: Wofür verausgabt ihr euch? Habt ihr etwas, das es wert ist, dafür eure Lebens-Zeit einzusetzen?

      – Die algerischen Märtyrer starben aus Solidarität zu den Menschen des Landes. Sie hätten die Möglichkeit gehabt, das krisengeschüttelte, gefährliche Land zu verlassen - und sie blieben. Sie brachten es nicht übers Herz, die „Zivilbevölkerung“ (ein Wort mit „neutralisierender“ Wirkung, weil es keine konkreten Antlitze kennt, für die Mönche aber ihre befreundeten Nachbarn bedeutete) allein zurück zu lassen. Das ist ganz jesuanisch. Auch Jesus blieb seiner Sendung treu, bis zur letzten Konsequenz.

      – Religionsdialog wird von vielen Seiten eingefordert, zu Recht. Er ist auf verschiedenen Ebenen voranzutreiben. Christian, der Prior von Tibhirine, sammelte in einer Gebetsgruppe namens Ribât es-Salâm („Band des Friedens“) Christen und Muslime sufistischer Richtung. Er, der das religionstheologische Gespräch sehr wohl beherrschte, ordnete das geistliche Tun vor. „Tibhirine“ steht somit auch für eine Ökumene der Kontemplativen, die sich dem Geheimnis Gottes zur Verfügung stellen, um im gemeinsamen Hören Ausschau zu halten nach neuen Wegen der Einheit.

      – Die algerischen Märtyrer erinnern: Die Feindesliebe ist der Kern des Evangeliums. In seinem geistlichen Testament spricht Christian de Chergé seinen Mörder, den er auf sich zukommen sieht, an und nennt ihn „Freund der letzten Stunde“. Solche Feindesliebe ist nicht zu „verstehen“. Sie verweist auf Christus, der am Kreuz vergibt. Liebe ist stärker als Hass.

      – Die Mönche von Tibhirine, und gewiss auch die anderen algerischen Märtyrer, machten sich viele Gedanken darüber,was Mission in ihrer konkreten Situation bedeuten könnte. Sie interpretierten den Auftrag Jesu als schlichte, gläubige Präsenz, als Solidarität mit der armen Zivilbevölkerung, die unter dem Bürgerkrieg am meisten zu leiden hatte. Das Konzept der unspektakulären, dienenden Präsenz steht im Gegensatz zu ostentativen, manipulationsanfälligen Bekehrungskampagnen und sollte im Spektrum von Missions-Initiativen auch hierzulande nicht fehlen.

      Die Kirchen im deutschsprachigen Raum stehen derzeit vor anderen Herausforderungen als in Algerien. Und doch kann das Glaubenszeugnis der algerischen Märtyrer inspirieren, das Christusereignis ins Hier und Heute neu zu übersetzen.

       Felix Körner SJ | Rom

      geb. 1963, Dr. theol., Dr. phil., Professor für Dogmatik und Theologie der Religionen an der Päpstlichen Universität Gregoriana

      [email protected]

       Spiritualität als Weltverantwortung

       Muslime und Christen in Deutschland 1

       In die Verantwortung gerufen

      Gott ruft uns in die Verantwortung. Mit diesem Satz erkläre ich gern, was der Koran den Menschen sagt. Gott ruft uns in die Verantwortung. Was bedeutet das? Der Koran führt uns eine Gottesbegegnung am Ende der Geschichte vor Augen, und zwar drastisch: Er zeigt eine Gerichtsszene. Gott wird uns Fragen stellen. Damit zieht er uns zur Rechenschaft. Sogar einige der Rechenschaftsfragen hören wir im Koran; etwa die, was wir im Laufe unseres Lebens mit unseren Sinnen angefangen haben, mit Sehen und Hören – und wie wir unseren fu’ād gebraucht haben, also „Herz und Verstand“ (al-Isrā’ 17:36); und Gott wird uns dem Koran zufolge fragen, ob wir treu zu unseren Verpflichtungen gestanden haben, besonders gegenüber den Bedürftigsten (al-Isrā’ 17:34). Gott fragt nicht, weil er es nicht wüsste, sondern weil wir selbst wissen können und einsehensollen, was gut ist. Denn: Gott ruft uns in die Verantwortung. Das heißt also erst einmal, es geht um die Beantwortung von Fragen; und natürlich nicht nur um Antworten am Ende der Zeit. Über das Geschichtsende spricht der Koran, damit wir uns die Frage schon heute stellen: Wie gehst du mit deinen Lebensmöglichkeiten um?2

      Gott ruft uns in die Verantwortung – das ist aber keine Drohung, die uns in unserer Entfaltung blockieren will. Das ist nicht der Sinn der koranischen Gerichtsworte; und das wäre auch genau die Falle aus dem Talente-Gleichnis Jesu. Darin erzählt er von drei Dienern; der dritte von ihnen hat sein „Talent“, das ihm anvertraute Geld, vergraben, statt es zu investieren und etwas zu riskieren. Als dieser Diener zur Verantwortung gezogen wird, begründet er sein Handeln so – oder besser, sein Nicht-Handeln: „Weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt“ (Matthäus 25,25). Jesus zeigt, dass eine solche Angst eine missverstandene Ehrfurcht wäre. Nein, Gott ruft uns nicht in eine Gerichtsangst, die uns verschließt. Er ruft uns vielmehr in die Verantwortung, damit wir jetzt in „Sorge für das gemeinsame Haus“ leben. So hat es Papst Franziskus ausgedrückt. In seiner Umwelt-Enzyklika ruft auch er uns in die Verantwortung–vor den jungen Menschen; denn sie werden die Folgen unserer Unverantwortlichkeit zu tragen haben. Er ruft uns in die Verantwortung vor allem gegenüber den Armen; denn die in der größten Not haben auch am meisten an unserer Gedankenlosigkeit zu leiden. Papst Franziskus lädt uns deshalb „zu einem neuen Dialog ein über die Art und Weise, wie wir die Zukunft unseres Planeten gestalten“ (Laudato si’, Nr. 14). Gestalten! Das heißt: nicht erstarren aus Angst vor der Rechenschaft; sondern lernbereit, gesprächsbereit, risikobereit und korrekturbereit für diese Welt sorgen – das ist die Verantwortung, in die Gott uns ruft.

      Unsere Verantwortung Gott gegenüber macht uns also welt-verantwortlich, verantwortlich vor unseren Mitmenschen. So sehen wir uns auch als Christ(inn)en und Muslime in eine Verantwortung voreinander gerufen. Nicht, dass wir immer in der Verteidigung wären, sondern: Weil Gott uns in die Verantwortung stellt, packen wir miteinander die Herausforderungen an, denen wir als Gesellschaft in Deutschland und als Land in Europa gemeinsam gegenüberstehen, aber auch die Herausforderungen aufgrund der Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen. Verantwortlich heißt hier immer: Uns ist diese Welt anvertraut. Sie haben wir als die, die wir sind, mit unseren verschiedenen Lebens- und Denkweisen, zusammen zu schützen und zu entwickeln.

       Verantwortungsträger vor Lebensentscheidungen

      Nun spüren wir allerdings, dass viele unserer Zeitgenoss(inn)en ihr Leben nicht nur anders von Gott her verstehen, sondern gar nicht von Gott her verstehen. Sie verstehen sich vielmehr als nicht gläubig. Sie halten eine Weltdeutung aus dem Glauben mitunter für überholt. Wie gehen wir damit um? Ein junger Islam-Theologe aus Ankara hat mir vor Jahren erzählt, wie es ihm erging, als er – in München – seinen ersten leibhaftigen Atheisten traf. Er gestand mir, dass er sich gefragt hatte: Wie kann man so blind sein, nicht zu glauben? Das klingt vielleicht hochmütig, war aber vor allem ein Zeichen dafür, was diese Begegnung in ihm ausgelöst hatte: Er empfand sich herausgerissen aus der Selbstverständlichkeit des Glaubens. Das kann uns verunsichern. Die Begegnung mit Nicht-Gläubigen kann uns jedoch auch dankbar machen für das Geschenk, dass wir glauben können; so kann uns das Bewusstsein, dass es nun einmal auch Nicht-Gläubige gibt, bescheidener machen. Und wenn Gott uns in die Verantwortung ruft, heißt das: Wir müssen lernen,


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